Notfallmedikament bei Opioidüberdosis

Lebensretter im Notfall: Modellprojekt zu „Take-Home“ - Naloxon

14.09.2022, 11:15 Uhr

In den USA wurde nasales Naloxon schon im November 2015 zugelassen, im Februar 2016 kam es auf den US-Markt und seit Oktober 2016 ist es in Kanada sogar ohne Verschreibung erhältlich. (Foto: IMAGO / ZUMA Press)  

In den USA wurde nasales Naloxon schon im November 2015 zugelassen, im Februar 2016 kam es auf den US-Markt und seit Oktober 2016 ist es in Kanada sogar ohne Verschreibung erhältlich. (Foto: IMAGO / ZUMA Press)  


Das Notfallmedikament Naloxon kann bei einer Überdosis von Opiaten Leben retten. Im Rahmen eines Modellprojekts soll nun sein Einsatz ausgeweitet werden. Ziel ist es, zu erreichen, dass möglichst viele Konsumenten Naloxon immer bei sich tragen. Dabei wird auch auf die Unterstützung durch Apotheken gehofft.

Naloxon ist ein halbsynthetisches Morphin-Derivat. Es wirkt als Antagonist an Opiatrezeptoren und verdrängt dort die Opiate. Intoxikationserscheinungen wie eine Atemdepression oder ein Atemstillstand werden aufgehoben. Wird es zeitnah nach einer Überdosis von Heroin oder Methadon gegeben, kann Naloxon Leben retten. Doch bis der Notarzt eintrifft, vergehen wichtige Minuten. Am schnellsten geholfen werden kann Betroffenen daher, wenn sie das Notfallmedikament bei sich tragen und es sofort von einer geschulten Person verabreicht bekommen. In der Medizin wird Naloxon schon lange als Notfallmedikament eingesetzt. Dabei war es zunächst nur als Injektion verfügbar. Seit 2018 ist in Deutschland das Nasenspray Nyxoid® mit Naloxon zugelassen, was eine Anwendung durch Laien erleichtert.

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Einzelne regionale Projekte, um den Naloxon-Einsatz zu fördern, gibt es in Deutschland schon länger. Die Deutsche Aidshilfe, das Institut für Suchtforschung (ISFF) an der Frankfurt University of Applied Sciences und Akzept e.V. haben mit NALtrain das erste bundesweite Projekt ins Leben gerufen, es wird vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) gefördert. Kern von NALtrain sind Trainings für Mitarbeiter der Suchthilfe: Diese bekommen alle Informationen und eine Leitlinie an die Hand, mit der sie ihrerseits Konsumenten im Gebrauch von Naloxon schulen können. Wichtig ist zum Beispiel, zu vermitteln, dass bis zum Wirkungseintritt von Naloxon nach zwei bis drei Minuten Wiederbelebungsmaßnahmen durchgeführt werden müssen. Und das trotz einer Naloxongabe der Notarzt gerufen werden sollte – auch weil dessen Wirkung nur vorübergehend anhält.

Projekt gut angelaufen

Das Projekt sei bisher gut angelaufen, sagt Simon Fleißner, Koordinator von NALtrain und wissenschaftlicher Mitarbeiter am ISFF: „Insgesamt sind wir sehr zufrieden mit der Umsetzung und wir sehen, dass es einen großen Bedarf gibt.“ Seit Ende des vergangenen Jahres hätten sich rund 300 Einrichtungen der Suchthilfe mit Interesse an dem Projekt gemeldet. 27 Trainings hat NALtrain bereits an verschiedenen Orten in Deutschland angeboten, bei denen jeweils 10 bis 20 Mitarbeiter von Einrichtungen der Suchthilfe geschult wurden.

Fleißner sieht aber noch eine wichtige Hürde für den breiteren Einsatz von Naloxon. Das Notfallmedikament gilt zwar nicht als Betäubungsmittel, ist aber in Deutschland verschreibungspflichtig. Verschrieben werden kann es dabei nur an Opioidkonsumenten und Substituierte. Dabei können diese bei einer Überdosis das Mittel selbst nicht mehr anwenden – sie sind darauf angewiesen, dass eine Person aus ihrem Umfeld ihnen das Nasenspray verabreicht. Das ist erlaubt, wenn Lebensgefahr für den oder die Konsumentin besteht. Nach Strafgesetzbuch § 34 liegt dann ein sogenannter „rechtfertigender Notstand“ vor. Das bedeutet, dass die rettende Handlung nicht strafbar ist, wenn sie geeignet ist, schlimmeren Schaden abzuwenden. Zudem hat Naloxon nur schwache Nebenwirkungen, die gegen seinen Nutzen abzuwägen wären. Es können lediglich Blutdruckschwankungen, Herzjagen, Übelkeit, Schwindel oder Kopfschmerz auftreten. In seltenen Fällen können nach Gabe des Nasensprays bei Süchtigen auch Entzugserscheinungen auftreten, da die Wirkung der Opioide blockiert wird.

Damit möglichst viele Konsumenten Naloxon bei sich führen, ist ein reibungsloser Ablauf wichtig: Nach einer Schulung durch eine Suchthilfeeinrichtung müssen Konsumenten sich vom Arzt ein Rezept ausstellen lassen und sich Naloxon in der Apotheke besorgen. Diesen Ansatz bezeichnet NALtrain auch als „Take-home“ Naloxon. Manche Ärzte hätten aber in der Vergangenheit gezögert, Naloxon zu verschreiben, sagt Fleißner. Offenbar fürchten einige von ihnen trotz allem Rechtsunsicherheit. Damit Konsumenten nach einer Naloxon-Schulung trotzdem ohne Probleme das Medikament erhalten, würden Suchteinrichtungen oft gezielt mit verschreibenden Ärzten oder Substitutionsambulanzen zusammenarbeiten.

Weitere Hürde: Verfügbarkeit in der Apotheke

„Eine weitere, wenn auch deutlich kleinere Hürde ist die Verfügbarkeit in der Apotheke“, sagt Fleißner. Naloxon sei oft nicht vorrätig, weil es so selten genutzt werde. Findet ein Konsument aber einmal den Weg in die Apotheke, dann sollte er das Naloxon auch möglichst sofort mitnehmen können. „Es ist schwierig, wenn es dann erst am nächsten Tag da ist“, sagt Fleißner. Über die Apothekerkammer in Berlin hatte NALtrain vor wenigen Tagen ein Informationsschreiben an Apotheken verbreitet, da in Berlin viele Suchthilfeeinrichtungen an dem Projekt teilnehmen. In dem Schreiben heißt es, die Versorgung mit Naloxon sei entscheidend für das Gelingen von Take-Home Naloxon und die kurzfristige Verfügbarkeit von Naloxon nach einer Schulung besonders wichtig. Man bitte die Apotheker daher „durch eine möglichst unmittelbare Verfügbarkeit des Naloxon-Nasensprays das Projekt zu unterstützen.“

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Aktiv müssen Apotheken vorerst nichts zu NALtrain beitragen. Zunächst würden Suchthilfeeinrichtungen auf sie zutreten und um eine Kooperation bitten, erklärt Fleißner. Die könne so aussehen, dass Apotheken versuchen, immer dann Naloxon in ausreichender Menge vorrätig zu haben, wenn Schulungen in der Suchthilfe stattfinden. „Im Grunde wünschen wir uns von den Apotheken nur, dass sie offen für das Projekt sind“, sagt Fleißner.

Um Naloxon langfristig besser verfügbar zu machen, müsse sich aber wohl die Gesetzeslage ändern, glaubt er. „Aus meiner Sicht braucht es keine Verschreibungspflicht. Naloxon sollte auch ohne Verschreibung abgegeben werden, dabei aber erstattungsfähig bleiben,“ sagt Fleißner. Der Preis von Naloxon wäre sonst wohl zu hoch: Es kostet rund 46 Euro.

In anderen Ländern ohne Rezept

In vielen anderen Ländern ist Naloxon schon länger ohne Verschreibung erhältlich, etwa in den USA und Kanada. Die Dosierungen, die in den USA im Handel sind, sind dabei deutlich höher. Während das in Deutschland verschreibungspflichtige Nyxoid® 1,8 mg Naloxon enthält, gab es in den USA schon länger Nasenspraye mit 2mg und 4 mg Naloxon. Im vergangenen Jahr hatte die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA sogar Kloxxado® zugelassen, ein Nasenspray das 8 mg Naloxon enthält. Es wird in der Apotheke rezeptfrei abgegeben.


Irene Habich, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Notfall-Naloxon Politikwechsel

von Roland Mückschel am 14.09.2022 um 12:18 Uhr

Erst kommt die ausreichende Bezahlung.
Dann das Naloxon.

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