Die Top-12-Kinderarzneistoffe

Vitamin D für Säuglinge und Kinder – wann und wie viel?

Rosenheim - 10.05.2022, 07:00 Uhr

Sonne vermag nicht nur das Gemüt, sondern auch den Vitamin-D-Spiegel zu heben. Allerdings sollen Säuglinge im ersten Lebensjahr keiner direkten Sonne ausgesetzt werden. (c / Foto: Vitalinka / AdobeStock)

Sonne vermag nicht nur das Gemüt, sondern auch den Vitamin-D-Spiegel zu heben. Allerdings sollen Säuglinge im ersten Lebensjahr keiner direkten Sonne ausgesetzt werden. (c / Foto: Vitalinka / AdobeStock)


In der Serie „Die Top-12-Kinderarzneistoffe“ beleuchtet die DAZ die Arzneimittel, die laut TK-Arzneimittelreport am häufigsten von Kinder- und Jugendmedizinern verordnet werden, aber auch in der Selbstmedikation zum Einsatz kommen. Dieses Mal geht es um Cholecalciferol – dabei werfen wir auch einen Blick auf andere Länder und deren Empfehlungen zur Vitamin-D-Supplementierung beziehungsweise Rachitisprophylaxe bei Kleinkindern.

Wenn man wirklich kleinlich sein will, ist der Begriff „Vitamin“ D per Definition falsch. Denn der Mensch kann unter günstigen Bedingungen ausreichende Mengen von Cholecalciferol selbst herstellen. Unter Lichteinwirkung wird aus 7-Dehydrocholesterol in den Haut-Keratinozyten Cholecalciferol gebildet. Es wird auch als Vitamin D3 bezeichnet und ist die bedeutendste Verbindung. Im Körper folgen zwei Hydroxylierungsschritte zunächst in der Leber und anschließend in der Niere, ehe das biologisch aktive 1,25-Dihydroxycholecalciferol (=Calcitriol) entsteht. Die wichtigste Funktion des Steroidhormons ist die Aufrechterhaltung der Calcium- und Phosphathomöostase, es hat aber auch eine direkte Wirkung auf Knochenumbau und -wachstum. 

Säuglinge können ihren Bedarf allerdings weder durch die Ernährung noch durch endogene Synthese decken, da sie im ersten Lebensjahr gar keiner direkten Sonne ausgesetzt werden sollen. Deshalb wird ab der zweiten Lebenswoche die Zufuhr von 400 bis 500 IE Cholecalciferol täglich empfohlen – die sogenannte „Rachitisprophylaxe“. 

Rachitis entsteht durch einen Vitamin-D-Mangel in der Kindheit. Das stört die Mineralisierung und Struktur der Knochen, es treten Knochenauffälligkeiten wie Skoliose, Glockenthorax oder Achsenabweichungen auf (siehe S1-Leitlinie Vitamin-D-Mangel-Rachitis). Diese Knochendeformationen waren insbesondere in Industriestädten des 19. Jahrhunderts weit verbreitet. Betroffene wurden zunächst symptomatisch mit Lebertran und natürlichem Sonnenlicht therapiert, ehe die Synthese des Vitamins gelang. Seit Einführung der Vitamin-D-Prophylaxe tritt Rachitis hierzulande glücklicherweise nur noch sehr selten auf.

Tropfen oder Tabletten?

In Deutschland stehen hierfür ölige Tropfen oder Tabletten zur Verfügung. Tabletten werden am besten auf einem Löffel in etwas Wasser zerfallen gelassen und anschließend direkt in den Mund gegeben. Eine Untermischung in Brei ist kritisch, da die volle Dosis nur bei Verzehr der gesamten Mahlzeit gewährleistet ist. Tropfen können bei gestillten Kindern auch direkt auf die Brustwarze gegeben werden. Insbesondere verschreibungspflichtige hochdosierte Tropfen bergen jedoch das Risiko einer versehentlichen Überdosierung

Ein, zwei oder sogar vier Jahre supplementieren?

Vitamin D soll bis zum zweiten erlebten Sommer supplementiert werden. Herbst- und Winterkinder ergänzen also anderthalb Jahre, während Frühlingskinder nach einem Jahr in den Sommermonaten selbst genügend Vitamin D herstellen. Hierfür genügen täglich zehn bis fünfzehn Minuten Sonnenlicht auf Gesicht und unbedeckte Arme. Sonnenbrand muss aber unbedingt vermieden werden! Die Sonnenstärke genügt in Deutschland rund sechs Monate, um eine ausreichende endogene Vitamin-D-Synthese zu gewährleisten. 

In anderen Ländern wird die Supplementierung teilweise sogar noch länger empfohlen, wie beispielsweise in den Niederlanden bis zum vierten Lebensjahr. In Finnland, Kanada und Amerika werden hingegen systematisch Nahrungsmittel mit Vitamin D angereichert, um die Versorgung in allen Altersklassen sicherzustellen. 

Wollen Eltern in Deutschland in den Wintermonaten bei Kindern über zwei Jahren Vitamin D ergänzen, besprechen sie dies am besten mit ihrem Kinderarzt.

Faktoren, die das Risiko für Vitamin-D-Mangel erhöhen

Die Synthese von Vitamin D wird auf mehreren Ebenen fein reguliert. Bei einem Überangebot an 1,25-Dihydroxycholecalciferol wird es beispielsweise enzymatisch inaktiviert. In der Epidermis wiederum ist das vorhandene 7-Dehydrocholesterol, also der Vorläufer von Cholecalciferol, limitiert. Eine Intoxikation durch zu viel Sonne ist also unmöglich. Im Idealfall können Erwachsene bis zu 20.000 IE pro Tag endogen synthetisieren. Je nach Sonnenstand und Bekleidung genügen dafür mitunter sogar 10 bis 15 Minuten. Das bedeutet jedoch auch, dass danach eine längere Bestrahlungsdauer keine höhere Vitamin-D-Synthese bringt, sondern nur das Sonnenbrand-Risiko erhöht (Thomas Herdegen: Kurzlehrbuch Pharmakologie und Toxikologie, 3. Auflage).

Das sind die Top zwölf der am häufigsten verordneten Wirkstoffe für Kinder

  1. Ibuprofen
  2. Xylometazolin
  3. Paracetamol
  4. Cholecalciferol
  5. Salbutamol
  6. Efeublätterextrakt
  7. Amoxicillin
  8. Ambroxol
  9. Ofloxacin
  10. Cefaclor
  11. Cetirizin
  12. Olaflur

TK-Report „Kinder und Arzneimittel“ (23. Februar 2022)

Langfristig passt sich der Körper an zu viel Sonneneinstrahlung durch vermehrte Bildung von Melanin an. Durch die Bräunung gelangt weniger UV-Licht in die Haut, sodass sich dunkelhäutige Menschen 5- bis 10-mal länger dem Sonnenlicht aussetzen müssen, um ausreichende Mengen Vitamin D zu synthetisieren. Einige Quellen empfehlen bei dunkelhäutigen Kindern daher 800 IE pro Tag als Rachitisprophylaxe. Bei ihnen sowie voll verschleierten Mädchen sollte in der Beratung unbedingt auf die Bedeutung einer Vitamin-D-Zufuhr hingewiesen werden. Denn es gibt einige Faktoren, die das Risiko für Vitamin-D-Mangel im Kinder- und Jugendalter erhöhen:

  • Brustmilchernährung ohne Vitamin-D-Prophylaxe oder durch Mütter mit Vitamin-D-Mangel
  • dunkle Hautfarbe
  • chronische Erkrankungen, wie z. B. Diabetes mellitus oder chronische Niereninsuffizienz
  • Malabsorptionssyndrome, wie Zöliakie, Morbus Crohn oder Mukoviszidose
  • mangelndes Sonnenlicht, beispielsweise durch Immobilisation, Verschleierung, Lebensstil
  • dauerhafte Anwendung von Sonnenschutzmitteln
  • starke Wachstumsphasen in Kindheit oder Pubertät
  • bestimmte Arzneistoffe, wie Antiepileptika, Glucocorticoide (Osteoporoseprophylaxe!)

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Anna Carolin Antropov, Apothekerin
redaktion@daz.online


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