Infektiosität von SARS-CoV-2

Gemessene Viruslast ist nicht die einzige Determinante

Remagen - 28.05.2021, 10:45 Uhr

Ein Forschungsteam der Charité um Professor Christian Drosten hat für mehr als 25.000 COVID-19-Fälle die Menge des Viruserbguts in der PCR-Probe bestimmt und daraus die Ansteckungsfähigkeit der positiv getesteten Personen abgeschätzt. (Foto: OSORIOartist / AdobeStock)

Ein Forschungsteam der Charité um Professor Christian Drosten hat für mehr als 25.000 COVID-19-Fälle die Menge des Viruserbguts in der PCR-Probe bestimmt und daraus die Ansteckungsfähigkeit der positiv getesteten Personen abgeschätzt. (Foto: OSORIOartist / AdobeStock)


Es ist eine der wichtigsten Fragen, wenn es um Strategien gegen die Corona-Pandemie geht: der Zusammenhang zwischen Viruslast und Ansteckungsgefahr. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung des renommierten Berliner Virologen Christian Drosten hat nun die Ergebnisse der bisher größten Untersuchung von Viruslasten bei SARS-CoV-2 vorgelegt und daraus die Ansteckungsfähigkeit positiv getesteter Personen abgeschätzt.

Ein Forschungsteam der Charité – Universitätsmedizin Berlin um Prof. Dr. Christian Drosten hat aus umfangreichen Daten von SARS-CoV-2-PCR-Testungen wertvolle neue Erkenntnisse zum Infektionsgeschehen in der Corona-Pandemie gewonnen. Ebenfalls an der Untersuchung beteiligt waren Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF), Forscher der University of Cambridge, des Norwegian Institute of Public Health, der University of Oslo, der Labor Berlin – Charité Vivantes GmbH, der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel sowie vom Labor Dr. Krause und Kollegen MVZ GmbH. Die Ergebnisse der Studie wurden jetzt im Fachmagazin „Science“ veröffentlicht.

Viruslast in 25.000 Proben gemessen

Basierend auf dem R-Wert des neuartigen Coronavirus steckt eine mit SARS-CoV-2 infizierte Person im Schnitt etwa drei bis fünf andere Menschen an. Das ist zwar eine wichtige Erkenntnis, aber daraus lässt sich nicht ableiten, wie hoch die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung im individuellen Fall oder in bestimmten Bevölkerungsgruppen ist. Das macht das Kontaktgeschehen in der Pandemie so unberechenbar. Der Frage, wer warum und wann mehr oder weniger ansteckend sein könnte, wollten die Berliner Wissenschaftler und ihre Kollegen aus Großbritannien und Norwegen näher auf den Grund gehen. 
Zunächst ermittelten sie hierzu für mehr als 25.000 COVID-19-Fälle die Viruslast, gemessen als Anzahl der Erbgutkopien von SARS-CoV-2 in den PCR-Proben. Diese repräsentieren näherungsweise die Virusmenge im Rachen der Patienten und erlauben deshalb Voraussagen über deren potenzielles Ansteckungspotential. Um die Infektiosität noch besser abschätzen zu können, stellten sie die Viruslast in Zusammenhang mit Erkenntnissen darüber, ab welcher Viruslast typischerweise eine Anzucht von SARS-CoV-2 im Labor gelingt, also vermehrungsfähiges Virus in der Probe nachweisbar ist (Kulturwahrscheinlichkeit). Aus diesen Zellkulturstudien leiteten sie die geschätzte Infektiositätswahrscheinlichkeit ab.  

Kleine Kinder haben deutlich geringere Viruslasten

Die Analyse nach Altersgruppen zeigte bei SARS-CoV-2-Infizierten zwischen 20 und 65 Jahren keine nennenswerten Unterschiede in der Viruslast: Im Schnitt enthielten deren Rachen-Abstriche rund 2,5 Millionen Kopien des SARS-CoV-2-Erbguts. In den Proben der jüngsten Kinder bis zu fünf Jahren waren die Viruslasten mit etwa 800.000 Erbgutkopien am niedrigsten. Bei älteren Kindern und Jugendlichen glichen sie sich mit steigendem Alter an die der Erwachsenen an. Das ist aber mit Blick auf die Infektiosität noch lange nicht der Weisheit letzter Schluss, denn hier spielen noch andere Faktoren eine Rolle.

Kleinere Tupfer, niedrigere Viruslast

So hängt die niedrigere Viruslast bei Kindern Drostens Meinung nach auch mit der unterschiedlichen Probennahme bei Kindern und Erwachsenen zusammen. Zum einen würden bei Kindern kleinere Abstrichtupfer eingesetzt, die weniger als halb so viel Probenmaterial in die PCR-Testung einbringen. Zum anderen würden bei ihnen statt der schmerzhaften tiefen Nasenrachen-Abstriche oft einfache Rachenabstriche gemacht, in denen sich noch mal weniger Virus finde. Deshalb seien bei Kindern mit gleicher Virusvermehrung von vorn herein geringere Viruslast-Messwerte in der PCR zu erwarten, so seine Schlussfolgerung.

Etwa gleich große Infektiosität aller Altersgruppen

Die Abschätzung der Infektiositätsrate in Zellkulturen ergab für die jüngsten Kinder bis zu fünf Jahren etwa 80 Prozent des Erwachsenen-Wertes, jeweils bezogen auf den Spitzenwert im Viruslastverlauf. Auch hier kamen die Schüler und Heranwachsenden näher an die Erwachsenen heran. „Dies verdeutlicht, dass man Viruslasten nicht einfach proportional in Infektiosität umrechnen kann“, erklärt Drosten. „Und auch diese datenbasierten Schätzungen der Infektiosität muss man noch mal nach oben korrigieren wegen der unterschiedlichen Probennahme bei Kindern.“ All dies fließe in eine klinisch-virologische Bewertung ein, fügt der Virologe an. Insgesamt erachten die Autoren der Studie die Viruslastunterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen als zu gering, als dass diese allein große Unterschiede in der Infektionsfähigkeit erzeugen könnten. Sein anfänglicher Eindruck einer ungefähr gleich großen Infektiosität aller Altersgruppen habe sich so bestätigt, stellt Drosten fest.

Ein bis drei Tage vor Symptombeginn die höchste Viruslast

Für mehr als 4.300 Fälle konnten die Forscher auf mehrere Test-Proben zurückgreifen. Damit konnten sie die Entwicklung der Viruslast im Rachen erstmals in großem Umfang nachzeichnen und auf diese Weise einen typischen Verlauf der Infektion statistisch beschreiben. Anhand ihrer neuen Verlaufsmodelle gehen sie davon aus, dass die Viruslast im Rachen bei allen SARS-CoV-2-Infizierten schon ein bis drei Tage vor Symptombeginn am höchsten ist.  

Die Ergebnisse der Analyse im Hinblick auf die Ausprägung der Symptomatik decken sich aus Drostens Sicht mit früheren Beobachtungen. Zwar war die Viruslast bei Personen, die ins Krankenhaus aufgenommen werden mussten, über den gesamten Verlauf höher als bei anderen Getesteten, aber auch Betroffene ohne Krankheitszeichen können sehr hohe Viruslasten haben. 

Die Superspreader

Unter den 25.000 untersuchten COVID-19-Fällen stachen etwa 9 Prozent mit einer außergewöhnlich hohen Viruslast von einer Milliarde Erbgutkopien oder mehr hervor. Bemerkenswerterweise hatte mehr als ein Drittel dieser potenziell hochinfektiösen Personen keine oder nur milde Symptome. „Diese Daten liefern eine virologische Grundlage für die Beobachtung, dass nur eine Minderheit der Infizierten den größten Teil aller Übertragungen verursacht“, erklärt Drosten dazu. „Dass sich hierunter so viele Menschen ohne relevante Krankheitssymptome finden, macht klar, warum Maßnahmen wie Abstandsregeln und die Maskenpflicht für die Kontrolle der Pandemie so wichtig sind.“

„Britische“ Virusvariante 2,6-mal infektiöser

Die neuen umfangreichen Datensätze stützen noch eine weitere Vermutung, die sich auf die in Deutschland mittlerweile weitaus vorherrschende Variante B.1.1.7 bezieht. In den rund 1.500 Proben von Personen, die damit infiziert waren, wies das Forschungsteam eine im Schnitt zehnfach höhere Viruslast nach. Die Infektiosität im Labor schätzen die Wissenschaftler auf das 2,6-Fache. Für Drosten steht zweifelsfrei fest, dass das B.1.1.7-Virus infektiöser ist als andere Varianten, auch wenn Laborversuche das bisher noch nicht abschließend erklären können.  

Das Forscherteam will die Auswertungen der Viruslast im Verlauf der Pandemie kontinuierlich fortsetzen. Es erhofft sich damit auch Erkenntnisse über den Einfluss der zunehmenden Immunisierung der Bevölkerung und die Bildung neuer Varianten, die dadurch ausgelöst werden könnte.  



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Sondengröße? Prozedere?

von Harald Schmidt am 30.05.2021 um 5:57 Uhr

Im Paper sehe ich keinen direkten Vergleich verschiedener Sonden-Größen in derselben Person, auch keinen direkten Vergleich Rachen versus Nasenrachen-Abstrich. Worauf stützen sich dann diese Schlussfolgerungen.

Davon unabhängig, am praktikabelsten ist aus meiner Sicht Rachen gefolgt von Nase so tief wie es geht, in der Reihenfolge und mit derselben Sonde. Damit habe ich mehr Positive gefischt als andere mit angeblich nasopharyngealem Abstrich.

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