Phytotherapie bei Stoffwechselstörungen

LDL-Senkung dank Flohsamenschalen und Knoblauch?

Meran - 27.05.2022, 09:15 Uhr

Professor Robert Fürst vom Pharmazeutischen Institut für Biologie in Frankfurt auf dem Pharmacon Meran 2022. (Foto: DAZ)

Professor Robert Fürst vom Pharmazeutischen Institut für Biologie in Frankfurt auf dem Pharmacon Meran 2022. (Foto: DAZ)


Beim Pharmacon Meran 2022 gab es Standing Ovations auf den Tribünen, wo die Studierenden aus Frankfurt saßen. Der Applaus galt ihrem Professor Robert Fürst vom Pharmazeutischen Institut für Biologie – und das, obwohl er seinen Vortrag zur „Phytotherapie zur Behandlung von Stoffwechselstörungen“ damit einleitete, dass Phytotherapie dort „evidenzbasiert“ eigentlich nicht möglich ist. Unter dem Motto „was nicht geht“ machte er dennoch deutlich, wie viel man von pflanzlichen Arzneimitteln – gegenüber Nahrungsergänzungsmitteln – beispielsweise bei Hyperlipidämie erwarten darf.

Ob Hyperlipidämie, Diabetes, Adipositas, Hyperthyreose oder Gicht – wenn es in der Apotheke um Stoffwechselstörungen geht, denkt wohl kaum eine:e Apotheker:in an evidenzbasierte Phytotherapie. Auf der Seite der Kund:innen könnte das schon anders aussehen, und so ist es sicherlich sinnvoll in der Apotheke auch erklären zu können, warum die meisten pflanzlichen Arzneimittel in diesem Bereich nicht sinnvoll sind. Natürlich gibt es nicht gar keine Daten und damit auch nicht keinerlei Evidenz für die Phytotherapie bei Stoffwechselstörungen. Um in der Praxis Empfehlungen aussprechen zu können, müsse aber auf die Validität und vor allem auf die Größe des Therapieeffekts geachtet werden, der sich in den Daten zeigt, so Professor Robert Fürst vom Pharmazeutischen Institut für Biologie in Frankfurt beim Pharmacon Meran 2022.

„Die letzte Bastion gegen die Nahrungsergänzungsmittel“

Bei der Beurteilung der Evidenz zu (pflanzlichen) Arzneimitteln muss zwischen den verschiedenen Zulassungsarten unterschieden werden. So sind Arzneimittel mit einer „Well-established-Use“-Zulassung zwar auf Basis von kontrollierten randomisierten Studien (RCTs) zugelassen worden, allerdings nur bibliografisch. Es gibt also keine eigens für die Zulassung durchgeführten Studien. Eine „Evidenzgrenze“ zog Fürst sodann zwischen der „Well-established-Use“-Zulassung und den „Traditional-Use“-Arzneimitteln. Denn diese wurden nicht zugelassen, sondern nur registriert. RCTs gibt es in diesem Fall also nicht. Und doch: Egal, ob eine normale Zulassung oder einer der beiden zuvor genannten Marktzugänge vorliegt – Fürst plädierte für die Wertschätzung all solcher pflanzlicher Arzneimittel, denn sie seien „die letzte Bastion gegen die Nahrungsergänzungsmittel“. Warum? Weil die Qualität in allen drei Fällen produktspezifisch nachgewiesen werden müsse, bei Nahrungsergänzungsmitteln – und damit im Lebensmittelbereich – hingegen nicht.

Die Größe des Therapieeffekts lässt zu wünschen übrig

Bei der Behandlung der Hyperlipidämie müssen sich pflanzliche Arzneimittel bei der LDL-Reduktion an hohen Maßstäben messen lassen. Denn Statine, Ezetimib oder PCSK9-Inhibitoren erreichen einzeln oder in Kombination LDL-Senkungen im Bereich von 30 bis 85 Prozent.

Flohsamenschalen verfügen über eine „Well-established-Use“-Zulassung und sind indiziert bei Hypercholesterinämie, allerdings nur adjuvant zu einer Diät. Der HMPC (Committee on Herbal Medicinal Products) stützt sich in seiner Bewertung tatsächlich auf eine Metaanalyse aus 21 klinischen Studien. Was zunächst nach vielen Daten und somit starker Evidenz klingt. Letztlich kommt die Metaanalyse aber nur auf ein Patient:innen-Kollektiv aus 1.030 Personen. Und auch sonst bestehen in der Metaanalyse viele Unsicherheiten, beispielsweise weil beliebige Diäthintergründe vorliegen oder die Dosierungen und Behandlungsdauern stark variieren. 

Schließlich heißt es in der Empfehlung des Committee on Herbal Medicinal Products vom 14. Mai 2013, dass im Durchschnitt Flohsamenschalen zu einer Senkung des Gesamtcholesterins um fast 4–5 Prozent führen, während sie das LDL-Cholesterin um fast 7 Prozent senken, ohne Auswirkungen auf das HDL-Cholesterin. Auch das HMPC bezeichnet diesen Effekt gegenüber Statinen als „klein“ – Menschen mit Hypercholesterolämie sollten grundsätzlich aber ihre Ballaststoffaufnahme steigern.

Der Knoblauch lehnt sich „weit aus dem Fenster“

Anders als Indische Flohsamenschalen ist Knoblauchpulver tatsächlich „als Adjuvans zur Vorbeugung von Atherosklerose“ indiziert, allerdings nur als traditionelles Arzneimittel registriert. Der Evidenz werden hier die zahlreichen verschiedenen Inhaltsstoffe je nach Präparation zum Verhängnis. Fürst betonte, dass man nicht „Äpfel mit Birnen vergleichen“ dürfe und hält die Wortwahl der Indikation entsprechend für mutig.

„Bauchschmerzen bis Flatulenz“ bei Curcumin?

Fürst ging noch auf zahlreiche weitere diskutierte Pflanzen(stoffe) und weitere Indikationen ein. So betonte er etwa bei Diabetes und Zimt, dass Studien zu echtem Zimt nur schwer zu finden seien, nach seiner Recherche bei ihm aber das Bauchgefühl zurückbleibe: „Zimt müsste man besser untersuchen“. Bei Curcumin sprach Fürst generell von einer „inneren Nervosität“, weil es „gegen alles“ helfen soll – man solle genau hinschauen. 

(Foto: DAZ)
Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe äußerte sich aus dem Publikum zu Curcumin.

Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe (Lehrstuhlinhaberin für Pharmazeutische und Medizinische Chemie in Würzburg) äußerte sich in der anschließenden Fragerunde deutlicher: Curcumin sollte eigentlich gar nicht eingenommen werden, weil es sich um eine hochreaktive Substanz handle. Man solle sie nicht etwa durch Mizellen-Technologie verfügbarer machen.

Bei Adipositas bezeichnete Fürst eine RCT zu einem Bohnenhülsenextrakt als interessant. Bei der Hyperthyreose erwähnte er zwar das Wolfstrappkraut, und dass Symptome damit deutlich reduziert werden könnten, jedoch gebe es keine wirklich gut gemachte klinische Studie.

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Gicht – ein Highlight der Phytotherapie

Als es schließlich um die Gicht ging, konnte Fürst die Herbstzeitlose als „echtes Highlight“ der Phytotherapie präsentieren, weil dort der Wirkmechanismus gut untersucht ist. Fürst betonte aber, dass aufgrund der geringen therapeutischen Breite von Colchicin, entsprechende Präparate nicht mehr als „pflanzliche Arzneimittel“ bezeichnet werden dürfen, und die maximal applizierbare Menge pro Packung reduziert werden musste, sodass sie für maximal zwei Gichtanfälle ausreicht, um Überdosierungen zu verhindern. Apotheker:innen müssen aber weiterhin genau über das Dosierungsschema aufklären und darauf hinweisen, dass Magen-Darm-Beschwerden erste Anzeichen einer Intoxikation sein können. Dann soll man Colchicin sofort absetzen, so Fürst.

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Als Ausblick in die Zukunft verwies Fürst am Ende auf das Potenzial von Colchicin bei chronischem Koronarsyndrom.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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