Zukunft des Rezepturprivilegs

Von der Opiumtinktur zur allgemeinen Sorge um die Rezeptur

Süsel - 12.08.2021, 07:00 Uhr

Ist abgefüllte Opiumtinktur ein zulassungspflichtiges Fertigarzneimittel? (Quellen: Maros Arznei / Screenshot www.innocur.de / DAZ)

Ist abgefüllte Opiumtinktur ein zulassungspflichtiges Fertigarzneimittel? (Quellen: Maros Arznei / Screenshot www.innocur.de / DAZ)


Das Thema Opiumtinktur ist in den vorigen Wochen so komplex geworden, dass die DAZ die jüngere Entwicklung zusammengetragen hat, um den Stand der Dinge deutlich zu machen. Dabei fließen juristische, wirtschaftliche und berufspolitische Aspekte zusammen. Die Sorgen der Apothekerschaft richten sich insbesondere auf die Zukunft des Rezepturprivilegs.

Opiumtinktur stand bis vor wenigen Jahren ausschließlich als Ware für die Rezeptur zur Verfügung. Die Firma Maros Arznei GmbH hatte sich dabei zum Marktführer entwickelt. Im Jahr 2018 brachte die dänische Firma Pharmanovia A/S Opiumtinktur als zugelassenes Fertigarzneimittel Dropizol® auf den deutschen Markt. Nach Angaben im gemeinsamen Produktindex europäischer Zulassungsbehörden (Heads of Medicines Agencies) besteht eine bibliographische Zulassung, die sich auf die gut bekannte Anwendung bezieht. 

Bald nach der Zulassung des Fertigarzneimittels begannen die Rechtsstreitigkeiten, zunächst nur zwischen den Herstellern, später auch auf Apothekenebene. Im Mittelpunkt steht dabei meist die Frage, ob die abgefüllte Opiumtinktur ein zulassungspflichtiges Fertigarzneimittel ist und gegebenenfalls an welcher Stelle sie dazu wird. Pharmanovia hat sich im Juli in einem Brief an Apotheken gewandt. Reaktionen der DAZ-Leser zum Thema betreffen die Wirtschaftlichkeit und die strategischen Folgen für die Apotheken und die Versorgung.

Großer Preisunterschied

Wegen des großen Preisunterschieds zwischen dem Rezeptur- und dem deutlich teureren Fertigarzneimittel wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung berührt. Bei einem altbekannten Arzneimittel erscheint eine Vervielfachung des Preises problematisch. Denn Ärzte fürchten den Vorwurf, unwirtschaftlich zu verordnen. Dies dürfte ein wesentlicher Grund sein, weshalb die Firma Maros auch Jahre nach der Einführung des Fertigarzneimittels und trotz der Rechtsstreitigkeiten die meiste Opiumtinktur in Deutschland geliefert hat.

Außerdem hat die Rezeptur eine zentrale Bedeutung für das Selbstverständnis der Apotheker und für die Sicherung der Versorgung. Obwohl sich die Rechtsstreitigkeiten derzeit nur auf Opiumtinktur beziehen, lassen sich die verwendeten Argumente auf das Abfüllen anderer Arzneimittel übertragen. Daher erscheint verständlich, weshalb sich Apotheker um die grundsätzlichen Folgen sorgen. Schon seit Jahren haben einige Gerichte das Rezeptur- und Defekturprivileg der Apotheken immer enger ausgelegt. Daraufhin hatte bereits der Deutsche Apothekertag 2018 den Gesetzgeber aufgefordert, das Rezeptur- und Defekturprivileg zu stärken. 

AVWL weicht von ABDA-Linie ab

Wohl auch vor diesem Hintergrund hat die ABDA stets betont, dass wettbewerbsrechtliche Urteile stets nur Wirkung für die jeweils unmittelbar Beteiligten des Verfahrens hätten. Dennoch ist der Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) von dieser Linie abgewichen und hat kürzlich nicht mehr empfohlen, „weiterhin Opiumtinktur als Rezepturarzneimittel abzugeben und abzurechnen“. Von anderen Apothekerverbänden sind solche Empfehlungen bisher nicht bekannt. Der LAV Baden-Württemberg bekräftigte auf Anfrage der DAZ die Feststellung der ABDA, „dass die entsprechenden Einzelentscheidungen nur die streitenden Parteien unmittelbar betreffen“. Weiter erklärte der Verband: „Eine Konsequenz für die Apotheken im Allgemeinen ist daraus nicht zwingend ableitbar. Hier würde nur eine höchstrichterliche Entscheidung Klarheit schaffen, die wir als LAV grundsätzlich befürworten würden.“

Fertigarzneimittel mit Pharmazentralnummern von zwei Anbietern

Ein weiterer Aspekt ist die Verfügbarkeit des Fertigarzneimittels. Der bisherige deutsche Vertreiber Innocur Pharma GmbH verweist mittlerweile auf seiner Internetseite zu Fragen über Dropizol® auf Pharmanovia und bietet eine Lieferunfähigkeitsbescheinigung für die 1er-Packung (10 ml). Die größeren Packungen seien lieferbar. Auf Anfrage der DAZ erklärte Innocur dazu, dass Pharmanovia den Distributionsvertrag für Dropizol® gekündigt habe, dies sei aber Gegenstand laufender Verfahren.

Seit dem 1. Juli ist das Produkt in der Lauer-Taxe zusätzlich unter demselben Namen mit anderen Pharmazentralnummern und der Herstellerangabe Atnahs Pharma Nordics A/S zu finden. Der dänische Hersteller Pharmanovia wurde von der britischen, international tätigen Atnahs-Gruppe übernommen, die den Namen Pharmanovia seit Kurzem für das ganze international tätige Unternehmen nutzt. Es gehört mehrheitlich zum britischen Private-Equity-Unternehmen Triton.

Im jüngsten Brief von Pharmanovia an Apotheken heißt es, Dropizol® könne über Pharmanovia bestellt werden. Dazu werden die neuen Pharmazentralnummern der Atnahs Pharma Nordics A/S genannt. Auf Anfrage der DAZ erklärte Pharmanovia: „Die Distribution erfolgt durch einen vollversorgenden deutschen Großhändler.“ Es habe zu keinem Zeitpunkt eine Versorgungslücke für Dropizol® gegeben. Anderslautende Informationen seien falsch, erklärte Pharmanovia. In der vorigen Woche verliefen stichprobenweise Anfragen einer Apotheke bei drei Großhändlern nach der 1er-Packung mit der neuen Pharmazentralnummer jedoch negativ; die 10er-Packung (100 ml) war bei einem Großhändler verfügbar. Erstattungsfähig sind jedoch nur die 1er- und die 4er-Packung (10 bzw. 40 ml).

Entscheidung auf dem Verwaltungsweg möglich

So vermischen sich die aktuelle Entwicklung zur Opiumtinktur und die langfristige Sorge der Apotheker um den Bestand der Rezeptur als Institution. Die laufenden gerichtlichen Verfahren können zu einer Klärung durch ein höchstrichterliches Urteil führen. Abhängig vom Ergebnis sind auch politische Reaktionen denkbar. Doch dies alles würde Jahre dauern. Viel schneller könnte eine Entscheidung auf dem Verwaltungsweg fallen. Denn die Regierung Oberfranken hat bereits am 20. Mai 2019 gemäß § 21 Abs. 4 AMG beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) beantragt, die Zulassungspflicht der Opiumtinktur zu überprüfen. Eine ausführlichere Darstellung finden Sie in der aktuellen Ausgabe der DAZ.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Rezepturprivileg?

von Roland Mückschel am 12.08.2021 um 9:53 Uhr

Wäre es nicht ehrlicher Privileg durch Zwang zu ersetzen?
Wenn es ein Privileg ist verleiht es doch den
Krankenkassen.
Dann wird wenigstens alles richtig gemacht.

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Privileg !?

von ratatosk am 12.08.2021 um 8:28 Uhr

Nein ! , es ist gewollt auch günstige Teilmengen und Produkte für die Patienten-innen zur Verfügung stellen zu können. Es ist ein weiteres Versagen der Politik hier nicht einfach als Gesetzgeber dies klarzustellen. Wenn man will geht das schnell, wenn die Versender speziell einen Heilberufeausweis brauchen dauert es nur ein paar Tage. Jahre - nein , nur wenn man es doch nicht will, denke daß dies auch keine parteipolitischen Probleme geben sollte, evt. nur mit der FDP die hier natürlich eher die Belange von spendenden Firmen berücksichtigen könnte.

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