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COVID-19-Impfstoff
Wirrwarr um Notfall- und „ordentliche“ Zulassungen
Allerorten haben die Menschen voller Ungeduld auf den ersten Corona-Impfstoff in der EU gewartet. Nun hat die EMA die bedingte Zulassung des Corona-Impfstoffs der Mainzer Firma Biontech und des US-Pharmariesen Pfizer in der EU empfohlen. Viele verstehen dabei nicht, warum die Vakzine von Biontech/Pfizer in anderen Ländern schon verfügbar ist, während sie hierzulande noch auf ihre endgültige Zulassung wartet. Gesundheitsminister Jens Spahn hatte in den letzten Tagen in Interviews immer wieder betont, dass man in der EU eine „ordentliche“ Zulassung wolle und keine Notfallzulassung. Was meint er damit und warum steht die EU zu ihrer gemeinsamen Bewertung der Impfstoffe?
Seit Ende November „schmorte“ der Antrag auf Zulassung für den Biontech/Pfizer-Impfstoff bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), wo die Unterlagen einer eingehenden wissenschaftlichen Prüfung unterzogen wurden. Mit der gleitenden Überprüfung der Unterlagen, dem sogenannten Rolling Review, konnte schon vor der Antragstellung bei der Bewertung viel wertvolle Zeit eingespart werden, und nun?
Die Notfallgenehmigungen in UK, Kanada und den USA
Zwischenzeitlich hat Großbritannien am 2. Dezember als erstes Land bereits eine Genehmigung für die mRNA-Vakzine erteilt. Wie die britische Arzneimittelbehörde (MHRA) betont, handelt es sich hierbei jedoch keineswegs um eine Zulassung, sondern um die vorübergehende (temporary) Genehmigung der Anwendung bestimmter Chargen des COVID-19-Impfstoffs basierend auf den Daten zur Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit, die Biontech/Pfizer der MHRA in dem Zeitraum zwischen dem 1. Oktober und dem 2. Dezember übermittelt habe. Kanada hat am 9. Dezember eine bedingte Zulassung (with conditions) gewährt – und die USA zwei Tage später eine Notfallzulassung (Emergency Use Authorization, EUA). Damit ist der Druck auf die EMA immens gewachsen.
Alle gemeinsam statt jeder für sich
Mit einer Pressemitteilung hat die Europäische Kommission versucht, Licht in das ganze Wirrwarr um Notfall-, bedingte und normale Zulassungen zu bringen. Darin hebt sie eingangs hervor, dass die EMA politisch unabhängig arbeite, angesichts der aufgeheizten Situation eine wichtige Feststellung.
Die bedingte Zulassung
Für den Biontech/Pfizer-Impfstoff wurde eine bedingte Marktzulassung (conditional marketing authorization) beantragt. Bei einer solchen Zulassung, die zunächst auf ein Jahr befristet ist, werden die fehlenden Unterlagen mit einer Auflage nachgefordert (Art. 14-a der Verordnung (EG) Nr. 726/2004). Sind die Auflagen erfüllt, geht sie in eine reguläre Zulassung über. Ungeachtet dessen stellt auch eine bedingte Zulassung sicher, dass das Sicherheitssystem für Arzneimittel der EU vollumfänglich greift. Dieses beinhaltet Herstellerkontrollen, einschließlich Chargenkontrollen für Impfstoffe sowie die Überwachung nach der Zulassung inklusive der Berichtspflichten über unerwünschte Arzneimittelwirkungen und eines Risikomanagementplans (RMP). „Conditional Marketing Authorizations“ sind ein erprobtes Instrument. Seit ihrer Einführung wurden im zentralen Zulassungsverfahren bereits 33 bedingte Zulassungen erteilt, unter anderem für das erste COVID-19-Therapeutikum Remdesivr (Veklury®) Anfang Juli dieses Jahres. Bislang wurde für keine erteilte bedingte Zulassung das Ruhen oder der Widerruf angeordnet. Das Verfahren hat sich also bewährt.
Gibt es auch eine europäische Notfallzulassung?
Daneben besteht im zentralen Zulassungsverfahren auch noch die Möglichkeit, eine Zulassung „unter außergewöhnlichen Umständen“ (under exceptional circumstances) zu erwirken (Art. 14(8) der Verordnung (EG) Nr. 726/2004). Diese ist jedoch nur für sehr eingeschränkte Fallkonstellationen gedacht – und zwar im Wesentlichen dann, wenn der Antragsteller nachweisen kann, dass er voraussichtlich auch in Zukunft keine vollständigen Daten über die Wirksamkeit und Sicherheit des Arzneimittels zur Verfügung stellen kann, etwa weil die Indikationen für das betreffende Arzneimittel so selten vorkommen. Bislang wurden auf zentralem Wege immerhin schon 40 Zulassungen „unter außergewöhnlichen Umständen“ erteilt. Trotzdem dürfte dieser Weg für einen COVID-19-Impfstoff angesichts der Kriterien kaum in Frage kommen. Damit sind die Möglichkeiten für solche Sonderzulassungen im zentralen Verfahren ausgeschöpft.
„Notfallzulassung“ ist streng genommen keine Zulassung
Bleibt der nationale Weg, und hier kommt die „Notfallzulassung“ ins Spiel. Nach dem EU-Kodex für Humanarzneimittel können die Mitgliedstaaten als Reaktion auf die vermutete oder bestätigte Verbreitung von krankheitserregenden Substanzen (…) vorübergehend das Inverkehrbringen eines nicht genehmigten Arzneimittels gestatten (Art. 5(2) der Richtlinie 2001/83/EG). Die Europäische Kommission betont in ihren Erläuterungen, dass eine solche Notgenehmigung keine Zulassung bedeutet, sondern die Genehmigung der vorübergehenden Anwendung eines nicht zugelassenen Arzneimittels, hier „Impfstoffs“ in einer Notsituation.
Notfallgenehmigung in Deutschland schon früh angedacht
In Deutschland können die zuständigen Behörden in Krisenzeiten bei einer Pandemie im Einzelfall gestatten, dass Arzneimittel, die hierzulande nicht zugelassen sind, befristet in den Verkehr gebracht werden (§ 79 Abs. 5 AMG). Dies gilt im Falle eines Versorgungsmangels mit den Arzneimitteln, die für die Vorbeugung oder Behandlung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit benötigt werden. Das BMG hatte einen solchen Versorgungsmangel mit Blick auf das neuartige Coronavirus (COVID-19) vorsorglich schon am 27. Februar 2020 bekannt gemacht, will den Weg der Sondergenehmigung aktuell aber nicht beschreiten, wie Jens Spahn immer wieder betont. Stattdessen hält man an dem einheitlichen europäischen Weg fest, von dem sich die Länder eine höhere Verlässlichkeit des Verfahrens versprechen.
Eingehendere Prüfung und einhellige Bewertung
Zwischen einer bedingten EU-Marktzulassung und nationalen Notfallzulassungen gibt es wesentliche Unterschiede. So muss bei einer bedingten Marktzulassung der ganze Katalog an Daten und Unterlagen, den das strenge EU-Zulassungsrecht vorsieht, vorgelegt und im Detail geprüft werden. Bei einer nationalen Notfallzulassung entscheidet ein Mitgliedstaat dagegen selbst darüber, welche Daten für eine solche Zulassung erforderlich sind und welche Anforderungen er an die Verwendung und Überwachung des Impfstoffs stellt. Hier können unter Umständen Abstriche gemacht werden, beispielsweise in Bezug auf den Umfang der klinischen Daten und Wirksamkeitsanalysen. Die EU-Kommission betont in ihren Erläuterungen, dass die behördliche Beurteilung der Daten deswegen mehr Zeit benötigen kann als ein Notfallzulassungsverfahren. Außerdem sind an der Überprüfung zentraler Zulassungsanträge regelmäßig viele Experten aus allen Mitgliedstaaten beteiligt. Das heißt, es muss ein weitreichender Konsens hergestellt werden.
Die Krux der Haftung
Es gibt aber noch einen weiteren wesentlichen Unterschied, nämlich die Haftungsfrage. Bei einer bedingten EU-Marktzulassung haftet wie bei einer „normalen“ Zulassung deren Inhaber, also das herstellende Pharmaunternehmen. Im Falle einer Notfallzulassung für den vorübergehenden Vertrieb als nicht zugelassenes Produkt müssen die Mitgliedstaaten den Hersteller wie auch den Verantwortlichen für das Inverkehrbringen nach EU-Recht von der administrativen und zivilrechtlichen Haftung ausnehmen, wenn sie eine solche Notfallverwendung empfehlen oder vorschreiben. Dies dürfte für die Länder, die sich bei der Zulassung von COVID-19-Impfstoffen klipp und klar für die europäische Lösung ausgesprochen haben, ebenfalls eine maßgebliche Rolle spielen.
Zulassung schnellstmöglich
Die EMA hatte angekündigt, die Prüfung des COVID-19-Impfstoffs von Biontech/Pfizer am 21. Dezember in einem Sonder-Meeting abschließen zu wollen. Nach der nun positiven Empfehlung des Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP) der EMA will die Kommission die Marktzulassung des Impfstoffes schnellstmöglich beschließen. Dafür muss sie auch noch einmal die Mitgliedstaaten konsultieren. Wenn diese die Zulassung mit qualifizierter Mehrheit befürworten, kann die EU-weite Vermarktung des Impfstoffs genehmigt werden.
Die Anwender und Empfänger der Impfstoffe können sich am Ende darauf verlassen, dass bei dem Verfahren alle „Netze und doppelten Böden“ genutzt wurden, die aktuell in dieser unsicheren Lage zur Verfügung stehen.
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