Interview mit gematik-Geschäftsführer Leyck Dieken

„EHealth-Tec wird zu keinem Zeitpunkt Betreiberverantwortung übernehmen“

Berlin/Stuttgart - 24.11.2020, 17:50 Uhr

Gematik-Chef Dr. Markus Leyck Dieken (hier ein Archivbild) sprach mit DAZ/DAZ.online über den Zuschlag für IBM Deutschland für den E-Rezept-Fachdienst – und deren Subunternehmer, die DocMorris-Schwester eHealth-Tec. (Foto: Marc-Steffen Unger)

Gematik-Chef Dr. Markus Leyck Dieken (hier ein Archivbild) sprach mit DAZ/DAZ.online über den Zuschlag für IBM Deutschland für den E-Rezept-Fachdienst – und deren Subunternehmer, die DocMorris-Schwester eHealth-Tec. (Foto: Marc-Steffen Unger)


Am vergangenen Montag schockierte die Apotheker die Nachricht, dass die DocMorris-Schwester eHealth-Tec am E-Rezept-Fachdienst in der Telematikinfrastruktur basteln wird. Auch Bundestagsabgeordnete wie Sylvia Gabelmann (Linke) und Kordula Schulz-Asche (Grüne) kritisierten die Entscheidung der gematik. Deren Geschäftsführer Dr. Markus Leyck Dieken stand DAZ/DAZ.online jetzt Rede und Antwort.

DAZ: Herr Dr. Leyck Dieken, warum konkret hat IBM Deutschland den Zuschlag für die Entwicklung und den Betrieb des E-Rezept-Fachdiensts erhalten? Welche Kriterien waren dabei ausschlaggebend?

Leyck Dieken: Wie bei jeder Ausschreibung sind die Kriterien der Auswahl öffentlich und in wirtschaftlichen und qualitativen Aspekten gewichtet. In der Gesamtbewertung hatte IBM Deutschland dabei klar die Nase vorn.

Mehr zum Thema

Gematik entscheidet und schweigt

Zur Rose liefert Infrastruktur für das E-Rezept

Reaktionen auf Gematik-Zuschlag an IBM/eHealth-Tec

Schulz-Asche: „Fast schon zynisch“

Zur Rose bastelt am E-Rezept-Fachdienst

„Der Albtraum aller Vor-Ort-Apotheken“

Wie sehr haben dabei die wirtschaftlichen Aspekte im Vordergrund gestanden? 

Wirtschaftliche Kriterien machen natürlich einen großen Anteil an der Entscheidungsfindung aus. Es ist ein wesentlicher Zweck von Ausschreibungen, einen möglichst günstigen Anbieter zu finden. Danach kommt es auf die Leistungsfähigkeit des Systems an. Die Herausforderung an dieser Ausschreibung ist ja, dass der Begünstigte bis Ende Juni 2021 fertig sein muss, damit wir im Juli mit dem E-Rezept starten können. Allein dadurch entsteht schon ein gewisser Anspruch, der dazu geführt hat, dass das Bewerberfeld klein war. 

IBM ist im IT-Bereich ja eine Größe. Wieso braucht solch ein Unternehmen weiteren Input durch Firmen wie die DocMorris-Schwester eHealth-Tec? 

Eine Voraussetzung für den Zuschlag war, dass der Bewerber bereits Erfahrungen im Apothekenmarkt gesammelt hat. Die IBM ist alleinig für den Betrieb der Fachdienste verantwortlich. Daher hat sich der Konzern für eHealth-Tec als Subunternehmer entschieden. Die Zur Rose-Tochter tritt übrigens explizit nicht als Partner von IBM auf, das wäre vergaberechtlich eine völlig andere Situation. Wir haben nur IBM Deutschland bezuschlagt und nicht etwa ein Konsortium. Für die Offenlegung der Subunternehmer ist IBM zuständig. 

Welche Aufgaben wird eHealth-Tec übernehmen? 

EHealth-Tec wird lediglich eine sehr kleine Rolle bei der Entwicklung des Fachdiensts spielen. Am Betrieb ist das Unternehmen später gar nicht mehr beteiligt. Mir ist bewusst, dass die Apotheker die Sorge haben, dass eHealth-Tec etwa aus dem Projekt mit der Techniker Krankenkasse vorgefertigte Bestandteile mitbringt. Das können sie nicht, weil unsere Spezifikation es gar nicht ermöglicht. Diese ist völlig anders gestrickt als die Infrastruktur im TK-Projekt. Konkret wird das Unternehmen lediglich einzelne Programmierer bereitstellen, die eingebunden in IBM-Teams arbeiten werden. Sobald die Programmierphase abgeschlossen ist, werden sie die Teams wieder verlassen. EHealth-Tec wird also zu keinem Zeitpunkt Betreiberverantwortung übernehmen und auch nicht in die Software-Wartung eingebunden. 

Die Vorstellung, dass die Zur Rose-Gruppe am E-Rezept-Fachdienst mitwirkt, sorgt dennoch für Unruhe bei den Apothekern. Verstehen Sie die Aufregung? 

Es war uns bewusst, dass allein der Name für Irritationen sorgen würde. Deshalb ist es uns wichtig, diesen Umstand sachlich ganz klar einzuordnen. Bei allen Emotionen, die jetzt hochkochen, sollten wir es nicht versäumen, die konkreten Fakten ausreichend zu beleuchten. 

Kontrolle nicht nötig

Dann kommen wir zurück zu den Tatsachen. Sie betonen, dass IBM der Vertragspartner ist und es kein Konsortium gibt. Wäre es nicht besser, wenn alle Beteiligten gleichwertig auf einer Ebene agieren und auch von der gematik kontrolliert werden? So überlassen Sie doch IBM die Aufsicht. 

Das ist unnötig. Wir haben die volle Kontrolle, weil wir bestimmen, was gebaut wird. Wir tasten jede Woche ab, wie genau unsere Spezifikation erfüllt wird. Zudem sind sämtliche Prozesse über die Plattform GitHub öffentlich einsehbar. Damit ist es völlig ausgeschlossen, dass jemand im Hintergrund etwas bewegt, was wir nicht mitbekommen würden. Daraus folgt auch, dass eHealth-Tec beziehungsweise DocMorris keinerlei Wissensvorsprung gegenüber anderen Marktteilnehmern haben wird, weil alle Programmierungen für alle öffentlich nachvollziehbar sind. 

Immer wieder gibt es Gerüchte, dass Amazon die Zur Rose-Gruppe kaufen möchte. Würde solch ein Ereignis etwas an Ihrer Einschätzung ändern? 

Nein. Ein Kauf der Zur Rose Gruppe durch Amazon hätte keinerlei Auswirkungen auf den Betrieb des E-Rezept-Fachdiensts. Er würde dem Konzern auch keine Einblicke ermöglichen, denn wie gesagt scheidet eHealth-Tec nach der initialen Phase vollständig aus dem Projekt aus. Insofern wäre eine Übernahme durch Amazon völlig irrelevant für das System. 

Noch einmal kurz zurück zur Vergabe: Woran ist das Angebot der Noventi gescheitert? 

Sowohl was die Wirtschaftlichkeit betrifft als auch in puncto Leistungsfähigkeit war IBM klar im Vorteil. Das Gerücht, Noventi sei wegen eines Formfehlers ausgeschieden, ist nicht wahr. Wir haben uns dennoch sehr gefreut, dass deutsche Apotheker an der Ausschreibung teilgenommen haben und ich glaube fest daran, dass die Apotheker unbedingt zusammenkommen und sich hinter dem roten A versammeln sollten. Es ist von großem Wert, in Zeiten der Digitalisierung eine so traditionsreiche und anerkannte Marke zu haben, die jeder Mensch sofort erkennt. 

Die Rechte am Apotheken-A trägt bekanntlich der Deutsche Apothekerverband. Dieser hatte seinerzeit eine eigens entwickelte Web-App vorgelegt, dennoch hat die gematik lieber selbst eine Anwendung entwickelt, in der sich das Konzept des DAV nicht wiederfindet. Warum? 

Wir wussten, dass der DAV eine webbasierte App programmiert. Das Problem daran ist, dass eine webbasierte Anwendung bezüglich der Voraussetzungen in der Telematik und auch nach den Vorgaben des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) keine schlüssige App-Plattform ist. Darüber haben wir den DAV zu gegebenem Zeitpunkt informiert und mitgeteilt, dass er dafür eine andere Plattform finden muss. 

Der DAV ist auch Gesellschafter in der gematik. Hätte die Expertise im Apothekenmarkt nicht auch von dort kommen können? Oder musste sie zwingend Teil der Ausschreibung sein? 

Die Gesellschafter der gematik haben jeden einzelnen Satz der Ausschreibung gekannt. Niemand kann sagen, er habe nicht gewusst, was wir spezifiziert haben. Die technischen Experten unserer Gesellschafter haben uns über Monate begleitet und jedem einzelnen Feature zugestimmt. 

Ende-zu-Ende-Verschlüsselung verhindert zusätzlichen Nutzen des E-Rezepts

Ein Kritikpunkt von IT-Experten am E-Rezept-Konzept betrifft die Sicherheit des Systems. Können die Anforderungen und Anwendungen der Telematikinfrastruktur nicht auch unter Verwendung einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung realisiert werden? Inwiefern hat das die gematik im Zuge der Spezifikationen tatsächlich abgewägt? 

Eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung schließen wir deshalb für uns aus, weil wir interoperabler werden wollen. Wir möchten ein digitales Rezept bauen, das nicht nur eine elektronische Variante des Papierrezepts ist. Dann würde kein zusätzlicher Nutzen für die Versicherten und Leistungserbringer entstehen. Das E-Rezept ist das erste Produkt der gematik, das auf einem interoperablen Standard basiert. Mit diesem sogenannten FHIR-Standard gehen wir zum ersten Mal raus aus der nur in Deutschland existierenden Technik-Sprache, die uns bisher immer im Weg stand, wenn es um Anbindung in Europa ging. Damit öffnen wir die Tür für eine Vielzahl neuer Möglichkeiten, die der Gesetzgeber jetzt definieren muss. Ein Ziel könnte es sein, dass deutsche E-Rezepte bald europaweit einlösbar sind. Mit einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung wären viele weitere Services für den Bürger nicht möglich gewesen. Die gematik muss raus aus dem veralteten technischen Konstrukt der vergangenen 15 Jahre. 

Mehr zum Thema

Wie wollen Sie das Vertrauen der Patienten und Leistungserbringer gewinnen, wenn Sie auf diesen Sicherheitsstandard verzichten? 

Das E-Rezept ist Punkt-zu-Punkt verschlüsselt und wir werden immer wieder kommunizieren, dass es sicher ist. Wir sind sehr unglücklich über Verlautbarungen, die das anzweifeln, aber einfach nicht korrekt sind. Hier werden wir weiter Aufklärungsarbeit leisten müssen, aber wir sind überzeugt, dass wir erfolgreich sein werden. 

Stichwort Kommunikation. Halten Sie die Bekanntmachung der Zuschläge Anfang der vergangenen Woche für gelungen? Die gematik und IBM haben die Kommunikation bei diesem hochbrisanten Thema ja quasi Zur Rose überlassen.

Bei einem EU-Ausschreibeverfahren wie unserem gibt es sogenannte Stillhaltefristen. In dieser Zeit dürfen wir als Vergabestelle nichts verlautbaren. Das würde die Rechtmäßigkeit des Verfahrens gefährden. Deswegen konnten wir erst am vergangenen Montag, als die Frist abgelaufen war, darüber informieren. Natürlich ist es nicht optimal, wenn es bereits vorher über den einen oder anderen Kanal durchsickert. Dennoch dürfen wir vor Ablauf der Frist nichts dazu sagen. Wir würden uns auch als verlässlicher Partner unglaubwürdig machen. 

Den Zuschlag hat IBM zunächst für eine Laufzeit von 48 Monaten plus Option auf zweimalige Verlängerung um jeweils ein Jahr erhalten. Was passiert danach? 

Diese Laufzeit hat mit dem EU-Ausschreibungsrecht zu tun. Demnach muss eine Vergabestelle nach einer gewissen Zeit anderen Anbietern die Möglichkeit einräumen, zu zeigen, ob sie es besser machen können. Wir haben natürlich ein Interesse daran, dass wir erstmal stabil starten können und nicht nach sehr kurzer Zeit wieder die Pferde wechseln müssen und plötzlich neue Betreiber hinzukommen. Nach Ablauf der Vertragslaufzeit startet das Ausschreibungsverfahren wieder von vorne. In welchem Rhythmus wir das Los für den Betrieb des Fachdiensts künftig ausschreiben, wird die Gesellschafterversammlung entscheiden. 

Herr Dr. Leyck Dieken, vielen Dank für das Gespräch.



Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


2 Kommentare

alles gut

von Benjamin Schäfer am 24.11.2020 um 22:45 Uhr

Klar, wieso sollte auch E-Health Tech ein Interesse haben da mitzubasteln? Die geben ehrenamtlich Tipps an IBM wie so eine richtig digitale Apotheke funktioniert und ziehen von dannen. Da kann ich ja beruhigt weiter dj's stempeln. Danke Herr Dieken, dass sie das so schnell aufgeklärt haben. Wir paranoiden Apothekers mal wieder...

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Verraten und verkauft

von ratatosk am 24.11.2020 um 18:36 Uhr

Wenn man es sorgfältig liest, erkennt man, daß hier die Vernichtungsstratie von Spahn und Ministerium zugunsten der Versender und des Großkapitals weitergeht. Keine Verschlüsselung ! nee bei Gesundheitsthemen ist das nicht so wichtig, wenn es das Großkapital molestiert. Firmen scheiden wieder aus, aber das Wissen wird nicht weiterverwendet. So kann nur eine Apparatschik aus dem öffentlichen Bereich denken und argumentieren, der von der Wirklichkeit nichts weiß oder wissen will, da es im öffentlichen Bereich diese Art von Vernichtungskampf nicht gibt, da es dort nicht auf Effizienz und Marktineressen ankommt, siehe Herkules , Maut etc.
Leider sind stratigische Entscheidungen in D im öffentlichen Bereich völlig unbekannt. Vergabeverfahren wie im Bau führen ja auch zu den bekannten irren Ergebnissen auf Steuerzahlerkosten.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.