Mutagenität, Knochenfehlbildungen und Virusvarianten

Die möglichen Nebenwirkungen von Molnupiravir

Stuttgart - 08.12.2021, 16:45 Uhr

Molnupiravir hemmt SARS-CoV-2, birgt aber auch Risiken. (s / Foto: Евгения Шолохова / AdobeStock) 

Molnupiravir hemmt SARS-CoV-2, birgt aber auch Risiken. (s / Foto: Евгения Шолохова / AdobeStock) 


Molnupiravir soll COVID-19-Patienten helfen, die antivirale Tablette ersetzt jedoch keine Impfung. Vergessen werden auch leicht die möglichen Nebenwirkungen – Mutagenität, Knochen- und Knorpelfehlbildungen sowie das Risiko, dass sich leichter Virusvarianten bilden könnten, wie auch Omikron.

Sind mit einer antiviralen Tablette gegen COVID-19 alle Probleme der potenziell schweren Infektionserkrankung aus der Welt geräumt? Sicher nicht: Die orale Behandlungsmöglichkeit gegen COVID-19 mit Molnupiravir vereinfacht zwar die Therapie von Erkrankten, doch geht das Antiviralium auch mit Nebenwirkungen und Anwendungseinschränkungen einher. Zudem hat sich nach Veröffentlichung der Studienendergebnisse herauskristallisiert, dass Molnupiravir verglichen mit Placebo Krankenhauseinweisung und Tod zu 30 Prozent verhindert, nicht wie erst angenommen zu 50 Prozent. In Großbritannien ist Molnupiravir bereits zugelassen, ein Beratergremium der FDA empfahl die Notfallzulassung ebenfalls, und auch die EMA prüft Molnupiravir im Rolling-Review-Verfahren. Zudem hat die Europäische Arzneimittelagentur vorab eine wissenschaftliche Einschätzung zur Anwendung von Molnupiravir – noch vor Marktzulassung – abgegeben: Sie sieht die Anwendung von Molnupiravir bei leicht bis mittelschwer erkrankten erwachsenen COVID-19-Patienten (ohne zusätzlichen Sauerstoff) mit hohem Risiko für einen schweren Verlauf wissenschaftlich für vertretbar an.

Molnupiravir: keine Alternative zur Impfung

Dass das antivirale Arzneimittel eine Impfung nicht ersetzt und überflüssig macht, darin sind sich Experten einig. Auch der Chef-Virologe der Berliner Charité, Professor Christian Drosten, betonte dies jüngst im NRD-Podcast „Das Coronavirus-Update“: Molnupiravir sei „überhaupt keine Alternative zur Impfung“ (Folge 100 vom 12. Oktober 2021). Zumal Molnupiravir auch nicht zur Vorbeugung von COVID-19 gedacht ist, sondern lediglich zur Behandlung von bereits Erkrankten: SARS-CoV-2-naive Patienten werden dieses Arzneimittel nicht prophylaktisch (Präexpositionsprophylaxe) erhalten.

Mehr zum Thema

Bundesrepublik bestellt 80.000 Dosen

Molnupiravir wirkt schlechter als gedacht

Vergessen wird leicht, dass diese „einfache“ – da orale – Therapieoption Nebenwirkungen hat, weswegen auch das Beratergremium der US-Arzneimittelbehörde FDA die Notfallzulassung des COVID-19-Arzneimittels nur mit knapper Mehrheit empfahl: mit 13 Stimmen für eine Zulassung und zehn dagegen. Was macht Molnupiravir nicht ganz unproblematisch? Informationen darüber liefert das „FDA Briefing Document“ vom 30. November 2021. Auch wenn diese Hintergrundinformationen, die von der Food and Drug Administration (FDA) für die Mitglieder des Beratenden Ausschusses erstellt wurden, oft Bewertungen, Schlussfolgerungen und Empfehlungen enthalten, die von einzelnen FDA-Gutachtern verfasst wurden, und damit nicht notwendigerweise die endgültige Position aller Gutachter oder die der FDA widerspiegeln, findet man dennoch Hinweise, welche Risiken bei einer Molnupiravirtherapie möglich sind und in Studien bereits beobachtet wurden.

Wirkt Molnupiravir mutagen?

Molnupiravir und sein Metabolit (N4-Hydroxycytidin) ähneln von ihrer chemischen Struktur einem RNA- und DNA-Baustein: Cytidin und Desoxycytidin. Diese Tatsache ist Voraussetzung für die antivirale Wirkung von Molnupiravir: Der Einbau dieses falschen Bausteins (durch die RNA abhängige RNA-Polymerase) führt zu Fehlern in der RNA-Kette des Virus – also der Erbinformation von SARS-CoV-2 –, sodass dieses sich nicht weiter vermehren kann und auch nicht mehr überlebensfähig ist. Allerdings könnte Molnupiravir als falscher Baustein nicht nur in das Virusgenom eingebaut werden, sondern theoretisch auch in die menschliche DNA (N4-Hydroxycytidin-Diphosphat wird durch Ribonukleotidreduktase in menschlichen Zellen in die 2ʹDesoxyribonukleotidform umgewandelt und das Desoxynukleotid anschließend in die zellulären DNA eingebaut), was dann zu Mutationen in der DNA führen könnte. Dies ließ sich in vitro, also im Reagenzglas, bereits nachweisen (unter anderem in Bakterien), in vivo bislang nicht (untersucht wurde dies unter anderem in transgenen Nagern). Wie ist diese Mutagenität also zu bewerten? Auf Grundlage der derzeitigen Daten, einschließlich der negativen In-vivo-Befunde, sowie der nur kurzfristigen Anwendung von Molnupiravir (fünf Tage Therapiedauer) halten die im FDA-Dokument zu Wort kommenden Experten „das Risiko der Genotoxizität nach einer Behandlung mit Molnupiravir für gering“. Die Reparaturmechanismen der DNA seien in menschlichen Zellen – anders als in bakteriellen Zellen, in welchen Molnupiravir sich teilweise als mutagen erwies – „sehr effizient“.

Nicht in der Schwangerschaft, da mögliche Fehlbildungen

Dennoch wird Molnupiravir aufgrund dieses möglichen mutagenen Potenzials in der Schwangerschaft nicht empfohlen. Zudem liegen nicht-klinische Studien zur Reproduktionstoxikologie an männlichen und weiblichen Ratten (Fertilitätsstudien), vorläufige Studien zur embryo-fetalen Entwicklung an Ratten und Kaninchen sowie eine Studie zur prä- und postnatalen (vor und nach der Geburt) Entwicklung bei Ratten vor. In der Regel erhielten die Tiere ein Vielfaches der Dosis, wie sie für Menschen eingesetzt wird. Was in embryofetalen Entwicklungsstudien an Ratten beobachtet wurde, waren ein verringertes  Körpergewicht des Fetus sowie äußere (Auge), viszerale (fehlende Niere, kardiovaskuläre Fehlbildungen) und skelettale Fehlbildungen (Abweichungen und Verzögerungen bei der Verknöcherung, erhöhtes Auftreten von Rippenfehlbildungen, Brustwirbel- und Lendenwirbelmissbildungen sowie Schädelfehlbildungen). Aufgrund dieser nicht-klinischen Befunde zur embryo-fetalen Toxizität und zur Knochen- und Knorpelbildung überwiegt laut dem FDA-Briefing-Document der potenzielle Nutzen von Molnupiravir dessen mögliche Risiken bei schwangeren Frauen möglicherweise nicht, zumal es für die Behandlung von leichtem bis mittelschwerem COVID-19 auch zugelassene Alternativen gebe, für die kein Sicherheitssignal hinsichtlich der embryofetalen Toxizität vorliege. Die Experten denken dabei an Antikörper gegen SARS-CoV-2.

Gebärfähige Frauen müssen verhüten

Bei Frauen im gebärfähigen Alter sollte vor Anwendung von Molnupiravir eine Schwangerschaft deswegen ausgeschlossen werden, auch sollten sie während der Therapie sowie für vier Tage nach der letzten Dosis effektiv verhüten, so der Rat im FDA Briefing Document. Eine hormonelle Verhütung ist nach derzeitigen Kenntnissen unproblematisch: Es liegen bislang keine Hinweise vor, dass Molnupiravir CYP-Enzyme oder P-Glykoprotein beeinflusst, sodass Molnupiravir mit hormonellen Verhütungsmitteln wahrscheinlich nicht wechselwirkt.

Verursacht Molnupiravir Knochen- und Knorpelfehlbildungen?

Auch für Knochen und Knorpel scheint Molnupiravir nicht ganz unkritisch, denn das Antiviralium kann die Entwicklung von Knochen und Knorpel nicht-klinischen Daten zufolge beeinträchtigen: So wurde in einer dreimonatigen Studie an Ratten eine abnorme Knochen- und Knorpelbildung festgestellt, und Ratten- und Kaninchenföten zeigten in Studien zur embryo-fetalen Entwicklung eine verzögerte und nur unvollständige Verknöcherung (die Muttertiere waren während der Trächtigkeit etwa dem Sieben- bis Achtfache der humanen Dosis ausgesetzt).

Keine Molnupiravir bei Kindern und in der Stillzeit

Aufgrund dieser nicht-klinischen Daten aus Tierstudien – in Verbindung damit, dass COVID-19 bei Kindern meist mild verläuft und es mit Antikörperpräparaten zugelassene Alternativen für Jugendliche, Kinder und sogar Neugeborene gibt – sind sich laut dem Briefing Document die FDA sowie der Hersteller von Molnupiravir „einig, dass Molnupiravir nicht für die Anwendung bei Patienten unter 18 Jahren zugelassen werden soll“. Auch in der Stillzeit sollten Frauen wegen der möglichen Knochentoxizität – sowie der potenziellen Mutagenität – vorsichtig sein, denn: Molnupiravir war in Studien an Ratten auch im Plasma der gestillten Nachkommen nachweisbar. Daten zur Muttermilchgängigkeit beim Menschen und den Auswirkungen auf den gestillten Säugling liegen derzeit zwar nicht vor, doch bestehe die Möglichkeit der Muttermilchgängigkeit auch beim Menschen, liest man in den Dokumenten der FDA – weswegen sie sodann auch rät, für die Zeit der Behandlung und für vier Tage nach der letzten Molnupiravir-Dosis nicht zu stillen (Muttermilch abpumpen und verwerfen).

Begünstigt Molnupiravir das Entstehen von Virusvarianten?

Auch gibt es Hinweise darauf, dass eine Behandlung mit Molnupiravir die Rate an SARS-CoV-2-Viren mit Aminosäureveränderungen im Spike-Protein (Mutationen) erhöht und damit das Entstehen von Virusvarianten begünstigen könnte. Allerdings unterliege das Spikeprotein „häufig genetischen Veränderungen“, und auch natürliche Immunreaktionen sowie andere antivirale Behandlungen oder Antikörperpräparate könnten die weitere Entwicklung von SARS-CoV-2 beeinflussen, so die Wissenschaftler im FDA-Briefing Document. Allerdings: Basierend auf den verfügbaren Daten einer kleinen Untergruppe von Teilnehmern der Zulassungsstudie war die Molnupiravirbehandlung mit einer kleinen, aber signifikant höheren Nukleotid-Mutationsrate in SARSCoV-2-Populationen verbunden, die letzten Therapietag entnommen wurden. Derzeit hegen die FDA-Autoren nur geringe Bedenken, dass sich in einem einzelnen infizierten und mit Molnupiravir behandelten Patienten Virusvarianten mit Mutationen im Spikeprotein anreichern und der Patient diese weitergibt. Wie sich dies jedoch klinisch und infektionsepidemiologisch auf die öffentliche Gesundheit auswirke – insbesondere bei einem nach erfolgter Zulassung erwartetem breiterem Einsatz von Molnupiravir –, sei bislang unklar. Auch wird diskutiert, ob nicht sogar bereits die Omikron-Variante ein „Produkt“ von Molnupiravir ist.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


2 Kommentare

In Bezug auf den letzten Absatz dieses Artikels

von Anonym am 16.12.2021 um 19:21 Uhr

Guten Tag,

ohne Pro oder Contra zu Impfungen oder Medikamenten. Können Sie bitte erklären, wie eine mögliche Begünstigung von Virus-Varianten bei einem Präparat von Molnupiravir möglich ist, eine Zunahme von Corona-Varianten bei einer Impfung und v.a. jetzt eine Booster Impfung scheinbar seitens aller wichtigen Entscheidungsträger fast nahezu völlig ausgeschlossen wird? Zumal es doch theoretisch immer möglich ist, dass ein Virus bei hohem medizinischen "Gegendruck" selbst unter Selektionsdruck gerät und so die Wahrscheinlichkeit gerade von Escape-Varianten möglich macht?

Besten Dank

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Wann enstehen Mutationen?!

von Andreas Uhlig am 17.12.2021 um 9:41 Uhr

In der Theorie haben Sie recht. Durch medizinischen Druck entsteht Selektionsdruck. Es muss sich aber die Frage stellen: Wann enstehen Mutationen ? Mutationen können entstehen, wenn das Virus die Chance bekommt sich zu vermehren und dabei mehrere Zyklen durchläuft. Das passiert vorallem bei jüngeren Menschen( keine tödlichen Verläufe, lange Behandlungsdauer) und immunsupressiven Patienten( Immunantwort geringer). Durch Impfung wird die Krankheitsdauer verkürzt bzw. eine Infektions verhindert, damit wird auch die Möglichkeit des Virus für Mutationen reduziert. Bei Molnupiravir wird die Infektion nicht verhindert, aber eben die Behandlungsdauer erhöht( Verhinderung tödlicher Verläufe).
Ein weiteres Argument ist zu schauen wo die Mutationen auftreten und das sind eben nicht die Länder, wo die Impfquote über 80 % liegt.
Mit freundlichen Grüßen

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.