Inkontinenzversorgung

„Diese Menschen haben keine starke Lobby“

Berlin - 15.12.2021, 07:00 Uhr

AVWL-Chef Thomas Rochell:  „Das ist der Anfang vom Ausstieg aus dem Sachleistungsprinzip.“ (Foto: Tronquet / AVWL)

AVWL-Chef Thomas Rochell:  „Das ist der Anfang vom Ausstieg aus dem Sachleistungsprinzip.“ (Foto: Tronquet / AVWL)


Was ist aus dem TSVG geworden?

Aufmerksame DAZ-Leser:innen erinnern sich vermutlich an das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) aus dem Jahr 2019, das aus der Feder von Ex-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) stammt. Darin kippte der Gesetzgeber die bis dahin üblichen Ausschreibungen und verankerte in § 127 SGB V Abs. 1 Satz 1 Vertragsverhandlungen der Kassen mit den Leistungserbringern bezüglich der Hilfsmittelversorgung. Nicht mehr nur der Preis, sondern auch Qualitätskriterien sollen dabei eine Rolle spielen, so die Vorschrift.

Spahn versprach sich davon spürbare Verbesserungen insbesondere bei der Versorgung von Menschen mit Inkontinenz. Was ist daraus geworden? Nicht viel, meint Rochell. Der große Wurf sei das nicht gewesen. Von einer Beschwerde über die mangelnde Verhandlungsbereitschaft der AOK NordWest beim Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS; ehemals Bundesversicherungsamt) –  diese Möglichkeit hätte der Verband –, verspricht er sich wenig. „Wir prüfen unsere Möglichkeiten derzeit noch.“

Auch dass ein gewisser gesellschaftlicher Druck aufgebaut wird, stellt Rochell bisher nicht fest. „Diese Menschen haben keine starke Lobby.“ Letztlich müssten also die Versicherten selbst für das Preisdumping der Kassen aufkommen, denn an ihnen bleiben die Mehrkosten hängen. „Das ist der Anfang vom Ausstieg aus dem Sachleistungsprinzip.“

AOK NordWest: Neuer Vertrag verbessert Versorgungsqualität

Was sagt die beteiligte Kasse zum Sachverhalt? „Die AOK NordWest prüft und bewertet insbesondere im Interesse an einer qualitativ hochwertigen und gleichzeitig zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung ihrer Versicherten die bestehenden Verträge im Bereich der Hilfsmittelversorgung“, antwortet sie auf Anfrage der DAZ. Dabei berücksichtige sie auch Aspekte wie Service und Dienstleistung, aber auch anfallende Mehrkosten für die Versicherten. Im Zuge dieser Bewertungen „sind wir zu dem Entschluss gelangt, dass die Versorgung der Versicherten mit aufsaugenden Inkontinenzhilfen dringenden Handlungsbedarf aufweist“.

Der neue Vertrag enthalte zusätzliche Qualitätsmerkmale. So stehen demnach den Versicherten zwei geeignete, mehrkostenfreie Produktmuster zu, die Beratung durch den Leistungserbringer muss umfassend dokumentiert werden, die Lieferung hat verpflichtend innerhalb von 48 Stunden zu erfolgen und spätestens nach vier Wochen steht eine Abfrage an, ob die Kundin oder der Kunde mit der Service- und Produktqualität zufrieden ist.

Was die Preise betrifft, beruft sich die AOK NordWest auf „Verhandlungen mit kleineren, aber auch bundesweit tätigen Leistungserbringern“ – darunter auch Apotheken. „Bei der Kalkulation der neuen Preise sind auf unserer und auf der Seite der Verhandlungspartner die bisherigen Versorgungsmengen, die Einkaufspreise, aber auch die nötigen Service- und Dienstleistungsaspekte berücksichtigt worden.“ Sie unterlägen „einer ausführlichen Mischkalkulation. Die Verhandlungspartner haben uns ausdrücklich zugesichert, dass die Preise eine auskömmliche, wirtschaftliche, zweckmäßige und gleichermaßen qualitativ hochwertige Versorgung der Versicherten gewährleisten.“



Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Warum überrascht ? same procedure as usual

von ratatosk am 15.12.2021 um 8:39 Uhr

In deutschen GKV gilt nur , " Geiz ist geil " , koste was es wolle. Es gibt keine Honorierung einer flächendeckenden guten Versorgung, den Rest machen die intransparenten Verhandlungen im Hinterzimmer, Transparenz alla Ulla. Unterstützt ja auch schon von Lauterbach durch die geplante Hebung von Effizienzreserven im Apothekenbereich, da wissen die Apparatschiks auch, daß es so mit der politischen Unterstützung dieses Handelns weitergeht, schade aber total absehbar.

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