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Online-Pressekonferenz der DGHO
Arzneimittelengpässe – „Wir brauchen wirklich ein Frühwarnsystem“
Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie hat am Montag gemeinsam mit verschiedenen Vertretern von Fachgesellschaften sowie dem BfArM-Präsidenten Professor Broich erörtert, wie Krebspatient:innen künftig besser vor Arzneimittelengpässen geschützt werden sollten. Dabei wurde mehrfach betont, dass es nicht nur um Arzneimittel zur Tumortherapie geht. Welche Probleme führen am häufigsten zu Engpässen?
In die Lieferengpass-Diskussion ist Ende letzten Jahres viel Bewegung gekommen. So stellte beispielsweise das Bundesgesundheitsministerium (BMG) noch im Dezember 2022 ein Eckpunktepapier vor, wonach künftig Lieferengpässe vermieden, die Versorgung mit Kinderarzneimitteln verbessert und die EU als Arzneimittel-Produktionsstandort gestärkt werden soll.
Warum all das dringend notwendig ist, verdeutlichte auf einer Online-Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) am gestrigen Montag beispielsweise Professor Thomas Seufferlein aus Ulm, der sich bei der Deutschen Krebsgesellschaft vor allem mit dem Thema Leitlinien beschäftigt. Er machte deutlich, dass sich die Versorgung in der Onkologie in Deutschland auf einem hohen Niveau befinde und vor allem nach Evidenz und weniger nach Ökonomie ausgerichtet sei. Welche Arzneimittel also unverzichtbar sind, richtet sich vor allem nach den Leitlinien.
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Nicht immer ist ein Lieferengpass auch ein Versorgungsengpass. Seufferlein verdeutlichte jedoch anhand von Beispielen aus 2022, wie problematisch Arzneimittelengpässe sein können. Eines davon war der Calciumfolinat-Engpass, über den auch die DAZ berichtete. Dort hatte die Kritikalitätsprüfung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine kritische Versorgungssituation ergeben. Denn „Überhänge“ aus dem Ausland hatten zu keiner Stabilisierung der Versorgung geführt, sodass schließlich eine Kontingentierung beschlossen wurde. Es hatte sich eine regionale Ungleichverteilung der Arzneimittel gezeigt.
Regionale Versorgungsengpässe durch Einkaufsverbünde der Apotheken?
Calciumfolinat wird in zahlreichen Tumortherapien in Kombination mit 5-Fluorouracil (5-FU) eingesetzt. Besonders verhängnisvoll sei 2022 deshalb gewesen, dass auch 5-FU nur eingeschränkt verfügbar war. Auch hier gab es regionale Unterschiede, die davon abhängen sollen, in welchen Einkaufsverbünden die jeweiligen Apotheken eingebunden sind. Und auch hier war die Lösung die Umleitung der Ware, die eigentlich für den ausländischen Markt bestimmt war. Ähnlich lief es bei Abraxane® (Paclitaxel-Humanserumalbumin-gebundene Nanopartikel).
Doch regionale Ungleichverteilungen sind nicht immer das Problem und Arzneimittel aus dem Ausland sind nicht immer die Lösung. Seufferlein machte auf die zahlreichen weiteren (Apotheker:innen bekannten) Ursachen für Versorgungsengpässe aufmerksam:
- Kostendruck bei Arzneimitteln mit abgelaufenem Patent,
- Wettbewerb zwischen Generika-Unternehmen und Kostendruck mit folgender
- Marktverengung.
- Auch an die Verfügbarkeit von Vorprodukten sei zu denken,
- sowie an die schwankende Nachfrage.
Solche Probleme beschränken sich nicht auf Deutschland. Seufferlein verwies auf eine Stellungnahme der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA, wonach es für die Hersteller nicht genügend Anreize gibt, weniger profitable Arzneimittel herzustellen und die Lieferketten präventiv zu überwachen.
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Doch Prävention sei immer besser als Notfallmaßnahmen, beispielhaft nannte Seufferlein das Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz von 2020. Die Politik hat also bereits reagiert und es werden schon viele Maßnahmen gegen Lieferengpässe ergriffen, beispielsweise gibt es auch auf EU-Ebene den strukturierten Dialog über die Sicherheit der europäischen Arzneimittelversorgung, über den die DAZ kürzlich berichtete. Doch: „Wir brauchen wirklich ein präventives Frühwarnsystem“, sagte Seufferlein. Im Ende 2022 vorgestellten Eckpunktepapier des BMG hat diese Forderung bereits Eingang gefunden, dort ist von einer kontinuierlichen Marktbeobachtung die Rede.
Versorgungsengpass führt oft zu einem Therapie-Abbruch
Professor Matthias Beckmann aus Erlangen ist Leitlinienbeauftragter der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe und Mitglied der AMNOG-Kommission (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz) der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften). Er rückte vor allem die von Arzneimittelengpässen betroffenen Patient:innen in den Mittelpunkt. Zentral sei hier der Verlust des Vertrauens der Patient:innen. Weil Alternativen nicht immer gleichwertig seien, führe ein Wechsel der Therapie oft auch zu einem Abbruch der Therapie. Ein prominentes Beispiel des vergangenen Jahres ist der Tamoxifen-Engpass, denn Tamoxifen ist bei Patient:innen vor den Wechseljahren kaum zu ersetzen.
Insgesamt zeige sich die Engpassproblematik vor allem bei Standardarzneimitteln und nicht bei innovativen Therapien. Doch Arzneimittelengpässe können sich zumindest indirekt auch auf die Innovation auswirken.
Engpässe schaden auch innovativen Tumor-Therapien
So gibt es auch neu zugelassene, hocheffektive Kombinationstherapien in der Onkologie, bei denen eine Substanz mit einem neuen Wirkprinzip mit einem Standardarzneimittel kombiniert wird. Besteht für letzteres ein Engpass, kann automatisch auch das innovative Arzneimittel nicht zum Einsatz kommen. Die Prognose der Patient:innen verschlechtert sich. Teils müssten auch Studien wegen fehlender Kombinationspartner abgebrochen werden, sodass auch die Innovation an sich bedroht sei, erläuterte Beckmann.
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Professor Bernhard Wörmann ist Medizinischer Leiter der DGHO in Berlin und Mitglied im BfArM-Beirat zu Liefer- und Versorgungsengpässen. Er verdeutlichte anhand von Schaubildern in der Online-Konferenz nicht nur, wie zahlreich die Lieferengpässe in der Onkologie in den vergangenen Jahren waren, sondern auch, welche Ursachen ihnen hauptsächlich zugrunde lagen.
Vor allem Herstellungsprobleme sorgen für Lieferengpässe in der Onkologie
Während sich Arzneimittelhersteller bei Lieferengpässen als Grund gerne auf eine unerwartet gesteigerte Nachfrage (im Bild grün) berufen, führen manchmal auch ganze Marktrücknahmen (im Bild rot) von Arzneimitteln zu Lieferengpässen. Viel häufiger führen laut Wörmann in der Onkologie jedoch Herstellungsprobleme (im Bild blau) in der Onkologie zu Lieferengpässen. Im Jahr 2022 gehen allein neun auf dieses Konto, zwei davon – wie Cotrimoxazol – in der supportiven Therapie angesiedelt:
Zudem verdeutlichte Wörmann bildlich, dass auch Arzneimittel mit Patentschutz immer wieder von Lieferengpässen betroffen sind:
Optimierungsbedarf sieht Wörmann bei den bisherigen Maßnahmen gegen Lieferengpässe vor allem bei der Vorratshaltung und der sozialen Verantwortung der Arzneimittel-Hersteller. Mit einer besseren Vorratshaltung hätte beispielsweise der Tamoxifen-Engpass vermieden werden können, meint er.
Wie bereits Seufferlein betonte, fehlt auch laut Wörmann vor allem ein Frühwarnsystem, das frühzeitig Informationen über Lieferengpässe von der pharmazeutischen Industrie liefert. Aber auch die verschiedenen Einkaufsgemeinschaften von Apotheken nahm Wörmann in die Pflicht, diese müssten mehr Solidarität zeigen.
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Auch der Präsident des BfArM, Professor Karl Broich aus Bonn, machte deutlich, dass Arzneimittelengpässe Patient:innen verunsichern und in den Apotheken eine Menge Arbeit machen. Den 2020 eingeführten BfArM-Beirat und seine breite Vernetzung hält er jedoch schon jetzt für eine Erfolgsgeschichte.
KI-Projekt des BfArM zur Verbesserung der Versorgungssituation
Im Sinne eines Frühwarnsystems sprach Broich schließlich ein KI-Projekt (künstliche Intelligenz) des BfArM an, zur „Koordinierung der Produktion wichtiger Wirkstoffe“. Damit sollen künftig auch Ausfallszenarien simuliert werden können.
Was die Diskussion rund um den geplanten Biosimilar-Austausch angeht (das Thema wurde in einer an die Pressekonferenz anschließenden Fragerunde kurz angeschnitten), waren sich die Experten einig, dass es eine vernünftige Zwischenlösung sein dürfte, wenn der Austausch künftig ermöglicht, aber in seiner Anzahl begrenzt wird. Es sollte in einem Jahr also beispielsweise nicht drei Wechsel der Präparate geben können, wodurch die Compliance der Patient:innen gefährdet würde.
In einer begleitenden Pressemitteilung zur Online-Konferenz verweist die DGHO zudem auf ein von ihr veröffentlichtes Positionspapier zu den Arzneimittelengpässen in der Behandlung von Krebspatient:innen.
1 Kommentar
Viele Geschwurbel.
von ratatosk am 16.01.2023 um 17:28 Uhr
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