Dr. Google und das Problem der Gesundheitskompetenz

Ist natürliche Ascorbinsäure besser als synthetische?

Stuttgart - 07.09.2021, 09:15 Uhr

Als Belege die Schädlichkeit von synthetischer Ascorbinsäure werden u.a. Warnhinweise aus Packungsbeilagen vorgebracht, wie beispielsweise die Gefahr von Nierensteinen bei übermäßiger Zufuhr. Auf Früchten oder Säften finden sich derlei Angaben natürlich nicht, selbst wenn grundsätzlich die Möglichkeit einer ähnlich hohen Vitamin-C-Aufnahme besteht. (c / Foto: ExQuisine / AdobeStock)

Als Belege die Schädlichkeit von synthetischer Ascorbinsäure werden u.a. Warnhinweise aus Packungsbeilagen vorgebracht, wie beispielsweise die Gefahr von Nierensteinen bei übermäßiger Zufuhr. Auf Früchten oder Säften finden sich derlei Angaben natürlich nicht, selbst wenn grundsätzlich die Möglichkeit einer ähnlich hohen Vitamin-C-Aufnahme besteht. (c / Foto: ExQuisine / AdobeStock)


„Natürlich“ versus synthetisch

Auf verschiedenen Internetseiten findet sich jedoch ein anderer Ansatz, wieso Vitamin C und Ascorbinsäure unterschieden werden sollten. Die Begründungen und Ausführungen variieren zwar, gemeinsam ist ihnen aber eine Grundannahme: Synthetisch hergestelltes und natürlich vorkommendes Vitamin C sind nicht identisch [8, 9]. Als Vitamin C wird die natürlich in Lebensmitteln vorkommende L-Ascorbinsäure betitelt, während Ascorbinsäure die synthetische, in Nahrungsergänzungs- oder Arzneimitteln enthaltene Variante bezeichnet [8]. Ihre Wirkung auf den menschlichen Körper wird, trotz ihrer chemischen Identität, als unterschiedlich dargestellt. Dies führt dazu, dass Vitamin C schnell als natürliche und gut verträgliche Substanz wahrgenommen wird, während der Ascorbinsäure (oft unabhängig von ihrer stereoisomeren Form) Unnatürlichkeit sowie Nebenwirkungen nachgesagt werden. Die vermeintlichen unerwünschten Wirkungen der synthetischen Substanz reichen von allergischen Reaktionen über Diabetes bis hin zu DNA-Schäden und daraus entstehenden Tumoren [10]. Als Belege ihrer Schädlichkeit werden unter anderem Warnhinweise aus Packungsbeilagen vorgebracht, wie beispielsweise die Gefahr von Nierensteinen bei übermäßiger Zufuhr [11]. Auf Früchten oder Säften finden sich derlei Angaben natürlich nicht, selbst wenn grundsätzlich die Möglichkeit einer ähnlich hohen Vitamin-C-Aufnahme besteht. Solche leicht verifizierbaren (Schein-)Argumente wirken nachvollziehbarerweise sehr überzeugend auf pharmazeutische Laien. Sie können der Ausgangspunkt für die Entwicklung alternativer Glaubenssätze sein.

„Natürliches“ Vitamin C aus der Acerolakirsche – nur selten erfolgt ein Hinweis auf die Möglichkeit sowie die Folgen einer Überdosierung. (Foto: nipaporn / AdobeStock)

Oftmals wird aus solchen und anderen Argumenten letztlich die Empfehlung abgeleitet, dass ausschließlich Vitamin C aus natürlichen Quellen dem Körper zugeführt werden solle. Trotz der fragwürdigen Begründungen ist aus medizinischer Sicht zunächst einmal nichts gegen diesen Ratschlag einzuwenden. Bei einer ausgewogenen Ernährungsweise ist ein Vitamin-C-Mangel in Industrieländern wie Deutschland sehr selten [12]. Somit ist eine Supplementation in den meisten Fällen nicht notwendig. Der Nährstoff kann zu Genüge durch die Nahrung aufgenommen werden. Statt auf diese Tatsache hinzuweisen, bewerben viele Internetseiten jedoch verschiedene Nahrungsergänzungsmittel, die ausschließlich „natürliches Vitamin C“ enthalten sollen [11, 13]. Natürlichkeit steht hier augenscheinlich synonym für Sanftheit und Nebenwirkungslosigkeit. Immer häufiger basieren diese Produkte auf einem sogenannten Superfood: Der Acerolakirsche. Eine Menge von 100 g dieser Frucht enthält etwa 1700 mg Vitamin C – grob das 17-Fache des Tagesbedarfs einer erwachsenen Person [14, 15, 16]. Da die beworbenen Produkte jedoch als „natürlich“ dargestellt werden, erfolgt hier selten ein Hinweis auf die Möglichkeit sowie die Folgen einer Überdosierung.

Gelegentlich wird auch behauptet, dass synthetisch hergestellte Ascorbinsäure schlechter vom menschlichen Körper aufgenommen werde, als ihr natürliches Pendant [13, 17]. Belegt wird diese These mit verschiedenen Studien, welche die Bioverfügbarkeit oder Resorption von Vitamin C aus unterschiedlichen Quellen vergleichen. Und tatsächlich zeigen einige wissenschaftliche Untersuchungen sogar entsprechende Unterschiede. Die Darstellung und Einordnung dieser Studienergebnisse in vielen Laienportalen beruht jedoch auf unzutreffenden Schlussfolgerungen.

Einige der Veröffentlichungen basieren beispielsweise auf Untersuchungen von Resorption und Bioverfügbarkeit der L-Ascorbinsäure als Rohstoff im Vergleich zu Vitamin-C-haltigen Fruchtsäften. Manche von ihnen legen durchaus eine höhere Resorption der aus den Säften stammenden Ascorbinsäure nahe. Jedoch wird dies von den Publizierenden selbst darauf zurückgeführt, dass neben der L-Ascorbinsäure noch weitere Pflanzenstoffe in den Säften enthalten sind, die einen Einfluss auf die Verstoffwechselung haben [18, 19, 20, 21].

Deutliche Unterschiede bei der Bioverfügbarkeit zeigten sich außerdem meist bei Studien, die mit Tiermodellen arbeiteten. Auch einige pharmakokinetische Untersuchungen am Menschen legen eine etwas bessere Resorption von Vitamin C aus den untersuchten Fruchtsäften nahe. Aus diesen Ergebnissen lässt sich jedoch kein physiologischer Vorteil ableiten. Die Resorption des wasserlöslichen Vitamins ist, unabhängig von seiner Herkunft, zur Versorgung des menschlichen Körpers ausreichend [20]. Die Aufnahme zu optimieren ist also im Regelfall gar nicht notwendig.



Jessica Geller, Autorin, DAZ.online
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.