Meinungen und COVID-19

Kammern: Keine Kenntnis über „Querdenker“ in Apotheken

Stuttgart - 27.11.2020, 16:45 Uhr

„QAnon und Querdenken: Experten warnen vor einer gefährlichen Verbindung.“ Warum, das erklärte das Redaktionsnetzwerk Deutschland im Oktober in einem Artikel. (c / Foto: imago images  ZUMA Wire)

„QAnon und Querdenken: Experten warnen vor einer gefährlichen Verbindung.“ Warum, das erklärte das Redaktionsnetzwerk Deutschland im Oktober in einem Artikel. (c / Foto: imago images  ZUMA Wire)


Auch unter Apotheker:innen gibt sogenannte Querdenker:innen. Aber: Handelt es sich nur um Einzelfälle? Und halten sich selbst diejenigen, die vermeintlich „querdenken“ an die Corona-Regeln? Es scheint so. Den Apothekerkammern liegt jedenfalls eine verschwindend geringe Anzahl an Beschwerden im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen vor.

Vergangenen Dienstag berichtete DAZ.online über die Liste der Unterstützer der Initiative. Zwei von 23 Apotheker:innen der Liste waren bereit mit DAZ.online über ihre persönliche Meinung zu COVID-19 zu sprechen. „Wir sind eine interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft von Ärzten und Wissenschaftlern, die der Öffentlichkeit ihre fachliche Expertise im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie zur Verfügung stellt“, schreiben die „Ärzte für Aufklärung“ über sich selbst im Internet. 

Allerdings gibt es zahlreiche Berichte darüber, dass es vielen der Liste der „Ärzte für Aufklärung“ und den „Querdenkern“ um etwas anderes gehen könnte als das bloße zur Verfügung stellen von „fachlicher Expertise“. So stellte am 17. November beispielsweise der Deutschlandfunk die Frage „Wer marschiert da zusammen?“. Und wer die Bilder von sogenannten Querdenker-Demonstrationen im Fernsehen oder gar live verfolgt hat, weiß es schon: „Menschen mit Regenbogenfahnen, Reichsbürger, Identitäre, Impfkritiker und Ärzte.“ Aber auch Apotheker? 

Die „Ärzte für Aufklärung“ (auf deren Liste auch Apotheker stehen) ordnet der Deutschlandfunk jedenfalls dem „Netzwerk rund um die Gruppe ‚Querdenken 711‘“ zu. Es handle sich um einen Zusammenschluss von Hamburger Ärzten, die auf vielen Demonstrationen und Kundgebungen, die sich gegen die Sicherheitsmaßnahmen in der Corona-Pandemie richten, gesprochen hätten. Sie könnten dem Impfgegner-Spektrum zugeordnet werden und behaupteten auf ihrer Internetseite „die Corona-Panik sei eine organisierte, kriminelle Täuschung“, heißt es. Im Zentrum der Kritik an den Demonstrationen steht vor allem, dass es die Teilnehmer offensichtlich häufig nicht störe, dass organisierte Neonazis dabei waren. 

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Wer den Beitrag vom 24. November auf DAZ.online gelesen hat, der weiß, dass nicht alle Apotheker:innen, die auf der Liste der „Ärzte für Aufklärung“ stehen, voll und offen für entsprechende Inhalte einstehen. Doch sollten sich Apotheker:innen und andere, die sich von solchen Gruppierungen nicht abgrenzen oder sogar offen zu ihnen zugehörig erklären, nicht die Frage stellen, ob sie wirklich mit allen Inhalten, für die die sogenannten Querdenker stehen, in Verbindung gebracht werden wollen? Wie viele Apotheker:innen sich entsprechenden Bewegungen und Meinungen im Spektrum der „Querdenker“ zugehörig fühlen, darüber lässt sich nur mutmaßen.

Laut dem Nachrichtenportal „Medscape“ häufen sich bei den Ärztekammern anscheinend die Beschwerden „über Ärztinnen und Ärzte, die die Gefahren der Pandemie herunterspielen, leugnen oder in Verschwörungstheorien einbetten“. „Medscape“ hatte sich bereits am 17. November 2020 bei den Ärztekammern umgehört, wie diese damit umgehen, „wenn Ärzte zu Corona-Leugnern werden“. Doch wie groß ist das Problem wirklich? Vermittelt die mediale Aufmerksamkeit einen falschen Eindruck? 

Wilfried Schimanke, Vizepräsident der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, traute sich gegenüber „Medscape“ eine Schätzung zu: „Der Anteil der aktiven Corona-Kritiker unter den Ärzten lasse sich schwer abschätzen, liege wohl aber kaum höher als 1 Prozent“, heißt es. 

„Wissenschaftliche Ansichten und Handlungen können niemals den Gegenstand eines Berufsgerichtsverfahrens darstellen“

DAZ.online hat die Apothekerkammern mit dem DAZ.online-Artikel vom 24. November im Anhang ebenfalls um eine Einschätzung gebeten. Zehn Apothekerkammern haben geantwortet.

Drei Beschwerden in Baden-Württemberg

Die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg (LAK BW) schrieb an DAZ.online, dass der Kammer keine Informationen darüber vorliegen, wie groß der (den Kammern bekannte) Anteil der Querdenker unter den Apotheker:innen ist. Bislang habe es drei Beschwerden über Schaufensterwerbung für kritische Bücher oder Beiträge und Zitate von Ärzten gegeben. „Ob diese von sog. ‚Querdenkern‘ stammen, können wir nicht beurteilen“, hieß es. Man gehe nur konkreten Beschwerden nach, und gehe davon aus, dass sich die Apotheken an die Corona-Regeln halten. „Auch bei den vorliegenden Beschwerden wurde nach unserer Kenntnis nicht dazu aufgerufen, gegen Corona-Regeln zu verstoßen“, heißt es außerdem. Man habe keine Kenntnis von Verstößen gegen Corona-Regeln oder gegen Straftatbestände. 

Auf die Frage, wie man im Fall von Beschwerden vorgehe, antwortete die LAK BW: „Wie bei allen Beschwerden: Wir geben den betroffenen ApothekerInnen die Möglichkeit zur Stellungnahme und entscheiden dann, wie weiter vorgegangen werden kann. Allerdings ist die Meinungsfreiheit grundgesetzlich verankert, sodass Eingriffe hier kaum möglich erscheinen. Dies ergibt sich auch aus § 55 Heilberufe-Kammergesetz, wonach politische, religiöse und wissenschaftliche Ansichten und Handlungen oder die Stellungnahme zu wirtschaftlichen Berufsangelegenheiten niemals den Gegenstand eines Berufsgerichtsverfahrens darstellen können“.

„Das heißt nicht, dass es solche Fälle nicht gibt, nur mir ist keiner bekannt“

Die Apothekerkammer Berlin hielt sich in ihrer Antwort deutlich kürzer, dort heißt es „uns sind keine Fälle bekannt“. Die Antwort der Apothekerkammer Bremen fällt ähnlich knapp aus, bietet aber Interpretationsfreiraum: „Die Apothekerkammer Bremen respektiert die Meinungsfreiheit unserer Kolleg:innen im Bundesgebiet solange, wie sich die Äußerungen an geltende Gesetze und Rechtsverordnungen halten. Uns sind keine relevanten Fälle in Bremen und Bremerhaven bekannt, die diese Grenzen überschreiten. Auch wenn es manchmal schwer auszuhalten ist, gehört die Meinungsvielfalt zu den Grundpfeilern unserer Gesellschaftsform. Solange eine korrekte Berufsausübung dadurch nicht beeinträchtigt ist, gibt es für uns als Kammer keinen Anlass tätig zu werden.“

Der Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz ist offenbar nur ein einziger Fall aus dem Sommer bekannt, in dem sich ein Kunde über einen Apotheker echauffierte, dass dieser hinter seiner Plexiglasabdeckung keine Maske trug. Man habe dem Kunden dann die Rechtslage nach der Corona-Bekämpfungsverordnung erläutert. „Im Übrigen gab es bei mir keinen Fall, der auch nur einen Punkt der unten angesprochenen Fragen und damit Anhaltspunkte für ‚Querdenker‘ geben könnte“, erklärte die Justiziarin der Kammer. Fügte aber an: „Das heißt nicht, dass es solche Fälle nicht gibt, nur mir ist keiner bekannt.“ Der Geschäftsführer der Kammer verwies außerdem auf die eventuelle Zuständigkeit des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung in Rheinland-Pfalz. Bei strafrechtsrelevanten Verhaltensweisen sei auch die Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden zu beachten. „Gemäß den Corona-Bekämpfungsverordnungen Rheinland-Pfalz ist das Maske-Tragen in unseren Apotheken nicht unbedingt vorgeschrieben, wenn etwa andere Schutzmaßnahmen ergriffen werden.“

„Am Ende ist es eine Frage, wie man miteinander umgeht“ 

Ausführlich fällt die Antwort der Landesapothekerkammer Thüringen aus: Es sei selbstverständlich nicht die „Aufgabe einer Kammer als Körperschaft, die unterschiedlichen politischen Positionen ihrer Mitglieder zu ermitteln und Daten darüber zu speichern. Die Frage nach einem Zahlenwert von Apothekern mit einer gewissen politischen Meinung könne also nicht beantwortet werden, heißt es mit Nachdruck in einer E-Mail an DAZ.online. Beschwerden in Zusammenhang mit dem Themenkomplex Corona hätten die Kammer bisher wenige erreicht. Ausschließlich Medienvertreter würden anfragen, wie die Versorgung von Patienten ohne Maske sichergestellt werde. 

Die Kammer erklärte dazu in Bezug auf einen konkreten Fall gegenüber der Thüringer Allgemeine: „Am Ende ist es eine Frage, wie man miteinander umgeht. Natürlich kann es Gründe geben, warum man keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen kann. Und davon kann die Versorgung durch die Apotheke auch nicht abhängig sein, denn natürlich ist die Apotheke grundsätzlich verpflichtet, die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung zu sichern, auch wenn ‚sie‘ in Einzelfällen keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen kann. Andererseits können Gewerbetreibende und damit auch Apotheker zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie die ‚Maskenpflicht‘ in ihren Geschäftsräumen nicht durchsetzen. Neben dieser rechtlichen Einschränkung besteht natürlich auch die berechtigte Sorge, dass Menschen, die keine Masken tragen, ihre Mitmenschen mehr gefährden, als wenn sie es täten. Man sollte diese Sorge nicht kleinreden, gerade auch in Apotheken, in denen eine unentdeckte Infektion eine Gefahr für jeden weiteren, im Zweifelsfall kranken Kunden bedeutet, ist es extrem wichtig, verantwortungsvoll und konsequent zu handeln.“ Zwischen diesen beiden Polen müsse eine Lösung gefunden werden, und die Kammer zeigte in dem konkreten Fall auch durchaus praktische Lösungsmöglichkeiten auf. 

Insgesamt seien der Kammer in Apotheken keine Verstöße gegen die Thüringer Verordnung über grundlegende Infektionsschutzregeln zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-Cov-2 bekannt bzw. im Rahmen des Berufsrechts übermittelt worden. Grundsätzlich könne festgestellt werden, „dass die Apotheker:nnen im Rahmen der 1. Welle ein herausragendes Engagement bei der Herstellung von Desinfektionsmitteln, bei der Mitarbeit in lokalen Krisenstäben, beim Kümmern um die Sorgen der Patienten und Mitarbeiter gezeigt haben. Die große Mehrheit der Apotheker arbeitet aktuell erneut am Rande der Belastbarkeit. Die größte Sorge besteht derzeit – neben den Sorgen um die Gesundheit von Familie und Apothekenteams – vor undifferenzierten Apothekenschließungen, wenn Gesundheitsämter die RKI-Kriterien nicht berücksichtigen“, so die Kammer.

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Die Bayerische Landesapothekerkammer verweist wiederum vor allem auf die Verantwortung des örtlichen Gesundheitsamtes: „Apothekerinnen und Apotheker müssen sich an die für sie geltenden Hygiene- und Schutzmaßnahmen halten. Tun sie das nicht, ist in erster Stelle im Vollzug infektionsrechtlicher Vorgaben das örtliche Gesundheitsamt in Bayern zuständig; werden der Kammer solche Fälle gemeldet, geht die Kammer gegen solche Kolleginnen und Kollegen (nachgelagert zu den Gesundheitsämtern ggf. auch berufsrechtlich) vor – wie wir es auch bei anderen Verstößen tun.“ 

Leugnen der Corona-Pandemie kann im konkreten Fall berufsrechtliche Auswirkungen haben

Die Apothekerkammer Niedersachsen antwortete DAZ.online mit einem gesamtgesellschaftlichen Blick auf die Corona-Problematik. Den Apothekern komme mit ihrem Versorgungsauftrag eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der Pandemie zu: „In dieser beispiellosen Krise sind die Apothekerinnen und Apotheker mehr denn je gefordert, fachlich verantwortungsbewusste Entscheidungen zu treffen sowie Patienten zu beraten, zu beruhigen und zu unterstützen. Ihnen kommt in der Prävention eine wichtige Rolle zu. Patienten können sich beispielsweise niedrigschwellig in der Apotheke vor Ort zu den richtigen Hygienemaßnahmen sachkundig und vertrauensvoll beraten lassen“, heißt es. Zu sogenannten Querdenkern unter Apotheker:innen seien bisher keine Beschwerden von Patienten bei der Apothekerkammer Niedersachsen eingegangen. Konkret zum zur Stellungnahme beigefügten DAZ.online-Artikel erklärt die Kammer: 


Berufsrechtliche Maßnahmen setzen konkrete Berufsrechtsverletzungen voraus. Die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder auch Meinungsäußerungen kann nicht zur Grundlage berufsrechtlicher Maßnahmen gemacht werden.“ 

Apothekerkammer Niedersachsen


Im beruflichen Kontext hätten Apotheker:innen aber darauf hinzuweisen, wenn sie von anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen abweichen. Untersagt sei es außerdem, wenn Apotheker:innen durch Meinungsäußerungen gegenüber Patienten in die ärztliche Therapiehoheit eingreifen. Insofern könne das Leugnen der Corona-Pandemie gegenüber dem Patienten in der Apotheke im konkreten Fall auch berufsrechtliche Auswirkungen haben. Da die Grenzen aber fließend seien, müsse jeder Einzelfall geprüft werden.

Auch der Apothekerkammer Mecklenburg-Vorpommern lagen zum größten Teil der Fragen von DAZ.online keine Informationen vor. Die Kammer sei aber nicht aktiv auf der Suche nach „Querdenkern“ im Kollegenkreis und führe bisher auch keine Aufklärungsmaßnahmen durch.

Die Apothekerkammer Nordrhein verweist auch auf den gesellschaftspolitischen Aspekt der Fragen von DAZ.online und erklärt: „Wir ziehen es vor, Freizeitaktivitäten und politische oder weltanschauliche Auffassungen unserer Kammerangehörigen nicht (öffentlich) zu bewerten. Beschwerden zu den von Ihnen genannten Gesichtspunkten haben uns bisher nicht erreicht. Diesen würden wir im Wege üblicher Prozesse selbstverständlich nachgehen. Wir gehen davon aus, dass die übergroße Mehrheit der Apothekerinnen und Apotheker in unserem Kammerbezirk ihrem Beruf – ihrer Berufung – mit einem Höchstmaß an Objektivität und Evidenz nachgeht. Dass es im Einzelfall unterschiedlichen Auffassungen vor allem in Fragen von Moral und Ethik gibt, ist menschlich und alltäglich. Welche Priorität diesen Fragestellungen jedoch im berufspolitischen Kontext zukommt, kann von dieser Seite nicht abschließend bewertet werden.“

Die Apothekerkammer Westfalen-Lippe erklärte telefonisch gegenüber DAZ.online, dass „Querdenker“ unter Apotheker:innen dem Wissen der Kammer nach „kein Thema“ seien. Weder über die Medien, die Kolleg:innen noch die Patient:innen vor Ort seien solche Beschwerden an die Kammer herangetragen worden. Anders als in den anderen Kammerbezirken verweist man in Westfalen-Lippe auf einen präventiven Ansatz: Auf Facebook und Instagram räume man mit Corona-Mythen auf. 



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