Skandal um Unterdosierungen

Kein Gerichtsverfahren gegen PTAs von Zyto-Apotheker Peter S.

Berlin - 10.11.2020, 15:45 Uhr

Trotz Protest der Staatsanwaltschaft: Das OLG Hamm will kein Strafverfahren gegen zwei frühere PTAs von Peter S. eröffnen. (Foto: Gerhard Seybert / stock.adobe.com)

Trotz Protest der Staatsanwaltschaft: Das OLG Hamm will kein Strafverfahren gegen zwei frühere PTAs von Peter S. eröffnen. (Foto: Gerhard Seybert / stock.adobe.com)


Die Staatsanwaltschaft Essen hatte zwei PTAs wegen bandenmäßiger Unterdosierung angeklagt, die früher für den nun verurteilten Apotheker Peter Stadtmann gearbeitet haben. Doch das Landgericht Essen eröffnete die Hauptverhandlung nicht. Diesen Beschluss bestätigte nun das Oberlandesgericht Hamm.

Handelte der Bottroper Zyto-Apotheker Peter Stadtmann alleine? Diese Frage wird nun wohl offenbleiben. Am Tag seiner Festnahme Ende 2016 stellte die Staatsanwaltschaft Essen dutzende unterdosierte Zytostatika sicher – teils war auf Herstellungsprotokollen sein Kürzel umkringelt, teils die von zwei PTAs. Eine der Frauen ist Anfang 60 Jahre, die andere Mitte 30: Erstere soll 18 unterdosierte Präparate angefertigt haben, letztere zwei.

Die Staatsanwaltschaft erhob gegen die beiden PTAs vergangenes Jahr Anklage: Sie warf ihnen vor, gegen das Arzneimittelgesetz verstoßen und hierbei bandenmäßig gehandelt zu haben. Doch das Landgericht Essen ließ die Anklage nicht zum Hauptverfahren vor. „In den jeweiligen Fällen ist die Kammer der Auffassung, dass der Tatnachweis nicht mit der erforderlichen Sicherheit geführt werden kann“, hatte der Gerichtssprecher damals gegenüber DAZ.online erklärt. Der Grund war insbesondere, dass die PTA von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht hatten. „Wenn die Angeklagten im Rahmen des Ermittlungsverfahrens eingeräumt hätten, dass sie für die Herstellung der Infusionsbeutel verantwortlich sind, wäre es ein ganz anderes Ergebnis“, sagte der Sprecher.

Die Staatsanwaltschaft stütze ihre Vorwürfe hingegen allein auf sichergestellte Herstellungsprotokolle, deren Aussteller unklar sei. Während die rund 60-jährige PTA laut dem Landgericht sowohl die Herstellung unterdosierter Arzneimittelzubereitungen als auch die Erstellung der sichergestellten Protokolle bestritten hat, hat die jüngere PTA keine Angaben gemacht. Dagegen, dass die Protokolle von den Angeschuldigten herrührten, spricht laut Gericht, dass das Schriftbild der handschriftlichen Eintragungen, insbesondere bezüglich des Zeitbedarfs für die Herstellung der Zubereitungen von nur zwei Minuten, auf allen Protokollen gleich sei. Daher sind die sichergestellten Protokolle nach Ansicht der Richter daher für einen Tatnachweis nicht ausreichend.

Beschwerde der Staatsanwaltschaft

Hieraufhin erhob die Staatsanwaltschaft Essen im März beim Oberlandesgericht Hamm Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts Essen (Az. 5 Ws 254/20). Sie vertrat die Ansicht, die Kammer habe die Anforderungen an den für eine Eröffnung des Verfahrens notwendigen hinreichenden Tatverdacht überspannt. Durch eine Gesamtschau des zu erwartenden Beweisergebnisses sei es möglich, die Angeschuldigten zu überführen. Auch fehle es an Anhaltspunkten, dass die Protokolle nicht stimmten. Durch die Rechtskraft der Verurteilung Stadtmanns könne dieser außerdem als Zeuge geladen werden.

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm schloss sich der Argumentation der Staatsanwaltschaft an. Sie erklärte außerdem, dass bei 27 Protokollen, die zu sichergestellten und unterdosierten Zubereitungen gehörten, Stadtmann als Hersteller angegeben sei – daher könne er wohl nicht auch die anderen Zubereitungen hergestellt haben. Das Landgericht habe sich außerdem mit den Gründen des Urteils gegen Stadtmann näher auseinandersetzen müssen.

Oberlandesgericht: Kein hinreichender Tatverdacht

Das Oberlandesgericht Hamm verwarf die Beschwerde jedoch als unbegründet. Das Hauptverfahren werde vom Gericht eröffnet, wenn der Angeschuldigte nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint und der Tatverdacht so stark ist, dass eine Verurteilung nach der vorläufigen Bewertung wahrscheinlich ist, erklärten die dortigen Richter. „Ausgehend von diesem Maßstab ist der hinreichende Tatverdacht vorliegend zu verneinen“, schreiben sie in ihrem DAZ.online vorliegenden Beschluss. „Die sich aus dem Ermittlungsergebnis ergebenden Beweisanzeichen für eine Täterschaft der Angeschuldigten reichen nicht aus, einen Verdachtsgrad zu begründen, der eine Verurteilung der Angeschuldigten wahrscheinlich erscheinen ließe.“

Obwohl das Landgericht die 27 Zubereitungen Stadtmann zugeschrieben hat und keine Anhaltspunkte für eine bewusst falsche Zuordnung sah, betrachtet das Oberlandesgericht die Zuschreibungen der anderen Rezepturen für die PTA nicht als stichhaltig. Ein Grund: Nur Stadtmann habe allein im Reinraumlabor gearbeitet, während die Mitarbeiter das Vier-Augen-Prinzip gewahrt hätten.

„Zwar wäre möglich, dass die Angeschuldigten sich unter Einhaltung des Vier-Augen-Prinzips wechselseitig deckten“, schreibt das Oberlandesgericht – für ein solches Vorgehen fehlten jedoch sowohl in dem Urteil gegen ihren Chef als auch in der Ermittlungsakte Hinweise. „Zwar waren beide Angeschuldigte zum Zeitpunkt der Durchsuchung der Apotheke anwesend, jedoch wurde nicht ermittelt, ob sie am Tag der Durchsuchung, am Tag zuvor oder generell zusammen im Reinraumlabor arbeiteten.“

Die jüngere PTA habe bei der Razzia außerdem erst gut ein Jahr für Stadtmann gearbeitet. Hätten die Angeschuldigten tatsächlich als Zweierteam auf Veranlassung Stadtmanns unterdosierte Zubereitungen hergestellt, würde dies bedeuten, dass dieser „bereits nach gut einem Jahr der Mitarbeit in seiner Apotheke in seine langjährig geübte illegale Praxis der Unterdosierung einweihte“, schreiben die Richter des Oberlandesgerichts. Es erscheine äußerst unwahrscheinlich, dass er ein solches Risiko eingegangen wäre. „Denn letztlich ist der hohe persönliche Zeitaufwand, den er zur Begehung seiner Taten in Kauf nahm, obwohl er grundsätzlich Mitarbeiter hätte hinzuziehen können, nur dadurch zu erklären, dass er die Zahl der Mitwisser soweit als möglich beschränken wollte oder die Taten sogar in völliger Heimlichkeit ohne Mitwisser beging.“

Kein nachvollziehbares Motiv

Gegen die Einbeziehung von Mitarbeitern spreche auch, dass das Ermittlungsergebnis ein nachvollziehbares Motiv der PTAs, Stadtmann zu unterstützen, nicht erbracht habe. Zwar soll dieser seinen Mitarbeitern „bei finanziellen Notlagen großzügig geholfen haben“. Doch sei aus dem Urteil gegen ihn nicht ersichtlich, dass auch die beiden PTAs solche „Hilfen“ erhielten. Zudem habe Stadtmann auch solchen Personen teure Geschenke gemacht, die nicht im Verdacht stehen, an seinen Taten beteiligt gewesen zu sein.

Skandal um Unterdosierungen

Verteidigung befragt Bottroper Zyto-PTA

Dabei hatte ein Zeuge vor Gericht von „Blutgeld“ gesprochen, das seine frühere Frau als PTA bei Stadtmann mit nach Hause gebracht hatte. „Irgendwann war es so viel, dass ich gesagt habe, das ist nicht normal – du wirst für etwas bezahlt, was nicht richtig ist“, erklärte er vor Gericht. Laut Arbeitsvertrag habe sie rund 1.900 Euro netto verdient – doch regelmäßig das Zwei- bis Dreifache nach Hause gebracht, bis zu 6.000 Euro. Hinzu sei ein Dienstwagen gekommen, Überstunden seien schwarz in bar ausgezahlt worden und es habe Kuverts mit bis zu 3.000 Euro in bar gegeben, teils als „Dankeschön“ bezeichnet.

Diese Aussage berücksichtigte das Oberlandesgericht nicht. Hingegen rügte es in seinem Beschluss die Staatsanwaltschaft: Die Richtigkeit der Angaben aus den Protokollen sei nicht möglich, „was zumindest auch darauf beruht, dass naheliegende Ermittlungshandlungen in Bezug auf diese Protokolle und ihre Herstellung unterblieben sind“, schreiben die Richter. Im Aktenvermerkt hatte die Staatsanwaltschaft festgehalten, dass neben einer mehrmonatigen Protokollsammlung zwei Stapel aktuelle Protokolle vorgefunden wurden. Doch nicht für alle sichergestellten Zubereitungen konnte ein Herstellungsprotokoll gefunden werden. Schon das Fehlen einer erheblichen Zahl von Protokollen spreche dafür, dass in der früheren „Alten Apotheke“ die Dokumentationspflicht „nicht immer beachtet wurde“, schreiben die Richter.

Wo Blankoformulare, Schreibgerät und zu den sichergestellten Arzneimittelzubereitungen gehörende Doppeletiketten aufbewahrt wurden, wurde laut Oberlandesgericht nicht dokumentiert. Ebenso sei nicht ermittelt worden, wann und durch wen die Erstellung der Herstellungsprotokolle im Geschäftsablauf der „Alten Apotheke“ üblicherweise erfolgte.

So sei denkbar, dass Stadtmann einen Teil der Protokolle falsch ausfüllte, um den Anteil der von ihm selbst erstellten Zubereitungen in der Dokumentation geringer darzustellen und die Geschäftsabläufe in der Apotheke weniger auffällig darzustellen – er habe alle 66 bei der Razzia sichergestellten Unterdosierungen eigenhändig herstellen können. Zum anderen habe er womöglich andere Mitarbeiter in seine Taten mit einbezogen, die ihrerseits falsche Angaben bei Ausfüllung der Herstellungsprotokolle gemacht haben könnten, um ihre Tatbeteiligung zu verschleiern.

Soweit die Staatsanwaltschaft darauf hoffe, Stadtmann werde im Rahmen einer neuen Hauptverhandlung die Angeschuldigten belastende Angaben machen, „beruht diese Hoffnung auf reiner Spekulation“, erklären die Richter. Seit Rechtskraft des Urteils gegen ihn sei „noch nicht einmal der Versuch seiner zeugenschaftlichen Vernehmung unternommen“ worden. Es sei daher davon auszugehen, dass er weiter schweigen oder sich auf Nichtwissen oder Erinnerungslücken berufen werde. „Gänzlich unwahrscheinlich erscheint jedoch auch, dass er sein Aussageverhalten in der Zeugenrolle ändern würde, gerade falls es sich bei den Angeschuldigten um Mitwisserinnen oder Mittäterinnen gehandelt haben sollte.“

Stadtmann habe – gerade auch angesichts der öffentlichen Anteilnahme an dem Verfahren – keinerlei Interesse an einer weiteren Aufklärung der Vorgänge in seiner Apotheke. „Soweit die Staatsanwaltschaft darauf verweist, dass er durch die Verhängung von Ordnungsmitteln zur Aussage veranlasst werden könnte, dürften ihn die zur Verfügung stehenden Ordnungsmittel angesichts seiner rechtskräftigen Verurteilung zu einer zwölfjährigen Freiheitsstrafe und den wirtschaftlichen Folgen, die das Strafverfahren für ihn hatte, kaum beeindrucken.“



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
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