Integritas-Mitgliederversammlung

Werbung für Telemedizin auf dünnem Eis

Remagen - 16.12.2020, 15:14 Uhr

Urteil des OLG München: Die Bewerbung von Fernbehandlungen bleibt unzulässig. Es sei denn, ein fachlich anerkannter Standard ermöglicht, im Regelfall auf den persönlichen Kontakt zum Arzt zu verzichten. (Foto: Proxima Studio / stock.adobe.com)

Urteil des OLG München: Die Bewerbung von Fernbehandlungen bleibt unzulässig. Es sei denn, ein fachlich anerkannter Standard ermöglicht, im Regelfall auf den persönlichen Kontakt zum Arzt zu verzichten. (Foto: Proxima Studio / stock.adobe.com)


Keine Werbung für Primärversorgung per Videokonsultation

Tillmanns verwies in diesem Zusammenhang überdies auf ein noch relativ neues Urteil des Oberlandesgerichts München (Az. 6 U 5180/19 - „Ottonova“),  das auch „telemedizinischen Primärarztmodellen“ eine Absage erteilte. Im vorliegenden Fall wurde damit geworben, dass die komplette ärztliche Versorgung, nämlich „Diagnose, Therapieempfehlung und Krankschreibung“, mittels einer App online erfolgen könne („Bleib einfach im Bett, wenn Du zum Arzt gehst“). Schließlich habe der Gesetzgeber auch nach der Lockerung des Werbeverbotes für Fernbehandlungen daran festgehalten, dass eine solche Werbung im Allgemeinen untersagt ist, befand das Gericht. Würde man die in dem Verfahren angegriffene Werbung unter die Ausnahmeregelung des Heilmittelwerbegesetzes subsumieren, so würde das grundsätzliche Werbeverbot für Fernbehandlungen im Übrigen praktisch leerlaufen. 

Anerkannte Standards fehlen bislang

Im Ergebnis bleibe eine Bewerbung von Fernbehandlungen unzulässig. Es sei denn, ein fachlich anerkannter Standard ermögliche es, im Regelfall auf den persönlichen Kontakt zum Arzt zu verzichten, resümierte Tillmanns. Solche Standards gebe es jedoch bislang nicht. Sie könnten aber im Rahmen eines allgemeinen Diskurses und einer Konsensfindung erstellt werden. Diesen müssten die Gerichte dann wohl auch folgen, so seine Vermutung. Selbst gegebenen Qualitätsstandards telemedizinischer Anbieter, die dazu missbraucht werden, um den Rahmen der Fernbehandlung zu erweitern, erteilten einige Rechtsexperten bei der Veranstaltung eine klare Absage.

Wann Fernverordnungen ausgeschlossen sind

Eine weitere gravierende rechtliche Fußangel sieht Tillmanns darin, dass über telemedizinische Angebote Verordnungen rezeptpflichtiger Arzneimittel ausgelöst werden, die laut Herstellerangaben in der Fachinformation vor der Verordnung eine Anamnese und körperliche Untersuchung erfordern. Entsprechende Angaben fänden sich zum Beispiel in den Produktinformationen zu Viagra® oder auch von Cialis®. Tillmanns forderte die Arzneimittelhersteller dazu auf, sich rechtlich dagegen zu wehren, wenn Anbieter von Fernbehandlungen diese Vorgaben missachten. 

Er habe grundsätzlich nichts gegen Telemedizin und sehe darin gerade in Corona-Zeiten große Chancen, bekundete der Rechtsanwalt abschließend. Trotzdem befürchtet er, dass die eigentlich sinnvollen Möglichkeiten durch ungerechtfertigte Praktiken am Ende wieder beschnitten werden könnten. Angesichts der jüngsten Rechtsprechung zur Werbung für telemedizinische Angebote geht er im Übrigen davon aus, dass das Thema in einem der kommenden Verfahren auch beim Bundesgerichtshof landen wird.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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