Faktenblatt

BMG erklärt sich zu den „Schrottmasken“

Stuttgart - 07.06.2021, 17:25 Uhr

Jens Spahn ist mal wieder unter Beschuss. Diesmal geht es um die Verteilung angeblich minderwertiger Masken. (c / Foto: IMAGO / Political-Moments)

Jens Spahn ist mal wieder unter Beschuss. Diesmal geht es um die Verteilung angeblich minderwertiger Masken. (c / Foto: IMAGO / Political-Moments)


„Spahn verteilt Schrottmasken an Obdachlose“ – Schlagzeilen mit dieser Botschaft waren am vergangenen Wochenende allerorten zu lesen und zu hören. Das Bundesgesundheitsministerium versucht nun, die Wogen zu glätten. Dazu hat es ein umfangreiches Faktenblatt erstellt, indem es seine Sicht der Dinge erklärt: Die verteilten Masken erfüllten nachweislich die Anforderungen des Infektionsschutzes, es gebe nur unterschiedliche Auffassungen bei der Rechtsgrundlage.

Ein „Spiegel“-Artikel schlug am Wochenende hohe Wellen – wieder einmal unter Beschuss: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Der Vorwurf: Sein Ministerium soll im Frühjahr 2020, als Masken absolute Mangelware waren, Hunderte Millionen Exemplare aus China bestellt haben. Zum Beispiel die Schutzmaske der Firma Yi Cheng, wie der „Spiegel“ schreibt. Normalerweise sei sie in Deutschland nicht zugelassen, denn sie habe kein europäisches CE-Zeichen und verspreche nur den chinesischen Standard KN95. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) habe sie im Schnellverfahren prüfen lassen – allerdings laut „Spiegel“ nicht „mit dem neuen Schnellverfahren, das damals frisch eingeführt wurde, um Deutschland in der Not rascher versorgen zu können“, sondern mit einer noch abgespeckteren Variante. Konkret wurde die Temperaturprüfung weggelassen, bei der getestet wird, was passiert, wenn die Maske 24 Stunden lang 70 °C ausgesetzt ist. Ebenfalls nicht durchgeführt wurde wohl eine Gebrauchssimulation, mit der man herausfinden möchte, wie sich eine Tragedauer von 20 Minuten auf die Schutzwirkung auswirkt. Und so soll auch mit vielen anderen Masken aus China verfahren worden sein. Das BMG streitet sich nun schon eine Weile mit dem Arbeitsministerium, wie man mit diesen Masken verfahren soll. Das von Spahn geführte Haus will sie wohl unters Volk bringen, das SPD-geführte Arbeitsministerium nicht, weil sie nach dessen Ansicht die Anforderungen nicht erfüllen. Denn laut „Spiegel“-Recherche hätten nach dieser Ultrakurzprüfung die Masken gar nicht verteilt werden dürfen. Das BMG soll aber versucht haben, sie in Sonderaktionen an Hartz-IV-Empfänger, Behinderte oder Obdachlose zu verteilen. Bis heute sitze der Bund auf Hunderten Millionen dieser Masken. Nun sei das Infektionsschutzgesetz so geändert worden, dass diese Masken in die neue Notreserve des Bundes wandern und dort verfallen können. 

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Die Empörung ist entsprechend groß, Spahns Rücktritt wird gefordert. Das BMG hat seinerseits am gestrigen Sonntag ein Faktenblatt veröffentlicht, in dem es seine Sicht der Dinge ausufernd erklärt. Es verweist dabei auf die absolute Notlage hinsichtlich der Beschaffung von Schutzausrüstung und dass die EU-Kommission die Einfuhr und Nutzung von Persönlicher Schutzausstattung aus Staaten außerhalb der Europäischen Union vereinfacht und auch ausdrücklich empfohlen habe. Weil aber bei Masken aus China die Dokumente „vielfach unzureichend“ sind, haben das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), der TÜV Nord und das BMG einen besonderen Prüfmaßstab für Infektionsschutzmasken entwickelt, um die Einhaltung der grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen für den bezweckten Einsatz der Schutzmasken als COVID-19-Schutz insbesondere im medizinischen Bereich zu gewährleisten, erklärt das BMG. 

BMG: CPI-Prüfmaßstab gewährleistet einen effektiven Infektionsschutz

Der Prüfgrundsatz sei mittlerweile unter dem Begriff CPI (Corona-Pandemie- Infektionsschutzmaske) im Infektionsschutzgesetz normiert und wissenschaftlich abgesichert. Er überprüfe speziell die infektionsschützende Wirkung der Masken, so das BMG weiter. Alle Schutzmasken, die den CPI-Prüfmaßstab erfüllten, gewährleisteten einen effektiven Infektionsschutz.

„Die verteilten Schutzmasken erfüllen nachweislich die Anforderungen des Infektionsschutzes – und genau um den geht es in der aktuellen Pandemie“

Tatsächlich gebe es aber zwei wesentliche Unterscheide zwischen dem CPI-Prüfgrundsatz und den früher, vor der Empfehlung der EU-Kommission zur erleichterten Einfuhr, geltenden Regelungen, nämlich die Temperaturkonditionierung und die Gebrauchssimulation. Erstere zielt aber nach Ansicht des BMG vor allen auf den Arbeitsschutz ab und ist deswegen für den gewünschten Zweck erlässlich. Anlege- und Gebrauchssimulationen hingegen seien durchgeführt, eben nur nach einem anderen Maßstab. Und so lautet das Fazit des BMG: „Die Schutzmasken, die seitens des BMG zur Verteilung an Gemeinschaftseinrichtungen vorgeschlagen wurden, erfüllen nachweislich die Anforderungen des Infektionsschutzes – und genau um den geht es in der aktuellen Pandemie.“

Aber genau auf diesem Unterschied gründet der Zwist zwischen den Ministerien: BMG und BMAS haben offenbar unterschiedliche Vorstellung von der Prüfnorm. Denn im Zusammenhang mit Corona wurde eine weitere vereinfachte Prüfnorm geschaffen – Corona-Pandemie-Arbeitsschutz (CPA). Und diese werde vom Arbeitsministerium eingefordert, erläutert das BMG weiter in dem Faktenblatt. „Zwischen BMAS und BMG gib es keine unterschiedlichen Auffassungen über die notwendige Sicherheit, wohl aber über die korrekt anzuwendenden Rechtsgrundlagen“, heißt es wörtlich. In den Aspekten, die dem Infektionsschutz dienen, seien beide Normen aber identisch, beteuert Spahns Ministerium.

BMG: Rechtsgrundlage über Nacht geändert

Auch dazu, warum die beschafften Masken in der zweiten und dritten Welle nicht eingesetzt wurden – und wohl deswegen jetzt überhaupt übrig sind –, erklärt sich das BMG. So seien nämlich die vereinfachten Regelungen im Oktober zurückgenommen, die vor dem Beginn der Pandemie geltenden Regelungen wieder aktiviert und buchstäblich über Nacht eine veränderte Rechtsgrundlage geschaffen worden, „so, als ob die Pandemie vorbei wäre. Das war sie aber nicht“, schreibt das BMG. Seit Beginn der zweiten Welle habe man sich daher darum bemüht, die Pandemieregelungen wieder in Kraft zu setzen, um auch die vom Bund beschafften CPI-Masken zum Einsatz bringen zu können. Auch viele Bundesländer hätten sich das gewünscht, um ihre Maskenvorräte abzubauen.

BMAS wollte einerseits zusätzliche Prüfungen, andererseits schnelle Versorgung

Man habe mit Nachprüfungen begonnen. Weil das BMAS die Temperaturkonditionierung und verlängerten Gebrauchssimulation gefordert hatte, seien diese sehr zeitaufwendig gewesen. „Die Masken konnten deshalb leider in der zweiten und dritten Welle der Pandemie nicht mehr zum Einsatz gebracht werden, obwohl sie den Anforderungen des Infektionsschutzes entsprachen. Um genau diese Diskussion geht es in der aktuellen Berichterstattung“, so das BMG. Weiter heißt es: „Da sich in der Folge herausstellte, dass eine entsprechende zusätzliche Prüfung nach den vom BMAS nachträglich erhobenen Anforderungen mehrere Monate in Anspruch genommen hätte, gleichzeitig aber das BMAS auf eine zügige Belieferung insbesondere an die Einrichtungen der Obdachlosen- und Eingliederungshilfe drängte, hat das BMG vorgeschlagen, nunmehr mittlerweile ausreichend verfügbare FFP2-Masken, die in Deutschland seit Sommer 2020 im Auftrag des BMG produziert werden, zu versenden. Dies ist dann so erfolgt.“

Nicht zuletzt verweist das BMG drauf, dass der CPI-Standard mittlerweile gesetzlich geregelt und in der Anlage zu § 5 b des Infektionsschutzgesetzes abgebildet sei – dort sind Schutzmaskennormen für die Nationale Reserve Gesundheitsschutz bestimmt. Diese Regelung sei einvernehmlich von allen Bundesministern im Kabinett beschlossen, vom Bundestag beraten und verabschiedet worden. Damit, so das Ministerium, bestehe über die Tauglichkeit dieser CPI-Schutzmasken für Zwecke des Infektionsschutzes Einvernehmen in der gesamten Bundesregierung. 



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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