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Während Karl Lauterbach unser Apothekenhonorar um 23 Cent pro Packung kürzt, kommt für ihn eine Nullrunde beim Ärztehonorar nicht in Frage. Klar, seine Ärztinnen und Ärzte brauchen mindestens einen Ausgleich für die steigenden Energie- und Inflationskosten. Und unsere Apotheken? Sie arbeiten fast bis zur Selbstausbeutung und erbringen schon seit Jahren einen großen Katalog an Leistungen für die Krankenkassen – ohne jedes Honorar. Und Neues zum E-Rezept: Der Datenschutz bremst – eine der besten Methoden zum Einlösen eines E-Rezepts, die elektronische Gesundheitskarte, muss nachgebessert werden. Und das kann dauern.
4. Oktober 2022
Auf die jährliche Anpassung ihrer Honorare konnten sich die Ärzte bisher verlassen. Sie durften sich in der Vergangenheit jedes Jahr über rund eineinhalb bis drei Prozent mehr freuen. Doch in diesem Jahr will der GKV-Spitzenverband dieses Honorar-Ritual nicht mehr mitmachen, er fordert eine Nullrunde beim ärztlichen Honorar: kein Inflationsausgleich für die Praxen in den kommenden zwei Jahre und Einfrieren der Orientierungswerte und Punktwertzuschläge. Die Empörung bei den Ärzten ist immens, die Vorstandsspitze der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hat bereits angekündigt, sich vorübergehend aus den Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung zurückziehen (ja, Ärzte setzen Zeichen, die die Politik aufscheucht!). Und der KBV-Bundesverband echauffiert sich: So etwas habe es noch nie gegeben, diese Maßnahmen seien „eine reale Mittelkürzung für die Arztpraxen von acht bis zehn Prozent pro Jahr“. Das Verhalten des GKV-Spitzenverbands zeige, dass ihm die Versorgung der Menschen im Land vollkommen egal sei. Mein liebes Tagebuch, sicher, schön ist das nicht für die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte. Und dennoch, es gibt einen Heilberuf, mit dem noch despektierlicher umgegangen wird, nämlich mit uns Apothekerinnen und Apotheker. Von einer jährlichen Anpassung unseres Honorars können wir nur träumen. Wir fordern seit Jahren eine Dynamisierung des Honorars – vergeblich. Und jetzt wird unser Honorar mit einer Erhöhung des Kassenabschlags nicht nur eingefroren, sondern sogar de facto gekürzt. Im Vergleich mit uns Apothekers erleben die Ärzte geradezu paradiesische Zustände. Der Bundesgesundheitsminister höchstpersönlich stellt sich mit seiner ganzen ministerialen Macht hinter seine Kolleginnen und Kollegen: Die Forderung nach einer Nullrunde bei den Honoraren halte er für „nicht angemessen“. Immerhin seien auch die Praxen der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten mit steigenden Energie- und Inflationskosten konfrontiert. Auf Twitter machte Lauterbach zur geforderten Nullrunde klar: „Das wird nicht kommen.“ Mein liebes Tagebuch, deutlicher kann man den Unterschied zwischen Arzt und Apotheker nicht darstellen. Während Lauterbach in Apotheken nach Effizienzreserven sucht und das Honorar kürzt, stellt er sich schützend vor die Arztpraxen, die unter der Inflation und steifenden Energiekosten leiden. Man stelle sich mal vor (auch wenn’s schwerfällt), dass unsere Standesvertretung droht, sich aus den Gremien der Selbstverwaltung zurückzuziehen …
Apotheken helfen den Krankenkassen schon seit Jahren, enorme Kosten einzusparen. Es sind zum Teil aufwändige Leistungen, die Apotheken erbringen, unentgeltlich, mit hohem Zeitaufwand. Der Verband Freie Apothekerschaft hat eine Liste erstellt, die exemplarisch 20 solcher Leistungen nennt, die Apotheken ohne Extravergütung erbringen, z. B. Erfüllung der Importquote, Umsetzung der Rabattverträge, Inkasso des Herstellerrabattes, Umsetzung von Securpharm. Mein liebes Tagebuch, es sind nicht selten Leistungen, die wir einfach übergestülpt bekommen haben, ohne große Gegenwehr unserer Standesvertretung. Klar, nachträglich werden wir nicht dafür honoriert werden, umso wichtiger ist es, immer und immer wieder darauf hinzuweisen, was wir erbringen, welche Effizienzreserven wir seit Jahren heben. Und unsere Standespolitik darf nicht müde werden herauszustellen, dass der mittlerweile auf bescheidene 1,9 Prozentpunkte zurückgegangene Anteil der Kosten für Apotheken und ihre Leistungen im gesamten System ein Klacks ist für das, was unsere Gesellschaft dafür erhält.
5. Oktober 2022
Spötter wissen es schon lange, was Deutschlands Wirtschaft lähmt: bei Bauvorhaben der Denkmal-, der Natur- und der Brandschutz und bei der Digitalisierung der Datenschutz. Mein liebes Tagebuch, so einfach lässt sich das alles natürlich nicht über einen Kamm scheren, andererseits, so ganz kann man sich dieses Eindrucks manchmal auch nicht erwehren. Bleiben wir beim deutschen Datenschutz, er macht erneut dem E-Rezept zu schaffen. Eigentlich sollte es den Patientinnen und Patienten endlich und schon bald möglich sein, die einfachste und wohl eine der besten Methoden zu nutzen, um ihre E-Rezepte in der Apotheke einzulösen: die elektronische Gesundheitskarte (eGK). Bis zum 1. Dezember des vergangenen Jahres hätte es schon möglich sein sollen, die eGK dafür einzusetzen, doch die Gematik hat diesen Termin warum auch immer verstreichen lassen. Der neue Plan war, noch in diesem Jahr die eGK-Funktion für den Rezeptabruf zur Verfügung zu stellen. Aber jetzt grätscht der Datenschutz dazwischen – und so wie es sich darstellt zurecht. Denn, vereinfacht ausgedrückt, die eGK ins Lesegerät der Apotheke stecken und die E-Rezepte abrufen, ist dann doch zu unsicher und verträgt sich so gar nicht mit dem Datenschutz. Denn so könnte jeder, der Zugang zur Telematik-Infrastruktur hat, auf den Rezeptdatenspeicher zugreifen und alle offenen E-Rezepte einer Person, deren Krankenversicherungsnummer er kennt, abrufen. Also, was tun? Die Datenschützer liefern gleich mehrere Lösungsvorschläge mit, u. a. die Option, das Vorhandensein einer bestimmten eGK in einer Apotheke durch PIN-Eingabe sicher zu prüfen. Mein liebes Tagebuch, na sowas, eine PIN, wer hätte das gedacht. Ist ja auch wirklich neu – was machen wir eigentlich mit unseren Giro- und Kreditkarten schon seit langem? Man glaubt es nicht, warum ist man auf diese Idee nicht schon früher gekommen? Tja, für die Krankenkassen bedeutet das natürlich, ihren Versicherten für die Nutzung der eGK eine PIN zur Verfügung zu stellen. Und das kann dauern …
6. Oktober 2022
Karl Lauterbach ist ein ausgewiesener Homöopathie-Kritiker, schon in der Vergangenheit hat er diese naturheilkundliche Methode aufgrund fehlender wissenschaftlicher Evidenz kritisiert. Und weil eben diese Evidenz fehlt, sollte den Krankenkassen die Homöopathie als Satzungsleistung gestrichen werden. Ihm geht es dabei wohl in erster Linie um das Prinzip, dass „solche Leistungen in einer wissenschaftsbasierten Gesundheitspolitik keinen Platz haben“. Denn er weiß selbst, dass die Homöopathie vom Ausgabenvolumen her nicht bedeutsam ist. Mein liebes Tagebuch, ob er sich der Homöopathie-Frage allerdings wirklich mit Kraft widmen wird, ist mehr als fraglich. Es gibt Versicherte, die diese Therapierichtung schätzen, und die Kassen selbst setzen Homöopathie-Leistungen eher als Wettbewerbsinstrument ein, um Mitglieder zu gewinnen und zu halten, und die Kosten sind überschaubar. Und ja, Lauterbach dürfte derzeit wohl größere Probleme zu lösen haben als sich auf einen homöopathischen Kampf einzulassen.
7. Oktober 2022
Festbeträge für Arzneimittel, Preismoratorium, ein 6-prozentiger Herstellerabschlag und ein 10-prozentiger Generikaabschlag, Rabattverträge und ein auszuhandelnder GKV-Erstattungsbetrag für innovative Arzneimittel – der Katalog der Kostendämpfungsinstrumente, mit dem die Regierung bereits seit Jahren versucht, preis- und kostensenkend in den GKV-Arzneimittelmarkt einzugreifen, hat es in sich. Immerhin, das eine oder andere Instrument hat in der Tat seine Wirkung nicht verfehlt und Arzneimittelpreise und -kosten drastisch gedrückt – man denke da nur an die im Jahr 2003 eingeführten Rabattverträge, die den Krankenkassen jährlich zu Milliardeneinsparungen verhelfen. Doch alle diese Instrumente haben auch Nebenwirkungen auf den Arzneimittelmarkt und untereinander Wechselwirkungen. So haben Festbeträge und Rabattverträge mit dazu beigetragen, dass viele Arzneistoffe aus Kostengründen nicht mehr in Europa hergestellt werden, sondern vor allem in China und Indien, mit den Folgewirkungen von Lieferschwierigkeiten und Lieferengpässen. Beispiel Paracetamol: Die Versorgungssituation bei Fiebersäften für Kinder ist äußerst angespannt, die Versorgung nicht mehr gesichert. Mitte August hatte sogar der GKV-Spitzenverband ein Einsehen und schlug vor, die Festbeträge für Paracetamol in oralen Darreichungsformen anzuheben: für Tabletten, 500 mg, von 1,50 auf 3,47 Euro. Das kommt zunächst als ordentliche Erhöhung daher. Aber bei genauerem Hinsehen profitieren die Säfte kaum von dieser Anhebung des Festbetrags, wie Apotheker Lutz Boden vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) in einem DAZ.online-Interview erklärt: Denn diese Erhöhung trifft so nicht für die Paracetamol-Säfte zu. Bei diesen kommen aufgrund einer eigenwilligen und komplizierten Festpreissystematik nur ein Betrag von 7 Cent an (von 1,36 auf 1,43 Euro), um die der Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers erhöht werden soll. Mein liebes Tagebuch, glaubt da im Ernst irgendeiner vom GKV-Spitzenverband, dass man mit 7 Cent mehr pro Saft die seit Jahren anhaltenden Kostensteigerungen im Zulieferbereich und die mittlerweile 10-prozentige Inflation kompensieren kann? Das wird und das kann keinen Hersteller in die Lage versetzen oder gar motivieren, in Kürze wieder Paracetamol-Fiebersäfte am laufenden Band in Europa zu produzieren. Oder wie Lutz Boden sagt: „Mit 7 Cent holt man keine Produktion zurück nach Europa.“ Im Interview erklärt er zudem die Mechanismen, wie sich die verschiedenen Preisdämpfungsinstrumente gegenseitig beeinflussen. Preismoratorium und Festbeträge machen nämlich eine Anpassung der Abgabepreise praktisch unmöglich, während auf der anderen Seite die Wirkstoff- und Verpackungskosten seit Jahren steigen. Mein liebes Tagebuch, da wundert es nicht, wenn in Europa keine Arzneimittelproduktion mehr möglich ist. Lutz Boden geht sogar noch einen Schritt weiter: So geht er nicht davon aus, „dass es wirklich zielführend ist, grundsätzlich die Industrie zurückzuholen. Es muss vielmehr darum gehen, diejenigen Arzneimittelhersteller zu unterstützen, die nach wie vor hierzulande produzieren oder es zukünftig vorhaben“. Mein liebes Tagebuch, ein überlegenswerter Ansatz, zumal wir das Rad der Globalisierung nicht mehr zurückdrehen können. Auch Europa, auch Deutschland wird Stoffe und Produkte importieren müssen, die wir hier gar nicht herstellen können. Darüber hinaus wäre es vielleicht eine Aufgabe der Politik, das Geflecht von Preisdämpfungsmaßnahmen zu entwirren …
10 Kommentare
Echt jetzt…
von gabriela aures am 09.10.2022 um 14:50 Uhr
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Streichorgie oder Fass ohne Boden
von Karl Friedrich Müller am 09.10.2022 um 14:30 Uhr
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Mein liebes Tagebuch
von Bernd Haase am 09.10.2022 um 10:45 Uhr
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AW: Mein liebes Tagebuch
von Michael Reinhold am 09.10.2022 um 23:00 Uhr
AW: Adexa falsch ? Nein
von ratatoske am 10.10.2022 um 11:11 Uhr
Totalversagen der ABDA
von Linda F. am 09.10.2022 um 9:31 Uhr
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AW: Totalversagen der ABDA
von Ulrich Ströh am 09.10.2022 um 10:26 Uhr
Wir werden nie wieder irgend etwas durchsetzen können
von Dr. Radman am 09.10.2022 um 8:55 Uhr
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von Anita Peter am 09.10.2022 um 8:35 Uhr
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Allgemeiner Untergang
von Conny am 09.10.2022 um 8:04 Uhr
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