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Kaum jemals zuvor hat die Europäische Arzneimittelagentur ein so bewegtes Jahr hinter sich gebracht wie das vergangene. 2020 war vornehmlich geprägt von der COVID-19-Pandemie, aber auch von einigen Jubiläen, den Nachwirkungen des Brexits und dem immensen Arbeitsanfall bei den Kernaufgaben der Agentur als Prüfinstanz für den Gesundheitsschutz. Dabei wurde das Massen-Tagesgeschäft fast zur Randerscheinung. DAZ.online hat einen Blick in den Jahresbericht 2020 der EMA geworfen.
Im vergangenen Jahr hatte vor allem die Corona-Pandemie die Europäische Arzneimittelagentur voll im Griff. Und die EMA ist das Problem tatkräftig angegangen, wie in dem jetzt veröffentlichten Annual Report 2020 nachzulesen ist.
Bereits am 4. Februar 2020 aktivierte sie ihren Plan zum Management neu entstehender Gesundheitsbedrohungen und zur Förderung der Entwicklung potenzieller Impfstoffe oder Behandlungen für Patienten mit COVID-19. Im April 2020 etablierte sie die COVID-19 EMA Pandemie Task Force (COVID-ETF).
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Bis Ende 2020 waren 75 beschleunigte wissenschaftliche Beratungsverfahren (scientific advice) abgeschlossen worden. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits zwei COVID-19-Arzneimittel eine bedingte Zulassung erhalten, nachdem sie vorher einen sogenannten Rolling Review durchlaufen hatten, das Therapeutikum Veklury® von Gilead und der Impfstoff Comirnaty® von Biontech und Pfizer. Drei weitere, Modernas mRNA-1273 COVID-19-Impfstoff sowie die Vektorvakzine von AstraZeneca/Universität Oxford und von Johnson & Johnson, waren ebenfalls schon „ante portas“. Im September 2020 befürwortete die EMA außerdem die Verwendung des Corticosteroids Dexamethason bei der Behandlung von hospitalisierten COVID-19 Patienten, die eine Sauerstofftherapie benötigen.
97 neue Zulassungen befürwortet
Insgesamt empfahl die Agentur im vergangenen Jahr 97 neue Humanarzneimittel zur Zulassung, die höchste Zahl seit mehr als zehn Jahren. Davon enthalten 39 einen neuen Wirkstoff. Hinzu kommen 83 Indikationserweiterungen für bestehende Zulassungen.
Wie schon in den Jahren zuvor, nehmen Krebsarzneimittel mit 21 positiven Stellungnahmen die größte Gruppe ein, gefolgt vom Indikationsbereich Hämatologie/Hämostaseologie (14), Pneumologie/Allergologie (12), Infektionen (11), Endokrinologie (7) sowie Immunologie/Rheumatologie/Transplantation, Neurologie und Impfstoffe (jeweils 6).
Als besonderen Fortschritt in ihren jeweiligen therapeutischen Bereichen hebt die Agentur unter anderem die Onkologika Blenrep® gegen multiples Myelom und Tecartus® zur Behandlung von Menschen mit rezidivierendem oder refraktärem Mantelzelllymphom hervor, daneben die erste Triple-Kombination gegen zystische Fibrose Kaftrio® und die erste Dreier-Kombi gegen Asthma bronchiale Enerzair® Breezhaler® mit einem elektronischen Sensor, der die Nutzungsdaten erfasst, Zolgensma® zur Behandlung von spinaler Muskelatrophie bei Babys und Kleinkindern sowie den ersten Glucagon-like peptide (GLP-1)-Rezeptoragonisten zur oralen Anwendung bei Erwachsenen mit unzureichend kontrolliertem Typ-2-Diabetes Rybelsus®. Auch die Kombinationsregime Zabdeno® und Mvabea® zur aktiven Immunisierung gegen Ebola sowie Rekambys® und Vocabria® als erste langwirksame Injektionsbehandlung von HIV-1-Patienten werden eigens angesprochen.
Beschleunigte und bedingte Zulassungen
Sechs Arzneimittel erhielten eine Zulassungsempfehlung nach einer beschleunigten Bewertung (innerhalb von maximal 150 statt 210 Tagen) und für 13 wurde für eine bedingte Zulassung (CMA) empfohlen (darunter auch Veklury® und Comirnaty®). Das heißt, dass die Firmen noch Daten nachliefern müssen, um eine vollgültige zentrale Genehmigung zu bekommen.
Fünf Medikamente (Elzonris®, Lumoxiti®, Mvabea®, Obiltoxaximab SFL® und Zabdeno®) wurden unter außergewöhnlichen Umständen zugelassen, ein Weg, der beschritten werden kann, wenn auch auf längere Sicht keine ausreichenden Daten generiert werden können.
Bei den Arzneimitteln für neuartige Therapien setzte sich der Aufwärtstrend seit 2017 fort. Acht Anträge wurden im Jahr 2020 eingereicht, die meisten in den vergangenen fünf Jahren. Drei ATMPs wurden zur Zulassung empfohlen (die Gentherapeutika Libmeldy® und Zolgensma® sowie das CAR-T-Zelltherapeutikum Tecartus®).
Arzneimittelsicherheit
In der Datenbank EudraVigilance gingen im vergangenen Jahr mehr als 1,8 Millionen Berichte über unerwünschte Arzneimittelwirkungen (ADR) ein. Der Sicherheitsausschuss PRAC begann im Jahr 2020 mit der Bewertung von 829 periodischen Sicherheitsberichten (PSURs und PSUSAs). Fast jede fünfte führte zu Änderungen in den Produktinformationen zur Optimierung der sicheren und wirksamen Anwendung. Insgesamt wurden auf der Basis neuer Sicherheitsdaten die Produktinformationen von 490 zugelassenen Arzneimitteln aktualisiert.
Goodbye UK
2020 war auch das Jahr, in dem der Brexit Realität wurde. Im Januar verlegte die EMA ihren ständigen Hauptsitz endgültig von London nach Amsterdam. Am 31. Januar 2020 hat Großbritannien die EU offiziell verlassen. Dank erheblicher Anstrengungen von allen Seiten war es gelungen, das Portfolio der Arzneimittel, die vorher von UK verwaltet worden waren, bereits frühzeitig auf die anderen EU-Mitgliedstaaten, Island und Norwegen umzuverteilen und auch die anderen Verwaltungsübergänge zeitgerecht abzuschließen. So konnte ein Medikamentenmangel durch den Brexit vermieden werden.
Besondere Jubiläen
Außerdem feierte die EMA am 26. Januar 2020 ihr 25-jähriges Bestehen und im Dezember 2020 wurde die europäische Verordnung über Arzneimittel für seltene Leiden (Orphan Regulation) 20 Jahre alt. Seitdem hat die EMA mehr als 2.300 Medikamenten den Orphan-Drug-Status zugebilligt, und bis Ende 2020 waren 192 Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen zugelassen.
Ein weiterer Meilenstein im Jahr 2020 war der 15. Jahrestag der Umsetzung der „SME-Verordnung“, über die kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) Zulassungsvergünstigungen erhalten und beim Umgang mit dem komplexen EU-Regulierungssystem für Arzneimittel unterstützt werden können.
Insgesamt wurden bis Ende 2020 rund 1.900 KMU bei der Agentur registriert. 16 Arzneimittel, die im Jahr 2020 eine Zulassungsempfehlung erhielten, waren von KMU entwickelt worden, die höchste Zahl in den vergangenen fünf Jahren. Die Hälfte der Arzneimittel enthielt einen neuen Wirkstoff.
Personalia und Mitarbeiter
Im Dezember 2020 hatte die EMA 894 Mitarbeiter, 597 Frauen und 297 Männer. Die EMA ist jung: 429 Beschäftigte sind unter 45 Jahre alt und weitere 173 unter 50 Jahre alt. Den weitaus größten Anteil stellen mit 114 bzw. 113 Personen Italien und Spanien. Dahinter folgen Frankreich (96), Deutschland und Griechenland (60 bzw. 61) sowie Portugal und Polen (rund 50). Darüber hinaus kann die EMA im Rahmen des europäischen Regulierungsnetzes für Arzneimittel, einer Partnerschaft zwischen der EMA, der Europäischen Kommission und 50 Arzneimittelregulierungsbehörden in der EU und im EWR, auf einen Pool von mehr als 4.000 Experten zurückgreifen. Seit dem 16. November 2020 leitet die Irin Emer Cooke als Executive Director die Geschicke der Agentur und folgte damit auf den Italiener Guido Rasi
EMA will sich weiter fit machen
Die EMA werde sich nun gewiss nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen, schreibt Cooke in einem Vorwort zu dem Jahresbericht. Sie verweist an dieser Stelle auf die Regulatory Science-Strategie 2025, die die Agentur im März 2020 veröffentlicht hat. Damit will sie sich vorausschauend für die dramatische Beschleunigung des Innovationstempos im Arzneimittelbereich fit machen.
Die 22 Anhänge zum Annual Report 2020 der EMA sind hier abrufbar.
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