Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie

Wegen TikTok-Trend: Ozempic und Co. sind keine Lifestyle-Arzneimittel!

Stuttgart - 07.11.2022, 17:50 Uhr

Seit Januar 2022 ist Semaglutid in Wegovy auch von der EU-Kommission zur Therapie der Adipositas zugelassen, in Deutschland jedoch noch nicht auf dem Markt. (Screenshot des Internetauftritts von NovoNordisk zu Wegovy in den USA)

Seit Januar 2022 ist Semaglutid in Wegovy auch von der EU-Kommission zur Therapie der Adipositas zugelassen, in Deutschland jedoch noch nicht auf dem Markt. (Screenshot des Internetauftritts von NovoNordisk zu Wegovy in den USA)


Wieder einmal hat ein TikTok-Trend einem Arzneimittel zu fragwürdigem Ruhm verholfen. Dieses Mal geht es um das Diabetes-Arzneimittel Semaglutid, das aktuell so gefragt zu sein scheint, dass es zu Lieferengpässen kommt. Aufgrund der Lieferengpässe und möglicher Nebenwirkungen warnt die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie jetzt vor dem Off-Label-Einsatz von Semaglutid in Ozempic. Denn offenbar wollen viele Menschen mithilfe des Präparats abnehmen.

Die Versorgungssituation mit dem GLP‑1-Rezeptoragonist Semaglutid (Ozempic®) ist derzeit angespannt. Als Grund werden „zeitweilige Lieferverzögerungen durch eine stärker als erwartet gestiegene Nachfrage“ angegeben. Bereits im März hatte es auch bei Dulaglutid (Trulicity®) einen Lieferabriss gegeben. Auch hier wurde als Grund eine erhöhte Nachfrage angegeben.

Denn die Inkretin-Mimetika schützen – neben der Stimulation der Insulin-Sekretion – in Studien Patient:innen mit Typ-2-Diabetes vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen und teilweise auch vor Nierenschäden. Die Substanzklasse erweist sich also als vielversprechend in der Mono- und Kombinationstherapie des Typ-2-Diabetes mellitus, auch weil beispielsweise teils nur eine einmal wöchentliche Gabe nötig ist.

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Neuen Aufwind erfuhr die Wirkstoffgruppe 2021: Denn Inkretin-Analoga sind zunehmend in den Fokus einer Gewichtsabnahme gerückt, obwohl sie ursprünglich zur Behandlung von Menschen mit Typ-2-Diabetes entwickelt worden waren. Liraglutid in Saxenda® ist tatsächlich bereits zur Gewichtsregulierung indiziert und auf dem deutschen Markt erhältlich.

All diese Entwicklungen haben die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) jetzt offenbar dazu veranlasst, unter dem Titel „Mit Diabetesmedikament zum Traumgewicht?“ dazu zu ermahnen, „GLP-1 Rezeptor-Agonisten nicht als Lifestyle-Therapie im Eigengebrauch“ einzunehmen. 

Gewichtsreduktion von etwa 15 Prozent

Auch die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie erklärt, dass Semaglutid neben seiner Zulassung gegen Diabetes auch beim Abnehmen helfen kann. „Denn Semaglutid führt auch bei Menschen ohne Diabetes zu einer Gewichtsreduktion von etwa 15 Prozent“, heißt es. Doch das führe dazu, dass der Wirkstoff zunehmend „off label“ bei Übergewichtigen als Life-Style-Medikament zum Abnehmen eingesetzt werde. Das gefährde nicht nur die Versorgung der eigentlichen Zielgruppe, der Diabetiker, sondern bringe auch die Risiken und Nebenwirkungen des Arzneimittels mit sich.

Der TikTok-Trend #Ozempic und seine Nebenwirkungen

„Es ist naheliegend, dass sich die Aufmerksamkeit auch der ansonsten gesunden, aber übergewichtigen Normalbevölkerung auf die neuen Wirkstoffe richtet“, sagt Professor Dr. med. Harald J. Schneider, Sprecher der Sektion Angewandte Endokrinologie der DGE aus München und Landshut. Er nennt in der Mitteilung die USA als Beispiel: 


Dort wird das verschreibungspflichtige Diabetesmedikament Ozempic sehr stark im Off-Label-Use, also ohne Zulassung, zur Gewichtsreduktion verwendet; auch weil viele Prominente wie Elon Musk das stark bewerben. Alleine der Hashtag #Ozempic wurde 350 Millionen Mal in Sozialen Medien geteilt.“

Professor Dr. med. Harald J. Schneider, Sprecher der Sektion Angewandte Endokrinologie der DGE aus München und Landshut


Die unkontrollierte Anwendung ohne Indikation könne aber etwa zu 

  • Übelkeit und Erbrechen führen.
  • Auch Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse und Gallenblase könnten die Folge sein.
  • „In Tierversuchen fand man zudem ein potenziell erhöhtes Risiko für bestimmte Schilddrüsenkrebsarten“, sagt Schneider.
  • Zudem wisse man nichts über die Langzeitwirkungen.

„Diese Medikamente sollten nur spezialisierte Ärztinnen und Ärzte verschreiben – und auch nur, wenn die medizinische Notwendigkeit besteht und die Anwendung in der Folge sorgfältig überwacht wird“, fasst Schneider zusammen.

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Nun ist die Behandlung von Adipositas natürlich nicht nur ein Lifestyle-Problem. Auch Professor Dr. med. Stephan Petersenn von der ENDOC Praxis für Endokrinologie und Andrologie in Hamburg und Pressesprecher der DGE spricht in der Mitteilung von einer Erkrankung. Und tatsächlich wurde die Indikation von Semaglutid mittlerweile auf die Therapie der Adipositas erweitert.

Semaglutid in Wegovy auch in der EU gegen Adipositas zugelassen

In den USA ist Semaglutid seit Juni 2021 unter dem Handelsnamen Wegovy in erhöhter Dosis (bis zu 2,4 mg einmal wöchentlich als Spritze) zugelassen und seit Januar 2022 hat Wegovy auch von der EU-Kommission die Zulassung zur Therapie der Adipositas erhalten. „Aufgrund von Lieferengpässen ist es in Europa jedoch derzeit nicht erhältlich“, sagt Schneider. Und auch in den USA gibt es Lieferprobleme. In Deutschland ist Semaglutid für Diabetikerinnen und Diabetiker unter dem Handelsnamen Ozempic® in der Dosis 1,0 mg seit dem Jahr 2018 zugelassen und laut DGE bei Tausenden in der Anwendung.

Semaglutid zeigt demnach unter den derzeit zugelassenen GLP-1-Rezeptor-Agonisten (Exenatid, Liraglutid, Lixisenatid, Albiglutid, Dulaglutid, Semaglutid) in Bezug auf eine Gewichtsreduktion die höchste Effektivität. Damit wäre eine Verordnung von Semaglutid in Wegovy – wenn es denn auf dem Markt ist – bei Adipositas wohl nicht falsch, sofern dies innerhalb der Zulassung geschieht. Die Zulassung lautet folgendermaßen: 

Wegovy wird zusammen mit einer Diät und körperlicher Aktivität angewendet, um Menschen zu helfen, Gewicht zu verlieren und ihr Gewicht unter Kontrolle zu halten. Es wird bei Erwachsenen angewendet, die:

  • einen BMI von 30 kg/m² oder mehr (Fettleibigkeit) haben, oder
  • einen BMI von mindestens 27 kg/m², aber weniger als 30 kg/m² haben (Übergewicht), und die gewichtsbedingte Gesundheitsprobleme haben (z. B. Diabetes, Bluthochdruck, anormale Blutfettwerte, obstruktive Schlafapnoe, oder eine Vorgeschichte mit Herzinfarkt, Schlaganfall oder Blutgefäßproblemen).

Auch Petersenn findet, dass die Anwendung nur unter erfahrener ärztlicher Begleitung etwa von Endokrinologinnen und Endokrinologen oder Diabetologinnen und Diabetologen erfolgen sollte. Damit bleibt der Wirkstoff Semaglutid wohl vielversprechend, der Off-Label-Use von Ozempic® muss jedoch verhindert werden. Bei der Aufklärung darüber können sicherlich auch Apotheker:innen helfen. 


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Ozempic

von Ingrid Schierle am 09.11.2022 um 8:03 Uhr

Dieser Trend, Ozempic zum Abnehmen zu verwenden wird sogar in ärztlichen Fortbildungen forciert.
Im Sommer kam ein Arzt zu uns, der auf Mallorca eine „Lifestyle-Praxis“ betreibt zu uns und wollte Ozempic, da er auf einem Kongress war und dort das Präparat als DAS Abnehmmittel der Stars propagiert wurde! Es sei völlig risikolos und normalisiere nebenbei auch noch den Blutzucker.
Kein Wunder, dass sowas dann die Runde macht.

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