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Das E-Rezept ist gestartet – und draußen hat’s keiner gemerkt. Und es gibt noch Fragen über Fragen dazu. Und meistens kommt es gar nicht digital um die Ecke, sondern als Papierausdruck. Dabei wäre alles einfacher gewesen, wenn man von Anfang an die elektronische Gesundheitskarte (eGK) als Transportmedium für den E-Rezept-Code favorisiert hätte statt die App. Bis das E-Rezept auf die eGK gespeichert werden kann, wird’s noch dauern, schade. Und derweil nimmt die Zahl der Apotheken immer weiter ab. Und Lauterbach will immer noch den Kassenabschlag erhöhen – wie viele Apotheken will er noch ins Aus schicken? Und zur Freude aller hat sich Böhmermann unser geliebtes Apotheken-A vorgeknöpft: Es sei ein Nazi-Zeichen, schwadroniert er, und obendrein eine ästhetische Beleidigung. Dass die ABDA daraufhin einen Grafiker-Wettbewerb für ein neues Logo ausgeschrieben hat, ist ein Gerücht.
29. August 2022
Es ist die Woche des E-Rezept-Starts, mein liebes Tagebuch. Bei uns Apothekers sieht es erstmal gar nicht übel aus: Rund zwei Drittel der Apothekeninhaberinnen und -inhaber sehen sich gut vorbereitet für den E-Rezept-Start, so eine Umfrage im Auftrag der ABDA. Andererseits, nun ja, da gibt es, wenn man genau hinhört, noch die eine oder andere Detailfrage, wie mit dem E-Rezept in Spezialfällen umzugehen ist. Aber zunächst sind ja eher die lieben Kolleginnen und Kollegen im Bezirk Westfalen-Lippe gefordert, allenfalls noch in Schleswig-Holstein, wenn sich dort die Ärztinnen und Ärzte wieder einkriegen und vielleicht doch noch mitmachen. Der Rollout des E-Rezepts erfolgt nämlich erst nach und nach – und da kann der Rest der Republik noch zuschauen und lernen, wie alles läuft. Es gibt da nämlich noch viele drängende Fragen zum E-Rezept-Start, wie eine gemeinsame Infoveranstaltung der Apothekerkammern und Apothekerverbände der Regionen Westfalen-Lippe und Schleswig-Holstein zeigte. DAZ.online hat die wichtigsten Punkte rund um Warenwirtschaft, technische Ausstattung und Abrechnung zusammengefasst. Interessant sind diese Punkte für alle Apotheken im Land, denn so ein E-Rezept kann sich auch mal in die Apotheke eines anderen Bundeslands verirren und dann sollte die Apotheke vor Ort wissen, wie man damit umgeht. Das Wichtigste ist, dass wir unseren Patientinnen und Patienten zeigen: Die Apotheke vor Ort ist der einzig wahre Ort, wo man sein E-Rezept sicher und schnell einlöst.
30. August 2022
Die Konnektoren in den Arztpraxen sind zurzeit das Sorgenkind der Telematikinfrastruktur. Sie müssen ausgetauscht werden, da das Sicherheitszertifikat abläuft, sagt die Gematik. Kosten für die Krankenkassen rund 300 Millionen und jede Menge Elektronikschrott. IT-Experten des Computermagazins „c’t“ bezweifeln allerdings die Notwendigkeit des teuren Austausches. Das brachte die Gematik dann doch zum Nachdenken, aber nur ein wenig, und zum Ergebnis: Nur Geräte, deren Sicherheitszertifikat Ende August 2023 abläuft, müssen ausgetauscht werden. Aber ist dem wirklich so? AWA-Chefredakteur Dr. Hubert Ortner hat sich das näher angesehen und schon mal einen persönlichen Nachruf auf 300 Mio. Euro in Form einer Glosse geschrieben.
Mein liebes Tagebuch, einen Lichtblick gibt es für die Konnektoren in unseren Apotheken: Sie werden wohl erstmal eine Zeitlang am Netz bleiben können. Denn sie wurden erst ab 2019 „ausgerollt“ – hier würde ein Hardwaretausch erst ab 2024 relevant. Mein liebes Tagebuch, vielleicht sollten wir in unsere neue Ausbildungsordnung das Fach Telematik mit aufnehmen und ein Digitalisierungspraktikum vorschreiben.
Wie kommt das E-Rezept am einfachsten und bequemsten aus der Arztpraxis in die Hand des Patienten und dann zur Apotheke vor Ort? Nein, nicht per Gematik-App, denn dafür braucht der Patient ein modernes NFC-fähiges Handy (haben die meisten noch nicht) und eine PIN von den Krankenkassen (bekommen die noch nicht gebacken). Geht’s dann vielleicht ganz einfach per Papierausdruck? Nein, ist zwar einfach, aber den Ärzten zu teuer (Drucker- und Papierkosten) und nicht wirklich digital. Aber ja, da gibt’s doch noch die elektronische Gesundheitskarte (eGK)! In der Arztpraxis wird das E-Rezept aufs Kärtchen gespeichert und in der Apotheke ausgelesen – ginge wirklich einfach. Warum hat die Gematik diese Lösung eigentlich nicht von Anfang an favorisiert? Mein liebes Tagebuch, ich kann mich erinnern, dass das Speichern eines E-Rezepts auf der Gesundheitskarte vor vielen Jahren, als die Gesundheitskarte „erfunden“ wurde, als Datenträger fürs E-Rezept schon angedacht war. Aber aus unerfindlichen Gründen hat sich die App-Lösung vorgedrängt. Schade, ich kann mir gut vorstellen, dass wir mit dem E-Rezept schon weiter wären, wenn man die elektronische Gesundheitskarte als erstes Trägermedium auserkoren hätte, quasi die Brot-und-Butter-Lösung fürs E-Rezept. Nun endlich kommt das grüne Licht von der Gematik, die Einlösung via eGK als dritte Option zu eröffnen. Wann dann die ersten E-Rezepte über die eGK abgerufen werden können, steht noch in den Sternen, sobald wie möglich, hieß es. Nochmal, schade, wirklich schade, dass dieser Weg erst jetzt geebnet wird. Bei aller Liebe zu Apps: Einfacher als mit der eGK geht es nicht.
31. August 2022
Die ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening erklärte die Lage im ABDA-Livetalk auf Facebook: Ja, es gibt sogar positive Nachrichten. So werden die Regelungen der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung bis in den April 2023 verlängert und die Schulungen der Apotheken zu Covid-19- und Grippeschutz-Impfungen sollen gegenseitig anerkannt werden. Und jetzt das Negative: Nach wie vor ist geplant, den Kassenabschlag für zwei Jahre von 1,77 Euro auf zwei Euro anzuheben. Overwiening ließ wissen, dass man intensiv in den Kontakt mit den Parlamentariern gehe, um ihnen deutlich zu machen: „Bei uns Apothekerinnen und Apothekern ist nichts zu holen.“ Richtig. Mein liebes Tagebuch, hoffentlich kommt das irgendwann bei Lauterbach an. Einen für diese Woche angesetzten Gesprächstermin mit der ABDA hat der Bundesgesundheitsminister abgesagt. Und das ist nicht das erste Mal, mein liebes Tagebuch. Hat Lauterbach so viel Angst vor uns? Was Overwiening im Live-Talk auch ansprach: Das den Ärzten eingeräumte Dispensierrecht für Paxlovid sei der falsche Weg. Überhaupt, für die ABDA-Präsidentin ist das Vertrauen erschüttert. Zur Eröffnung des Deutschen Apothekertags hat Lauterbach sein Erscheinen zugesagt – ob er sich traut?
Die Zahl der Apotheken nimmt weiterhin ab: Ende Juni gab es bundesweit noch 18.256 Apotheken. Im ersten Halbjahr haben somit laut ABDA-Zahlen 235 Betriebe für immer dicht gemacht. Mein liebes Tagebuch, man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass wir am Jahresende bei nur noch 18.000 Apotheken oder sogar weniger angelangt sind. Zumal die wirtschaftliche Lage nicht unbedingt besser wird: Energie- und Klimakrise, eine Inflation über 9 Prozent, steigende Kosten und dann noch Lauterbachs Spargesetz-Keule für Apotheken. Wenn jährlich 500 Apotheken auf der Strecke bleiben, haben wir bald nur noch 15.000 Apotheken in Deutschland, eine Zahl, die vor zwanzig Jahren mal als Schreckgespenst herumgeisterte, aber kaum für möglich gehalten wurde. Mein liebes Tagebuch, wir sind nicht mehr weit davon entfernt.
1. September 2022
Lauterbach muss wissen, dass seine geplante Erhöhung des Kassenabschlags fernab von jeder Realität ist. Und daher haben ihm auch der Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) und seine Mitglieder einen Brief geschickt, in dem sie gegen die geplante Erhöhung protestieren mit klaren Worten und der Aufforderung, Kürzungen bei Apotheken im Gesetz Entwurf ersatzlos zu streichen. Der Protestbrief macht deutlich, dass die geplante Honorarkürzung für viele Apotheken nur schwer bis gar nicht zu verkraften ist. Die Gründe: keine Anpassung der Vergütung bei der Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln seit neun Jahren, explodierende Kosten auf dem Energiemarkt, hohe Inflation, gestiegene Personalkosten aufgrund deutlicher Tariferhöhungen. Der AVWL fasst seinen Protest mit den Worten zusammen: „Sie schneiden der Apotheke auch ganz generell die Zukunft ab, denn diese wird die Apotheken – unter anderem auf dem Gebiet der Digitalisierung – vor große Herausforderungen stellen." Mein liebes Tagebuch, alles richtig, ob es allerdings reicht, den Bundesgesundheitsminister von der desolaten Lage der Apotheke zu überzeugen? Vielleicht sollten die restlichen Verbände mit ähnlichen Briefen Druck machen. Lauterbach muss spüren, dass es uns gnadenlos ernst ist damit!
2. September 2022
Im Bundesrat scheint der Widerstand gegen das GVK-Finanzstabilisierungsgesetz und damit auch gegen den erhöhten Kassenabschlag für Apotheken angekommen zu sein, Brandenburg hat bereits im Gesundheitsausschuss des Bundesrats den Antrag eingebracht, die entsprechende Regelung zu streichen. Mein liebes Tagebuch, dass mag im ersten Moment hoffnungsfroh stimmen und man könnte meinen, vielleicht setzt sich ja doch noch Vernunft durch. Doch die Vorstöße einzelner Länder sagen letztlich noch wenig darüber aus, wie der Gesundheitsausschuss und wie das Plenum über die Ausschussempfehlungen entscheiden werden. Und selbst wenn der Bundesrat sich den Empfehlungen des Gesundheitsausschusses anschließen sollte, muss das noch lange nichts heißen. Denn der Einfluss der Länder ist bei vielen Gesetzen begrenzt und auch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz ist nicht zustimmungspflichtig.
Zytostatika-herstellende Apotheken wurden Ende August mit folgenschweren Beschlüssen konfrontiert. In einem Schiedsverfahren zur Hilfstaxe hat die Schiedsstelle in einem anhängigen Schiedsverfahren entschieden, die Verfahren zur Festsetzung neuer Arbeitspreise und zur Festlegung neuer erhöhter Rabatte für verschiedene Wirkstoffe zu trennen. Die Rabatte, die der GKV nun gewährt werden müssen, sind massiv angehoben worden, der Arbeitspreis wurde allerdings bisher nicht angepasst. Apotheker Dr. Stadler hat sich die Beschlüsse angesehen. Er kommentiert: „Das Gesamtsystem hat bisher nur deswegen funktioniert, weil große Teile des Deckungsbeitrags sich aus erzielbaren Einkaufsvorteilen gespeist haben.“ Diese Deckungsbeiträge seien nun komplett entfallen. Stadlers Fazit: „Ohne eine schnelle und deutliche Erhöhung des Arbeitspreises werden vermutlich viele Zytostatika herstellende Apotheken gezwungen sein, den kostspieligen Betrieb eines Reinraums einzustellen.“ Mein liebes Tagebuch, erleben wir da gerade die Zerschlagung eines bisher noch funktionierenden Systems der flächendeckenden Versorgung mit Zytostatika-Zubereitungen? Was wird dies für onkologische Praxen und für Krebspatientinnen und -patienten bedeuten?
Und wenn Ihnen, liebe Tagebuchleserin und -leser, die Themen rund um die Wirren des E-Rezepts, die ständig sinkenden Apothekenzahlen, der geplante Kassenabschlag und all die anderen Belastungen wie Inflation, steigende Personal- und Energiekosten noch nicht genug sind, wenn sie diese Themen so gar nicht mehr hören können, dann hätten wir hier noch mal was ganz anderes, etwas, das wirklich wichtig ist: Denken Sie doch bitte mal darüber nach, ob Ihnen unser One-and-only-Apothekenlogo, das wunderschöne gotische „Fraktur-A“ mit Kelch und Äskulapschlange noch gefällt. Oder brauchen wir etwa ein neues Apotheken-Logo? Der Moderator und Satiriker Jan Böhmermann hat da mal kräftig recherchiert, wie er glaubt, und sich in seinem Podcast „Fest & Flauschig“ zusammen mit Musiker Olli Schulz unser heiliges Logo vorgeknöpft (im Podcast etwa ab 16 min:22 sek). Mein liebes Tagebuch, wir ahnen nichts Gutes. Und genauso ist Böhmermanns Kritik ausgefallen. Sein vernichtendes Urteil: ‚Dieses Logo wurde von den Nazis eingeführt.“ Und dieses Logo sei in seinen Augen „eine ästhetische, gestalterische Beleidigung“. Mein liebes Tagebuch, hat er Recht, haben die Nazis das Logo eingeführt? Nicht wirklich. Das Fraktur-A geht auf einen Entwurf des Grafikers Paul Weise aus dem Jahr 1936 zurück, der ein rotes „A“ in Frakturschrift mit einem weißen Schweizer Kreuz kombinierte. Das gefiel dem damaligen Reichsapothekerführer Albert Schmierer allerdings so gar nicht – er ließ statt des weißen Kreuzes ein germanisches Schriftzeichen, eine „Lebensrune“ einbauen. Allerdings, auch die Frakturschrift war so überhaupt nicht nach dem Geschmack der Nazis: Hitler selbst fällte 1941 die Entscheidung, die gotischen Schriften aufzugeben und sämtliche Druckerzeugnisse auf die „Normal-Schrift“ (Antiqua) umzustellen. Nach dem Krieg haben die Apotheken das Runenzeichen flugs übermalt oder überklebt. Zufrieden war man damit allerdings nicht. Ein Wettbewerb für ein neues Logo brachte dann 1951 das heutige Apotheken-A zutage, die Kombi aus dem roten gotischen Apotheken-A, leicht umgestaltet, und einem Arzneikelch mit Schlange. Ein „Nazizeichen“, wie Böhmermann es nennt, ist es somit wohl wirklich nicht. Mein liebes Tagebuch, ob es allerdings aus heutiger Sicht der große Wurf war? Grafisch und ästhetisch ein Highlight? Da gehen die Meinungen auseinander. Sagen wir mal so: Schön geht anders und einen Designpreis gäb's heute nicht dafür. Was auffällt: Das Apotheken-A hat im Lauf der Jahre so gut wie keine Änderung erfahren. Während andere große Marken, nennen wir mal Nivea oder Coca-Cola, ihre Logos immer wieder zumindest leicht und behutsam modernisiert haben, ist unser eckiges Apotheken-A mit Schlange und Kelch unverändert geblieben. Klar, das Logo ist eine Marke, es hat sich eingeprägt, und Markenzeichen ändert man möglichst nicht oder nur ungern. Aber verbindet man mit unserem Apotheken-A auch eine moderne Apotheke? Und weil wir sonst keine anderen Sorgen haben, mein liebes Tagebuch, dann können wir ja mal ausführlich darüber diskutieren. Oder von einem neuen Logo träumen. Oder lieber doch nicht!
1 Kommentar
Böhmermann
von Dr.Diefenbach am 04.09.2022 um 9:42 Uhr
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