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Datenlogging-System „Record-seq“
Diagnostik: Datensammelnde Bakterien statt Darmspiegelung?
Schweizer Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) haben ein System entwickelt, mit dem Darmbakterien auf ihrem Weg durch das Verdauungsorgan dessen Zustand protokollieren können. In Zukunft könnte das eine Alternative zu Darmspiegelungen darstellen.
Eine Darmspiegelung ist zwar heute im Allgemeinen recht verträglich und mit entsprechender Vorbereitung schnell, ambulant und unter örtlicher Betäubung durchführbar – dennoch ist sie vielen Menschen schon von vorneherein unangenehm. Nicht umsonst betreiben einige Krankenkassen viel Aufwand, ihre Versicherten vom Vorteil etwa der Darmkrebsvorsorge mittels Darmspiegelung etwa mit Fernsehwerbespots zu überzeugen.
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Zum einen ist es die Hemmschwelle, dann aber auch der Apparateaufwand und nicht zuletzt die Tatsache, dass die Patienten vor einer Darmspiegelung nüchtern sein sollen, was Nachteile dieser Untersuchungsmethode sind. Schließlich beeinflusst das Nichtessen vor der Untersuchung die Darmfunktion und verfälscht unter Umständen Ergebnisse, wenn es nicht um den reinen Zustand der Darmwand, sondern auch um die Funktion des Verdauungsapparates geht.
Schweizer Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) haben nun gemeinsam mit Wissenschaftlern am Inselspital und der Universität Bern eine raffinierte mögliche zukünftige Alternative zur Darmdiagnostik gefunden. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher jetzt im Fachmagazin Science.
Sie nutzen dafür Darmbakterien der Art Escherichia coli, die ja ohnehin einen Großteil der natürlichen Darmflora darstellen. Der Trick der Forscher: Sie lassen die Bakterien bei ihrer Passage durch den Darm Daten sammeln, die ausgewertet werden, nachdem die Bakterien wieder aus dem Kot isoliert wurden.
Dazu müssen die Bakterien natürlich mit einem entsprechenden Instrumentarium ausgerüstet werden. Natürlich nicht etwa mit Videokameras – die Forscher versahen ihre Datenlogger-Bakterien stattdessen mit einem standardisierten und modifizierten CRISPR/Cas-System.
CRISPR/Cas-System als Datenlogger genutzt
CRISPR steht für Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats, Cas für CRISPR assoziiertes Protein. Das System ist zwar bekannt als „Genschere“, als einfache Methode, Gene in den verschiedensten Organismen einzufügen oder auszuschalten und dafür auch im Jahr 2020 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden – die Schweizer Forscher nutzen allerdings hier einen Teil der ursprünglichen Funktion des Systems.
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Natürlicherweise gehört CRISPR/Cas zum „Immunsystem“ von Bakterien, unter anderem auch von Escherichia coli. Die Bakterien „merken“ sich, wenn sie von Viren (in der Regel vom Phagentyp) infiziert wurden, indem sie Teile des Virus-Genoms im sogenannten CRISPR-Array innerhalb ihres eigenen Erbguts speichern. Von den gespeicherten Abschnitten werden permanent RNA-Kopien gebildet. Infiziert nun erneut ein Phage eine Bakterie, dockt diese RNA an die vom Phagen ins Bakteriengenom eingebauten eigene Bauanleitung und vermittelt dem Protein Cas, diesen Abschnitt herauszuschneiden. Damit wehrt sich die Bakterie gegen bekannte Phagen und protokolliert so dauernd, welchen Viren sie ausgesetzt war.
Die Schweizer Forscher haben das System modifiziert. Zum einen nahmen sie einen bekannten als Probiotikum zugelassenen definierten Escherichia coli-Stamm. Diesem bauten sie ein definiertes CRISPR/Cas-System aus dem Bakterium Fusicatenibacter saccharivorans ein. Zusätzlich bekam das System die Bauanleitung für das Protein Reverse Transkriptase mit. Dieses aus RNA-Viren wie etwa HIV bekannte Protein führt eine umgekehrte Transkription aus. Es schreibt aus einer RNA-Matrix eine DNA-Kopie. Mit diesen Instrumenten versetzten die Forscher die Bakterien nun in die Lage, dass sie in ihrem eigenen Genom protokollierten, welche Gene wie oft abgelesen wurden.
Für jedes aktivierte Gen, von dem eine Boten-RNA (mRNA) als Transkript gefertigt wird, fertigte die Reverse Transkriptase nun eine DNA-Kopie, die im CRISPR-Array gespeichert wird. Isoliert man die Bakterien später im Kot und wertet aus, welche Transkripte wie oft in den CRISPR-Arrays gespeichert wurden, lassen sich Aussagen dazu machen, welche Gene aktiv waren – und damit welchen Bedingungen die Bakterien im Darm ausgesetzt waren.
Möglich macht die Analyse eine Hochdurchsatz-DNA-Sequenzierung und die Auswertung der Daten mittels leistungsstarker Bioinformatik-Anwendungen. Im Versuchsansatz verwendeten die Forscher Mäuse und deren Kot. Indem die Forscher den Mäusen verschiedenes Futter fütterten, ließ sich der Effekt auf die ausgewerteten Daten aus den Bakterien zeigen.
Rückschlüsse auf Nährstoffangebot, aber auch auf Entzündungsparameter
So lassen sich aus den ausgewerteten Daten Rückschlüsse ziehen, etwa welche Nährstoffe in welcher Menge im Darm vorhanden waren oder ob es Mangel gab. Auch Entzündungsparameter konnten die Forscher mit der Methode indirekt nachweisen. Zum Vergleich gaben sie die Bakterien an gesunde Mäuse und an Mäuse, bei denen eine Darmentzündung ausgelöst worden war.
Ziel der Forscher ist es, das System zukünftig auf Menschen übertragen zu können, etwa als nicht-invasive Alternative zu einer Darmspiegelung. „Mit der neuen Methode können wir Informationen direkt aus dem Darm gewinnen, ohne dabei die Darmfunktion stören zu müssen“, sagt Andrew Macpherson, Professor und Chefarzt Gastroenterologie am Inselspital Bern und einer der Autoren der Studie. Bakterien seien sehr gut darin, Umweltbedingungen zu erfassen und ihren Stoffwechsel an geänderte Bedingungen wie etwa die Nahrung anzupassen, erklärt er das Prinzip.
Ernährungszustände bei Diäten, Mangelernährungen, Indikationen für Nahrungsergänzungsmittel, aber auch Entzündungen beziehungsweise entzündliche Erkrankungen im Darm ließen sich so zukünftig nicht-invasiv diagnostizieren, sagen die Forscher.
Um die Grenzen des Datenlogging-Systems zu erkennen, sei man allerdings noch in einer recht frühen Phase, sagt Florian Schmidt, promovierter Mikrobiologe im Team von Professor Randall Platt im Department of Biosystems Science and Engineering an der ETH und Erstautor der Studie. „Eine absolute Datenkapazität können wir aktuell nicht kennen. Wir testen unser System aber in einem breiten Spektrum möglicher Anwendungen und wissen, dass wir es schaffen, mit einer Population von E. Coli-Bakterien, welche beispielsweise durch den Darm wandert ‚transcriptome-scale‘ Information aufzunehmen und aus diesen Aufzeichnungen Rückschlüsse über Interaktionen zwischen der Maus und unseren Bakterien oder den verschiedenen Bakterien untereinander ziehen können“, sagt er.
„Transkriptom-Maßstab“ meint dabei, dass man entsprechend ein gesamtes Protokoll aller in einem bestimmten Zeitraum transkribierten Gene darstellen könnte (das Transkriptom).
Indirekt wäre auch der Nachweis von Darmkrebs oder Pathogenen möglich
Die Forscher meinen, dass sich mit den Datenlogger-Bakterien daher eventuell auch das Vorhandensein von Darmkrebs, Parasiten oder andere pathogene Erreger indirekt nachweisen ließe, über Markerproteine. „Wir denken, dass es unseren Zellen durchaus möglich ist, solche Informationen über Fremdproteine aufzuzeigen, vorausgesetzt, dass diese Proteine mit unseren E. Coli-Zellen direkt oder aber indirekt interagieren und schlussendlich Einfluss auf ihre Transkription haben“, sagt Schmidt. Wichtig sei dann zudem, dass eine ausreichend große Anzahl der Bakterien diesem Fremdprotein ausgesetzt seien. „Dass unsere E. Coli die Gegenwart anderer Bakterien aufzeichnen können, zeigen wir in unserer Publikation am Beispiel von B. theta (Bacteroides thetaiotaomicron). Beim Nachweis pathogener Erreger spielen dann wieder die gleichen Faktoren wie bei Fremdproteinen eine Rolle, also Einfluss auf E. Coli und wie häufig diese vorkommen“, sagt er.
Auch Umweltmonitoring wäre eine mögliche Anwendung
Außerdem sehen die Forscher ihr System auch nicht unbedingt nur auf medizinische Diagnostik-Anwendungen begrenzt. Man könne eventuell auch Umweltmonitoring mit dem von den Forschern „Record-seq“ genannten System betreiben. Dabei könnten entsprechende Bakterien dann nachweisen, ob etwa Pestizide in einem bestimmten Bereich freigesetzt werden oder Umweltgifte vorliegen.
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Allerdings sind dafür – und auch für einen möglichen medizinisch-diagnostischen Einsatz – noch Fragen zur Sicherheit der Genetisch veränderten Organismen (GVOs) zu klären. „Grundsätzlich gibt es Möglichkeiten, lebende gentechnisch veränderte Mikroorganismen als Diagnostika oder Therapeutika in der Medizin anzuwenden, wenn dabei einige Bedingungen erfüllt sind“, erklärt Platt. So sei es möglich, die „Sensorbakterien“ so zu verändern, dass sie bestimmte Nährstoffe benötigen und dadurch nur innerhalb des Darms eines Patienten überlebten. Außerhalb des Darms stürben solche Bakterien ab, sagt er. Der Einbau entsprechender Sicherheitsmechanismen sei der nächste Schritt hin zu einer Anwendung in der Medizin.
„Die GVOs, mit denen wir aktuell arbeiten, werden in keinem Fall in die Umwelt freigesetzt. Sie werden aktuell ausschließlich im Labor unter sehr definierten Bedingungen eingesetzt und sind daher sicher und ,isoliert‘, ergänzt Schmidt. „Mit Bezug auf ihre eventuelle Anwendung in der Diagnostik oder anderen Bereichen ist es natürlich wichtig, horizontalen Gentransfer mit anderen Bakterien auszuschließen; gleiches gilt für ,Biocontainment‘ und die Zeit, für die unsere Datenlogger im Darm verbleiben. Wir sind in der glücklichen Situation, dass hier viele andere Forschungsgruppen bereits Lösungen erarbeitet haben (beispielsweise in der Mikrobiologie oder synthetischen Biologie), und wir haben vor, diese Lösungen zum Biocontainment auch mit unseren Zellen zu kombinieren, um deren Sicherheit stets zu gewährleisten“, erklärt der Forscher.
Bis zum Einsatz in der Medizin kann es noch dauern
Als nächste Forschungsschritte wollen sich die Forscher nun auf die verschiedenen möglichen Anwendungen der Sensorbakterien konzentrieren. „Diese schließen Diagnostik und Therapeutika mit ein. Aktuell schauen wir uns verschiedene Optionen in beiden Bereichen an, insbesondere unter dem Augenmerk der Effizienz und der Sicherheit. Dies sind die beiden Hauptpunkte, die wir bis zu einer Anwendung noch weiter erforschen und verbessern wollen“, sagt Schmidt.
Bis zu einer Zulassung in der medizinischen Diagnostik könne aber noch einige Zeit vergehen, sagt der Forscher. „Die Entwicklung solch neuartiger Technologien beansprucht viel Zeit. Wenn wir ein lebendes mikrobielles Diagnostikum entwickeln, steht uns zunächst noch mehr Arbeit im Labor und anschließend klinische Studien und Zulassung durch die Behörden an. Wir können hier noch keine Zeitachse abschätzen“, sagt Schmidt. Das Prinzip ihrer Sensorbakterien haben die Forscher in jedem Fall bereits zum Patent angemeldet.
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