Chargenrückrufe in Kanada

Wegen N-Nitrosovareniclin – Pfizer pausiert Champix-Vertrieb weltweit

Stuttgart - 30.06.2021, 17:50 Uhr

Das britische „National Centre for Smoking Cessation and Training“ (NCSCT) hat bereits am 16. Juni 2021 auf den Champix-Engpass von Pfizer reagiert – mit der Erstellung eines klinischen Leitfadens für Alternativen. (Foto: IMAGO / suedraumfoto)

Das britische „National Centre for Smoking Cessation and Training“ (NCSCT) hat bereits am 16. Juni 2021 auf den Champix-Engpass von Pfizer reagiert – mit der Erstellung eines klinischen Leitfadens für Alternativen. (Foto: IMAGO / suedraumfoto)


Seit Donnerstag vergangener Woche häufen sich Medienberichte, dass ein Arzneimittel zur Raucherentwöhnung, Vareniclin in Champix von Pfizer, auf mögliche Nitrosamin-Verunreinigungen untersucht wird. Gegenüber dem UK-Nachrichtenportal „Chemist+Druggist“ bestätigte Pfizer bereits am 18. Juni, dass ab sofort für mehrere Wochen mit Engpässen zu rechnen sei. In Kanada sind Probleme mit Vareniclin währenddessen schon seit April bekannt. DAZ.online hat bei Pfizer nachgefragt. Was kann man Betroffenen bei einem Engpass empfehlen?

Bereits am 6. April 2021 veröffentlichte die kanadische Regierung auf Händlerebene einen Arzneimittel-Chargen-Rückruf von Teva Canada Ltd. zu „Teva-Varenicline“. Als Grund wurde die Verunreinigung N-Nitrosovareniclin genannt. Am 8. Juni folgte ein entsprechender Rückruf von Pfizer Canada ULC zur seinem Vareniclin-Präparat Champix. Betroffen waren sowohl Chargen der Tabletten mit der 0,5-mg- als auch mit der 1-mg-Dosierung. Der Grund auch dort: „Vorhandensein der Verunreinigung N-Nitrosovareniclin oberhalb der zulässigen Konzentrationsgrenze in der betroffenen Charge.“

Am 18. Juni berichtete schließlich das UK-Nachrichtenportal „Chemist+Druggist“, dass Pfizers Arzneimittel zur Raucherentwöhung Champix für mehrere Wochen nicht mehr ausgeliefert werden könne. Bei Champix (Vareniclin), das in 0,5- und 1-mg-Tabletten hergestellt wird, gebe es eine Lieferunterbrechung, die „mehrere Wochen“ andauern wird – was wiederum „mit sofortiger Wirkung zu Engpässen führen“ werde. Das habe ein Pfizer-Sprecher „Chemist+Druggist“ mitgeteilt. 

Ein Sprecher des britischen „Department of Health and Social Care (DH)“ habe „Chemist+Druggist“ am 21. Juni daraufhin gesagt, dass Pfizer aufgrund von weiteren Qualitätstests, die nach der Entdeckung von Nitrosamin-Verunreinigungen erforderlich seien, beide Stärken nicht mehr auf Lager habe. Pfizer selbst könne keine Prognose abgeben, wann das Problem behoben sein würde, hieß es, und ermutigte Patient:innen dazu, sich bei ihrem Arzt oder ihrer Ärztin über Alternativen zu informieren.

Weltweite Pause aus Vorsicht, Tests laufen

Auf Anfrage von DAZ.online teilte die Pfizer Deutschland GmbH nun mit: „Nach Anfragen verschiedener Aufsichtsbehörden haben Hersteller in der gesamten pharmazeutischen Industrie – einschließlich Pfizer – das Risiko für das Vorkommen oder die Bildung bestimmter chemischer Fremdstoffe, sogenannter Nitrosamine, in pharmazeutischen Produkten untersucht. […] Im Rahmen der Bewertung durch Pfizer wird eine Reihe von Chargen von Champix (Vareniclin) zurückgerufen, bei denen N-Nitroso-Vareniclin oberhalb der von Pfizer akzeptierten Tagesdosis festgestellt wurden.“ 

Aus Vorsichtsgründen, heißt es weiter, pausiere Pfizer auch den weltweiten Vertrieb von Champix. Dies gelte, bis weitere Tests durchgeführt wurden, an denen Pfizer intensiv arbeite.

„Tabakrauch enthält über 4.800 Substanzen, darunter sind mehr als 90 gesichert oder mutmaßlich mutagen oder carcinogen. Der Tabakkonsum hat aufgrund der im Tabakrauch enthaltenen Schadstoffe (u. a. CO, Stickstoffoxide, Wasserstoffcyanide, Kadmium, Zink, Kohlenstoffdisulfide, flüchtige Aldehyde, Stickstoffoxide, Benzole, N-Nitrosamine, Vinylchlorid, polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe, Polonium - 210, Cadmium, Blei, Nickel, Chrom, Aluminium) weitreichende Konsequenzen in Form gesundheitlicher Folgeschäden. Der Tabakkonsum stellt eine anhaltende, ernstzunehmende Bedrohung der Gesundheit der Bevölkerung dar.“ 

Quelle: S3-Leitlinie „Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung“ (Gültig bis 31.12.2025)

Pfizer ist der Ansicht, dass der Nutzen einer Behandlung mit Vareniclin gegenüber den sehr geringen potenziellen Risiken überwiege, „welche durch die Nitrosamin-Exposition durch Vareniclin zusätzlich zu den anderen Quellen im Laufe des Lebens entstehen“.

Auf spezifische Nachfragen von DAZ.online nach der Situation in Deutschland und Europa ging Pfizer jedoch nicht ein.

NCSCT empfiehlt Wechsel auf Nikotin-Ersatz-Therapie

Das britische „National Centre for Smoking Cessation and Training“ (NCSCT) hatte bereits am 16. Juni 2021 auf den Champix-Engpass von Pfizer reagiert – mit der Erstellung eines klinischen Leitfadens und eines FAQ-Dokuments für die Umstellung auf ein anderes Präparat. Es handelt sich beim NCSCT nach eigenen Angaben um ein soziales Unternehmen, das auch den NHS bei Programmen zur Raucherentwöhnung unterstützt.

Im Leitfaden heißt es, dass es zwar kaum Evidenz zur Umstellung von Champix auf ein anderes Präparat gebe. Es wird aber erklärt, dass viele Ärzt:innen aus ihrer Erfahrung in der Raucherentwöhnung schon Patient:innen kennen dürften, die unter Nebenwirkungen von Champix litten und stattdessen eine Nikotin-Ersatz-Therapie (NRT) haben wollten.

Wer erst jetzt mit der Raucherentwöhnung beginnt, sollte direkt zu NRT oder Bupropion greifen, auch E-Zigaretten (Vaping) werden als Option genannt. Bupropion ist den Expert:innen zufolge allerdings keine geeignete Alternative für Patient:innen, die bislang Champix verwenden. Stattdessen empfehlen sie eine kombinierte NRT-Behandlung – bestehend aus Nikotinpflaster mit einem schnell wirkenden Produkt wie einer Lutschtablette, einem Nasenspray oder einem Mundspray.

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Erst kürzlich wurde in Deutschland die Leitlinie „Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung“ aktualisiert. Dort wird unter „Arzneimittel zur Entzugsbehandlung und Rückfallprophylaxe (z. B. Nikotinersatztherapie, Bupropion, Vareniclin, andere Antidepressiva und nicht zu berücksichtigende Stoffgruppen)“ die 

  • Nikotinersatztherapie mit dem Empfehlungsgrad A gelistet.
  • Auch das Antidepressivum Bupropion soll demnach mit dem Empfehlungsgrad A zur Tabakentwöhnung angeboten werden.
  • Die gleiche Empfehlung gilt für den partiellen Nikotinrezeptoragonisten Vareniclin.

In Großbritannien gibt es genauso wie in Deutschland noch keine Generika zum von Pfizer patentierten Champix. Medien aus Korea, die schon am 15. Juni von der Nitrosamin-Problematik im Zusammenhang mit Vareniclin berichteten, erklärten hingegen, dass es dort bereits 34 Generika-Hersteller auf dem Markt gebe. Einem weiteren koreanischen Bericht ist (via Google-Translator!) zu entnehmen, dass Champix für Korea in Belgien hergestellt werde. Von DAZ.online darauf hingewiesen, reagierte Pfizer auf diese Information nicht. 

Erst am 7. Januar 2021 hatte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Deutschland das vorläufige Ruhen aller Zulassungen von ranitidinhaltigen Arzneimitteln bis zum 2. Januar 2023 angeordnet. Hintergrund waren auch dort Nitrosaminverunreinigungen – die weltweite Nitrosaminkrise hatte im Sommer 2018 mit dem Blutdrucksenker Valsartan ihren Anfang angenommen.

Zu Vareniclin hat sich das BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) gegenüber DAZ.online noch nicht geäußert. Seit dem 24. Juni wurde aber medial vermehrt über den weltweiten Vertriebsstopp von Champix durch Pfizer berichtet. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA schrieb auf Anfrage an DAZ.online, dass sie und die nationalen Behörden der EU „das Vorhandensein einer Nitrosamin-Verunreinigung, N-Nitroso-Vareniclin, in Champix (Vareniclin), einem Medikament zur Raucherentwöhnung“ untersuchen. Sollte es einen Bedarf für regulatorische Maßnahmen geben, meint die EMA, werde sie auf ihrer Website ein Update zur Verfügung stellen. „In der Zwischenzeit sollten die Menschen ihre Champix-Arzneimittel weiterhin wie gewohnt gemäß den Anweisungen in der Produktinformation verwenden.“ 

Die EMA weist außerdem darauf hin, dass in der EU mittlerweile neue Maßnahmen gelten, die sicherstellen sollen, dass die Unternehmen über geeignete Kontrollstrategien verfügen, um das Vorhandensein von Nitrosamin-Verunreinigungen so weit wie möglich zu verhindern. Entsprechende Maßnahmen hätten nun auch zur Entdeckung der Nitrosamin-Verunreinigung in Champix geführt und würden einen Fahrplan für die Umsetzung von Korrekturmaßnahmen vorsehen.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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