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7. Oktober 2022
Festbeträge für Arzneimittel, Preismoratorium, ein 6-prozentiger Herstellerabschlag und ein 10-prozentiger Generikaabschlag, Rabattverträge und ein auszuhandelnder GKV-Erstattungsbetrag für innovative Arzneimittel – der Katalog der Kostendämpfungsinstrumente, mit dem die Regierung bereits seit Jahren versucht, preis- und kostensenkend in den GKV-Arzneimittelmarkt einzugreifen, hat es in sich. Immerhin, das eine oder andere Instrument hat in der Tat seine Wirkung nicht verfehlt und Arzneimittelpreise und -kosten drastisch gedrückt – man denke da nur an die im Jahr 2003 eingeführten Rabattverträge, die den Krankenkassen jährlich zu Milliardeneinsparungen verhelfen. Doch alle diese Instrumente haben auch Nebenwirkungen auf den Arzneimittelmarkt und untereinander Wechselwirkungen. So haben Festbeträge und Rabattverträge mit dazu beigetragen, dass viele Arzneistoffe aus Kostengründen nicht mehr in Europa hergestellt werden, sondern vor allem in China und Indien, mit den Folgewirkungen von Lieferschwierigkeiten und Lieferengpässen. Beispiel Paracetamol: Die Versorgungssituation bei Fiebersäften für Kinder ist äußerst angespannt, die Versorgung nicht mehr gesichert. Mitte August hatte sogar der GKV-Spitzenverband ein Einsehen und schlug vor, die Festbeträge für Paracetamol in oralen Darreichungsformen anzuheben: für Tabletten, 500 mg, von 1,50 auf 3,47 Euro. Das kommt zunächst als ordentliche Erhöhung daher. Aber bei genauerem Hinsehen profitieren die Säfte kaum von dieser Anhebung des Festbetrags, wie Apotheker Lutz Boden vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) in einem DAZ.online-Interview erklärt: Denn diese Erhöhung trifft so nicht für die Paracetamol-Säfte zu. Bei diesen kommen aufgrund einer eigenwilligen und komplizierten Festpreissystematik nur ein Betrag von 7 Cent an (von 1,36 auf 1,43 Euro), um die der Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers erhöht werden soll. Mein liebes Tagebuch, glaubt da im Ernst irgendeiner vom GKV-Spitzenverband, dass man mit 7 Cent mehr pro Saft die seit Jahren anhaltenden Kostensteigerungen im Zulieferbereich und die mittlerweile 10-prozentige Inflation kompensieren kann? Das wird und das kann keinen Hersteller in die Lage versetzen oder gar motivieren, in Kürze wieder Paracetamol-Fiebersäfte am laufenden Band in Europa zu produzieren. Oder wie Lutz Boden sagt: „Mit 7 Cent holt man keine Produktion zurück nach Europa.“ Im Interview erklärt er zudem die Mechanismen, wie sich die verschiedenen Preisdämpfungsinstrumente gegenseitig beeinflussen. Preismoratorium und Festbeträge machen nämlich eine Anpassung der Abgabepreise praktisch unmöglich, während auf der anderen Seite die Wirkstoff- und Verpackungskosten seit Jahren steigen. Mein liebes Tagebuch, da wundert es nicht, wenn in Europa keine Arzneimittelproduktion mehr möglich ist. Lutz Boden geht sogar noch einen Schritt weiter: So geht er nicht davon aus, „dass es wirklich zielführend ist, grundsätzlich die Industrie zurückzuholen. Es muss vielmehr darum gehen, diejenigen Arzneimittelhersteller zu unterstützen, die nach wie vor hierzulande produzieren oder es zukünftig vorhaben“. Mein liebes Tagebuch, ein überlegenswerter Ansatz, zumal wir das Rad der Globalisierung nicht mehr zurückdrehen können. Auch Europa, auch Deutschland wird Stoffe und Produkte importieren müssen, die wir hier gar nicht herstellen können. Darüber hinaus wäre es vielleicht eine Aufgabe der Politik, das Geflecht von Preisdämpfungsmaßnahmen zu entwirren …
10 Kommentare
Echt jetzt…
von gabriela aures am 09.10.2022 um 14:50 Uhr
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Streichorgie oder Fass ohne Boden
von Karl Friedrich Müller am 09.10.2022 um 14:30 Uhr
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Mein liebes Tagebuch
von Bernd Haase am 09.10.2022 um 10:45 Uhr
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AW: Mein liebes Tagebuch
von Michael Reinhold am 09.10.2022 um 23:00 Uhr
AW: Adexa falsch ? Nein
von ratatoske am 10.10.2022 um 11:11 Uhr
Totalversagen der ABDA
von Linda F. am 09.10.2022 um 9:31 Uhr
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AW: Totalversagen der ABDA
von Ulrich Ströh am 09.10.2022 um 10:26 Uhr
Wir werden nie wieder irgend etwas durchsetzen können
von Dr. Radman am 09.10.2022 um 8:55 Uhr
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von Anita Peter am 09.10.2022 um 8:35 Uhr
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Allgemeiner Untergang
von Conny am 09.10.2022 um 8:04 Uhr
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