Digitalisierung und Klima

Wie nachhaltig ist das E-Rezept?

Berlin - 13.04.2022, 13:45 Uhr

Noch wird der Token zum E-Rezept im Regelfall ausgedruckt. Aber kann das nur noch digital übermittelte E-Rezept künftig zum Klimaschutz beitragen? (s / Foto: IMAGO / Westend61)

Noch wird der Token zum E-Rezept im Regelfall ausgedruckt. Aber kann das nur noch digital übermittelte E-Rezept künftig zum Klimaschutz beitragen? (s / Foto: IMAGO / Westend61)


Weniger Strom und Papier, weniger Feinstaub und CO2: Nach einer Recherche der Marketingagentur „The Medical Network“ könnte die Umstellung vom Papier- zum E-Rezept in puncto Nachhaltigkeit deutlich von Vorteil sein. Laut Digitalisierungs-Experte Florian Giermann könnte das Potenzial sogar weit über die ersten Berechnungen hinausgehen. Doch zum genauen Einfluss des E-Rezepts auf den Planeten fehlen unabhängige Recherchen.

Solange der flächendeckende Rollout des E-Rezepts weiter verschoben wird, diskutieren Apotheker:innen: Wird die elektronische Verordnung eher schaden oder Potenzial entfalten?

Mit Blick auf das Klima besteht Hoffnung: Die Digitalisierung im Gesundheitswesen könnte auf verschiedenen Wegen das Klima und Ressourcen schonen, wie „The Medical Network“ schreibt. Nach eigenen Recherchen und Berechnungen veröffentlichten sie vier Fakten zu dieser These auf der Plattform „LinkedIn“.

Nach ihren Berechnungen sollen nach einer vollständigen Umstellung auf das E-Rezept 90 Prozent weniger Strom verbraucht werden. Denn Verordnungen elektronisch zu übermitteln, verbraucht weniger Energie, als sie auszudrucken. Auch stießen Drucker eine Menge Feinstaub aus – wodurch die Umstellung 100 Billiarden Feinstaubpartikel einsparen würde. Insgesamt würden 610 Tonnen CO2 weniger frei. Und nicht zuletzt erspare das E-Rezept den Verbrauch von 560 Tonnen Papier.

„The Medical Network“ ist eine PR- und Marketingagentur, die Ihre Unterstützung ganz speziell für digitale Gesundheitsunternehmen“ anbietet. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Zweifel zur Digitalisierung aus dem Weg zu räumen. In ihrer Veröffentlichung legt die Agentur nicht offen, welche Aspekte sie für ihre Berechnungen herangezogen hat. Gegenüber der DAZ-Redaktion erklärt eine Mitarbeiterin, dass sich die Recherchen unter anderem auf Fachartikel zu Energie- und Umweltkosten von Druckern und der Papierproduktion beziehen.

Eher 1.000 Tonnen erspartes Papier

Die DAZ-Redaktion suchte nach weiteren Einschätzungen und wurde bei Florian Giermann fündig. Giermann ist Geschäftsführer beim Software-Dienstleister Noventi Care. Im Buch „Die nachhaltige Apotheke“ steuerte er ein Kapitel dazu bei, wie sich die Digitalisierung auf den Planeten auswirken könnte. Auf seinem Blog „Das Edikt von Cupertino“ kommentierte er die Zahlen von „The Medical Network“. 

Giermann schätzt, dass die Umstellung deutlich mehr Papier einsparen könnte, als von der Marketingagentur angenommen. Jährlich würden 500 Millionen Muster-16-Rezepte verbraucht, die insgesamt 680 Tonnen wiegen. Wenn auch noch Heil- und Hilfsmittelrezepte restlos elektronisch übermittelt würden, kommentiert Giermann, wäre es denkbar, jährlich 1.000 Tonnen Papier zu sparen.

Das E-Rezept spart Wege

Ein weiterer Punkt für das E-Rezept, der von „The Medical Network“ vermutlich nicht beachtet wurde, ist für Giermann die Ersparnis an Wegen. Heute müssen Rezepte von der Bundesdruckerei zum Arzt, von dort zur Apotheke, dann weiter zum Abrechnungszentrum und schließlich zu den Krankenkassen. Mit dem E-Rezept bliebe nur noch der Weg des Patienten von der Arztpraxis zur Apotheke. Beachte man den CO2-Ausstoß, den ein LKW pro Kilometer verbrauche, könnte dies zusätzlich viele Tonnen CO2 einsparen.

Digitalisierung nur mit Energiewende

Ob das E-Rezept den Stromverbrauch um 90 Prozent senken kann, bleibt unklar. Denn „The Medical Network“ legt nicht offen, ob die intensivere Smartphone-Nutzung der Endverbraucher und die vielen Server mit einbezogen wurden, die betrieben werden müssten, um Daten zu sichern.

Giermann sagt dazu gegenüber der DAZ, dass in diesem Fall klar sein müsse, dass der Strom aus erneuerbaren Energiequellen stammt. „Der Ukrainekonflikt hat gezeigt: Wir brauchen die Energiewende. Solange wir noch mit Kohle und Gas heizen, könnte das eine Milchmädchenrechnung sein.“ Man müsse zeitgleich die Energiewende und die Digitalisierung voranbringen, so Giermann.

Dass mit dem E-Rezept der Stromverbrauch deutlich sinkt, ist für ihn erst realistisch, wenn die vollständige Umstellung auf elektronische Verordnungen gelungen ist. Denn noch müssen Ärzt:innen und Apotheker:innen Geräte betreiben, die sowohl die Belieferung von Papier- als auch von E-Rezepten ermöglichen.

Zweifel bleiben 

An anderen Punkten richtet die Digitalisierung Schaden an: Für IT-Geräte wie Server, Smartphones, Notebooks und Co. werden Rohstoffe wie Kupfer, Coltan, Wolfram oder seltene Erden benötigt. Woher die Bauteile stammen, ist bei den wenigsten Produzenten in Erfahrung zu bringen. Viele Rohstoffe werden unter massiven Verletzungen der Umwelt- und Menschenrechtsstandards abgebaut. Wie viel neue Geräte und Server die Gematik und Dienstleister schon jetzt benötigen oder benötigen werden, ist derzeit unklar.

Für Giermann überwiegen dennoch die Vorteile des E-Rezepts für das Klima. „Erstmal ist wichtig, dass wir den Feinstaubausstoß durch den Papierverbrauch senken“, erklärt er. Denn wenn weniger Papier verbraucht wird, müssen weniger Bäume abgeholzt werden, die CO2 aus der Atmosphäre binden. „Einige Stolpersteine liegen noch im Weg. Aber der wichtigste Stolperstein ist die Patientenversorgung. Wenn diese sichergestellt werden kann, sollten wir mit der Digitalisierung vorangehen.“



Apotheker Marius Penzel
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


4 Kommentare

Wie man wirklich Papier und Energie sparen kann...

von Hummelmann am 18.04.2022 um 12:51 Uhr

Wenn es den Verantwortlichen wirklich um die Umwelt geht, dann müssten Sie den Hebel ganz woanders ansetzen:
a) Kassenbon nur auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten. Es genügt völlig, wenn wir den Kassenvorgang elektronisch dokumentieren. Wer der Kassensoftware nicht vertraut, darf eine sofortige Übermittlung der Daten an die Finanzämter fordern. Geht ja bei Securpharm auch. Das spart erheblich mehr Papier als der Verzicht auf ein Rezeptformular.
b) Ein sofortiges Ende der Importquote. Es macht überhaupt keinen Sinn, dass wir ein Arzneimittel dadurch billiger machen, dass wir es quer durch Europa transportieren und neue Beipackzettel drucken. Der Preis ließe sich auch per Gesetz regeln. Zum Beispiel so: Der günstigste Preis in einem EU-Land mit Euro-Währung gilt auch als Preis für die Abrechnung des Originals mit den deutschen Krankenkassen. Das spart enorme Transport- und Verpackungskosten.
c) Es macht umweltpolitisch keinerlei Sinn, dass wir einzelne Arzneimittel in Kartons verpacken und uns aus dem Ausland binnen 24 Stunden schicken lassen. Das System Pharmagroßhandel liefert an die Abgabestelle Apotheke ist nicht nur schneller, sondern auch deutlich umweltfreundlicher. Wer es mit der Umwelt und dem Energieverbrauch wirklich ernst meint, setzt ein Versandhandelsverbot für Arzneimittel (RX+OTC) um.
JA, man müsste sogar noch weiter gehen und die Hauszustellung der Vor-Ort-Apotheke auf den eigenen und die direkt angrenzenden Postleitzahlen-Gebiete beschränken. Das funktioniert sogar ohne fossile Brennstoffe.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Bitte nachdenken

von Stefan Haydn am 14.04.2022 um 9:15 Uhr

Seit wann stoßen denn Nadeldrucker und Tintenstrahler, oder Thermo-Drucker Feinstaub aus?

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Bitte nachdenken

von Florian Giermann am 14.04.2022 um 11:50 Uhr

Der Feinstaub kommt in den seltensten Fällen vom Toner, sondern vom Papier selbst. Er wird durch den Abrieb erzeugt, der entsteht, wenn Papier durch den Drucker bewegt wird. Hierzu gibt es auch ein Faltblatt der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Falls die nicht bekannt sein sollte, bitte unbedingt lesen, sind nur zwei Seiten:
https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Praxis-kompakt/F43.html

reiner Schwachsinn

von Karl Friedrich Müller am 13.04.2022 um 15:09 Uhr

Schönreden, Traumtänzerei.
Erst mal muss jeder 1 Smartphone haben. Sonst gibt es ein 4x größeres Papier.Smartphones sind alles andere as umweltfreundlich. Viele können gar nicht damit umgehen.
Tagträumerei für: was wäre wenn und wenn alles optimal liefe. TUT ES NICHT.
das eRezept ist eine Erfindung für Abzocker und Renditejäger. Der Patient/Kunde/Bürger wird nicht berücksichtigt, die Leistungsanbieter wie Arzt/ Apotheke sowieso nicht.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.