Lutz Engelen zum EuGH-Urteil 2016

„Ich musste zusehen, wie das den Bach runtergeht“ (Video)

Stuttgart - 19.10.2021, 07:00 Uhr

Lutz Engelen war 14 Jahre Präsident der Apothekerkammer Nodrhein. (Foto: AKNR)

Lutz Engelen war 14 Jahre Präsident der Apothekerkammer Nodrhein. (Foto: AKNR)


Die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) wehrt sich seit Jahren gegen die Aktivitäten des Arzneimittelversenders DocMorris – fast ausnahmslos erfolgreich im Rahmen vieler Gerichtsverfahren. Doch als es 2016 vor dem Europäischen Gerichtshof um die deutsche Arzneimittelpreisbindung ging, durfte der damalige AKNR-Präsident Lutz Engelen nur zuschauen und war nicht aktiv an den Verhandlungen beteiligt. Dabei hätte seine Kammer womöglich besser argumentiert, wie er im Video-Interview rückblickend erklärt.

Statt nach Köln ging es nach Düsseldorf – und damit nahm das Schicksal seinen Lauf. Während die Apothekerkammer Nordrhein ihre Prozesserfolge gegen DocMorris fast immer vor dem Oberlandesgericht Köln verzeichnen konnte, kam das Verfahren zur deutschen Arzneimittelpreisbindung nicht in der Domstadt, sondern vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf in die heiße Phase.

Die Richter mussten sich im Rahmen eines Berufungsverfahrens mit einer Klage der Wettbewerbszentrale gegen den niederländischen Arzneimittelversender DocMorris befassen, und es ging mal wieder um Boni: Die Deutsche Parkinson Vereinigung (DPV) pries ihren Mitgliedern besondere Konditionen des Versenders an. Das Düsseldorfer Gericht tat sich offenkundig schwer, die hiesige Rechtslage hinzunehmen und beschloss im März 2015, den Europäischen Gerichtshof (EuGH) anzurufen. Die Wettbewerbszentrale hatte im Auftrag der Bayerischen Landesapothekerkammer gegen das Boni-Modell geklagt und in erster Instanz auch Recht bekommen.

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Lutz Engelen war damals Präsident der Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) und bot an, den Gerichtsprozess zu begleiten, „nicht weil die Kammer Nordrhein die intelligentere Kammer ist, sondern weil wir aus diesen vielen Verfahren Erfahrungen gesammelt haben“. Engelen wollte das Verfahren nach Köln leiten, weil sich dort die Richter bisher in einem Dutzend Verfahren konsequent für die deutsche Gesetzgebung entschieden hatten. Doch die Verfahrensbeteiligten schlugen das Angebot aus. Auf Empfehlung der ABDA wurde das Anwaltsduo Dechamps/Schwarze beauftragt und vom OLG Düsseldorf ging es dann zum EuGH nach Luxemburg. Engelen und zwei Kammerjuristinnen reisten hinterher, als Prozessbeobachter und nicht als Beteiligte. Vor Ort fiel ihnen auf, wie gering das Interesse der apothekerlichen Standesvertretung an dem Verfahren war.

„Eine emotionale Geschichte“

Doch viel tragischerer und entscheidender für den Misserfolg vor Gericht war die Argumentationsweise. Während die AKNR in ihren eigenen Gerichtsverfahren gegen DocMorris immer so viele Argumente wie möglich einbrachte, konzentrierte sich die ABDA nur auf eine These. „Wenn von fünf Argumenten eins zieht, reicht das. Wenn ich aber nur ein Argument vortrage und das nicht zieht, dann ist das Verfahren verloren“, erklärt Engelen. Und so lief es dann auch in Luxemburg aus Sicht der Apotheker.

Die Arzneimittelpreisbindung begründeten die von der ABDA empfohlenen Anwälte mit dem Apothekennotdienst. Ohne Gleichpreisigkeit gäbe es keine Rund-um-die-Uhr-Versorgung mit Arzneimitteln, so die Begründung vereinfacht dargestellt. „Das ist zwar im Kern richtig, aber schwer zu verstehen“, sagt Engelen. Als es Nachfragen von den Richtern zur Organisation des Apothekennotdienstes gab, mussten die Anwälte der Bundesregierung sogar passen. In dem Moment hätte Engelen am liebsten selbst das Wort ergriffen, verrät er im Video-Interview, wurde aber von seinen Kolleginnen zurückgehalten. „Wir haben über mehrere Jahre diese Verfahren geführt, und jetzt musste ich zusehen, wie das den Bach runtergeht. Das war eine emotionale Geschichte. Gott sei Dank, ich habe meinen Mund gehalten, ich bin nicht ans Mikrofon. Es war vielleicht auch gut so.“

Was hält er von der gesetzgeberischen Reaktion auf das EuGH-Urteil von 2016? Wie sieht er die Apotheken für das Zeitalter der E-Rezepte gerüstet? AKNR-Ehrenpräsident Lutz Engelen eröffnet im Video-Interview seine ganz persönliche Perspektive auf die aktuellen Entwicklungen.

(Video: Edalat / DAZ)


Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Olle Kamellen

von Thomas Luft am 21.10.2021 um 7:34 Uhr

Alles gut und sicher richtig. Aber was soll’s, der Drops ist gelutscht. Welchen Nachrichtenwert hat das? Keinen! Wir müssen nach vorne schauen und zusehen, dass wir unseren Kunden Mehrwerte bieten, die der Versandhandel nicht bieten kann. Und wir müssen unbedingt aufpassen, dass die von vielen Kolleg:innen gewünschten pharmazeutischen Dienstleistungen nicht nach hinten losgehen. Im Bereich Verordnungsmanagement sind wir derzeit extrem schlecht aufgestellt und ich sehe kein Softwarehaus, was hier praktikable Lösungen anbietet um dem Versandhandel Paroli bieten zu können.

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unfassbar

von Karl Friedrich Müller am 19.10.2021 um 9:18 Uhr

ich werde heute noch depressiv, wenn ich an den Tag denke und die Umstände dazu.
Die ABDA hat fahrlässig (? das ist wohl viel zu schwach), voller Ignoranz, Verblendung und Selbstüberschätzung uns allen einen unheilbaren Schaden zugefügt.
Wer übernimmt die Verantwortung? Das kann doch nicht ausgehen wie das Hornberger Schießen? Alle in Deckung.
Ist die ABDA, der Vorstand persönlich haftbar zu machen, Schadensersatz?
das "Kämpferische" hinterher war doch nur ein Rückzugsgefecht, weil man markig auftreten wollte und musste, aber überhaupt keine Möglichkeiten mehr hatte, zu reagieren. Weil man schon persönlich schwach war und es nie akzeptiert hat, echte Experten zuzuziehen - bis heute nicht. Dann sich auch noch von Spahn erpressen lassen, furchtbar. Es wird einfach weitergewurstelt.

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