COVID-19-Impfung

Die drei Teile des AstraZeneca-Puzzles – Neu: das Spleiß-Problem

Stuttgart - 28.05.2021, 16:44 Uhr

Die Hinweise verdichten sich, dass (schwerere) Nebenwirkungen bei COVID-19-Impfung vor allem ein Problem der vektorbasierten Impfstoffe sind. (Foto: IMAGO / ANP)

Die Hinweise verdichten sich, dass (schwerere) Nebenwirkungen bei COVID-19-Impfung vor allem ein Problem der vektorbasierten Impfstoffe sind. (Foto: IMAGO / ANP)


Der COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca Vaxzevria hat in den letzten Tagen erneut und mehrfach mediale Aufmerksamkeit erregt. Manche Medienberichte suggerieren dabei, dass man in Deutschland die Lösung für das Rätsel rund um die (seltenen und schweren) Nebenwirkungen von Vaxzevria nun endgültig gelüftet habe. Das ist nicht so. Interessant sind die Spuren, welche die Wissenschaft verfolgt, dennoch. Sie könnten unser Verständnis für Impfstoffe auch jenseits von COVID-19 verbessern. DAZ.online hat sich um eine Einordnung bemüht. 

Das Rätsel um die verstärkten bis hin zu sehr seltenen schweren Nebenwirkungen rund um den COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca wird in der Wissenschaft intensiv erforscht. Während bislang vor allem eine Arbeitsgruppe aus Greifswald Erkenntnisse zum besseren Verständnis und zur Therapie der sehr seltenen Nebenwirkungen lieferte, haben nun auch Wissenschaftler:innen aus Ulm und Frankfurt Puzzleteile beigesteuert. Sie gehen davon aus, dass sich ihre drei Puzzleteile am Ende zu einer gemeinsamen Hypothese zusammenfügen lassen, welche die bei AstraZeneca (und auch Janssen) beobachteten Nebenwirkungen zumindest zum Teil erklärt.

Bereits im April berichtete DAZ.online, dass mittlerweile auch die EMA davon ausgeht, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der Verabreichung der vektorbasierten COVID-19-Impfstoffe von AstraZeneca (Vaxzevria) / Janssen und seltenen schwerwiegenden Thrombosen in Verbindung mit Thrombopenie besteht. Damals hatte Professor Andreas Greinacher von der Universitätsmedizin Greifswald vorab seine neuesten Erkenntnisse publiziert. Es hieß, alles deute darauf hin, dass es die Adenovirus-Vektor-basierten Impfstoffe sind, bei denen das Risiko für VITT (Vaccine-induced Immune Thrombotic Thrombocytopenia) besteht – ausgelöst durch Adenovirus- und/oder andere PF4-DNA-Interaktionen (Plättchenfaktor 4). 

Schon im März hatte man in Greifswald bei den seltenen schweren Nebenwirkungen unter AstraZeneca eine Analogie zu heparininduzierten Thrombozytopenien vermutet, die schließlich den Namen VITT erhielt. 

Puzzleteil 2: Die Verunreinigungen

Aus dem pharmazeutischen Blickwinkel war im April ein weiteres Ergebnis aus Greifswald besonders interessant: „Das Ausmaß der akuten Entzündungsreaktion, die durch die Impfstoffkomponenten induziert wird, scheint ein wichtiger – und potenziell behebbarer – Faktor zu sein, der durch die Reduzierung von Verunreinigungen und das Weglassen von EDTA verringert werden könnte“, hieß es. Zu den Einschränkungen der Studie zähle aber, dass die detaillierten Spezifikationen des ChAdOx1 nCov-19-Impfstoffs nicht öffentlich verfügbar seien und die potenziellen Auswirkungen von vorgefundenen etwa 35-40 µg humanen Zellkulturproteinen (als Verunreinigung aus der Produktionszelllinie T-REx HEK-293) pro Impfdosis von den zuständigen Zulassungsbehörden noch bewertet werden müssten.

Diese also schon in Greifswald erkannten Proteinverunreinigungen haben nun aktuell durch eine Pressemitteilung einer Arbeitsgruppe aus Ulm medial eine größere Aufmerksamkeit erfahren. In der ebenfalls zunächst nur auf einem Preprint-Server erschienen Arbeit und der zugehörigen Mitteilung heißt es, dass in den Untersuchungen der Proteingehalt pro Impfdosis deutlich über den theoretisch zu erwartenden 12,5 µg liege. In einer genauer untersuchten Charge habe er sogar 32 µg betragen. 

Wie Prof. Greinacher aus Greifswald gegenüber dem Science Media Center anlässlich der neuesten Ergebnisse aus Ulm erläuterte, hatte ihm Professor Kochanek aus der Arbeitsgruppe in Ulm den entscheidenden Hinweis gegeben, Untersuchungen auf Verunreinigungen durchzuführen. „Die Ulmer Arbeitsgruppe hat jetzt unabhängig von unserem Labor sehr ähnliche Ergebnisse gefunden, was aus wissenschaftlicher Sicht erst einmal sehr gut ist.“ Gegenüber der Stuttgarter Zeitung erklärte die Erstautorin der Arbeit aus Ulm Lea Krutzke, dass sie selbst mit AstraZeneca erstgeimpft sei. Sie mache sich deshalb nun keine Sorgen, könne aber eine grundsätzliche Einschätzung zur Sicherheit des Impfstoffs nicht vornehmen.

Reichen bisherige Qualitätskontrollen nicht aus?

Prof. Dr. Leif-Erik Sander, Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung, Charité – Universitätsmedizin Berlin, sagte gegenüber dem Science Media Center auf die Frage, ob und wie man die Qualität von Impfstoffen verbessern könne: „Natürlich können Produktions- und Aufreinigungsprozesse verbessert werden. Aber je weiter man ein Produkt aufreinigt, desto mehr Verlust werden Sie auch haben, und am Ende entsteht weniger Produkt. Die Frage bleibt bestehen, ob es überhaupt nötig ist, das Produkt weiter aufzureinigen und ob diese ‚Verunreinigungen‘ überhaupt von Relevanz sind.“ Krutzke sagte gegenüber der „Stuttgarter Zeitung“ dazu wiederum: „Die Qualitätskriterien lassen eigentlich nicht zu, dass so viele Proteine im Impfstoff sind, die da nicht reingehören“, Studienleiter Stefan Kochanek aus Ulm meint zudem, das Maß der Verunreinigung weise darauf hin, dass die bislang bei der Qualitätskontrolle eingesetzten Verfahren offenbar nicht ausreichen.

Puzzleteil 3 – und das sagt das PEI

Dass Herstellungsprozess und Qualitätskontrolle von Herstellern und Behörden doch noch einmal genauer betrachtet werden sollten, darauf weist – wenn auch aus anderem Grund – mittlerweile noch ein dritter Preprint aus Frankfurt hin. An diesem sind ebenfalls Krutzke und Kochanek aus Ulm beteiligt. Rolf Marschalek, Professor für Pharmazeutische Biologie in Frankfurt, ist zuständig für die Kommunikation rund um die neueste Publikation. Darin kann man nachlesen, dass bislang zwar erklärt werden kann, wie es zur vakzininduzierten Thrombozytopenie kommt, allerdings lasse sich damit nicht erklären, wie es schließlich verzögert zu den seltenen und schwerwiegenden beobachteten Thrombosen kommt. Die Wissenschaftler:innen des neuesten Preprints vermuten nun, dass das Problem der vektorbasierten COVID-19-Impfstoffe sich darin begründet, dass die adenovirale DNA aus dem Impfstoff in den Zellkern eindringt und dort in RNA übersetzt wird (bei mRNA-Impfstoffen ist das nicht nötig). 

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Dabei kann es passieren, dass die entstandene RNA, die schließlich den Bauplan für das Antigen liefert, vom Körper weiter „zugeschnitten“ wird (sogenanntes Spleißen). Das Problem, das dabei entstehe: Solche Spleiß-Ereignisse können zu Spike-Proteinvarianten führen, die den wichtigen Membrananker verloren haben, lösliche Spike-Proteine seien die Folge, heißt es. Es sei beschrieben worden, dass diese löslichen Proteine beispielsweise eine starke Entzündungsreaktion auf Endothelzellen verursachen können („Vaccine-Induced Covid-19 Mimicry” Syndrome). So ließen sich mit der systemischen Verfügbarkeit des Spike-Proteins auch bei einer schweren COVID-19-Infektion die thromboembolischen Ereignisse erklären. Selbst Pseudoviren mit Spike-Protein auf der Oberfläche würden – wenn systemisch verfügbar – starke Entzündungsreaktionen in Geweben und Endothelzellen verursachen. 

Die Nachricht dieser neuesten Studie an die Hersteller der vektorbasierten Corona-Impfstoffe ist schließlich, dass sich beeinflussen lässt, ob und wo die RNA geschnitten wird. Beim Impfstoff von Johnson & Johnson ist das Spleißen nämlich offenbar weniger problematisch als bei AstraZeneca. Laut Medienberichten sind die Wissenschaftler:innen dazu mit Johnson & Johnson bereits im Austausch, mit AstraZeneca habe man aber noch nicht gesprochen. Auch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) haben die Wissenschaftler:innen informiert, dort war man von dem Spleiß-Problem offenbar überrascht.

Bislang gibt es nicht die eine Lösung

Auf Anfrage von DAZ.online hat Marschalek die drei Puzzleteile nochmals eingeordnet: „Ich denke, dass die Kombination aus VITT (Greinacher, Greifswald), den starken Verunreinigungen im Impfpräparat (Kochanek, Ulm) und den von uns aufgezeigten Mechanismus des Spleißens des Spikeproteins (Marschalek, Frankfurt) alles einen Beitrag leistet, damit in seltenen Fällen diese Thrombosen auftreten (nicht nur Hirnvenen Thrombosen). Alle diese Dinge sind wichtig: Autoantikörper gegen PF4, eine starke Inflammatorische Reaktion und die C-terminal verkürzten Spike Proteinvarianten.“ Das PEI und die STIKO seien stets über die Arbeiten informiert gewesen, bestätigt er außerdem. „Beide Institutionen hatten mir geraten, mich mit den Kollegen in Ulm zu vernetzen.“

Am vergangenen Donnerstag hat sich nun auch das PEI gegenüber DAZ.online zum Thema mit einer ausgearbeiteten Information geäußert. Die Publikationen seien am Institut bekannt, zu klären sei nun, ob ein ursächlicher Zusammenhang besteht. „Die in die Diskussion gebrachten Fremdproteine in Vaxzevria (Kochanek) oder die Bildung löslichen Spike-Proteins (Marschalek) müssen daher ebenso wie andere Ursachen weiter untersucht werden“, so das PEI.

Alle bisher freigegebenen Chargen des Impfstoffs Vaxzevria von AstraZeneca würden jedenfalls den vor der Zulassung untersuchten und in der Zulassung festgelegten Anforderungen genügen. Zu den Fremdproteinen äußert sich das PEI konkret so: „Eine akzeptable Menge an verunreinigenden Fremdproteinen, die aufgrund des Herstellungsprozesses Bestandteil des Impfstoffprodukts sein können, ist bei Impfstoffen nicht unüblich und stellt per se, wie in den nichtklinischen und klinischen Prüfungen bestätigt, kein Risiko dar.“

Vor der Chargenfreigabe erfolge eine experimentelle Überprüfung des Impfstoffs im Rahmen des OMCL (Official Medicines Control Laboratory)-Netzwerks durch ein unabhängiges Kontrolllabor (das Paul-Ehrlich-Institut ist eines der OMCL) und eine nationale Chargenfreigabe für Deutschland durch das Paul-Ehrlich-Institut, wird zudem erklärt.

Das PEI verweist schließlich auch darauf, dass die COVID-19 Vaccine Janssen (Johnson & Johnson) herstellungsbedingt eine geringere Menge Fremdprotein aufweise. Dennoch seien ebenfalls sehr seltene Fälle von TTS gemeldet worden. 

Schließlich seien dem Paul-Ehrlich-Institut weitere Untersuchungen zu möglichen Mechanismen, die einem TTS nach Gabe bestimmter COVID-19- Impfstoffe zugrunde liegen könnten, bekannt „und werden sicher in Kürze veröffentlicht“.

Man darf also gespannt bleiben welche Erkenntnisse Behörden und Wissenschaft zu vektorbasierten Corona-Impfstoffen in Zukunft verkünden werden. Die breite Masse wird sicherlich baldige Aufklärung erwarten, angesichts der Hypothese, dass die Impfstoffe auf Herstellerseite optimierbar sein könnten. Die EMA hatte im März keine Hinweise auf einen Zusammenhang mit bestimmten Chargen des Impfstoffs oder der Herstellung finden können.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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