DGHO kritisiert

Marktrücknahme von Amivantamab wegen schlechter G-BA-Bewertung

Stuttgart - 31.08.2022, 07:00 Uhr

Bei jährlich mehr als 60.000 Lungenkrebs-Neudiagnosen betrifft die Marktrücknahme von Rybrevant zwar nur wenige hundert Patient:innen – aber diese besonders hart, meint der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin. (a / Foto: IMAGO / Panthermedia) 

Bei jährlich mehr als 60.000 Lungenkrebs-Neudiagnosen betrifft die Marktrücknahme von Rybrevant zwar nur wenige hundert Patient:innen – aber diese besonders hart, meint der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin. (a / Foto: IMAGO / Panthermedia) 


Wieder einmal wird ein Streit um formale Aspekte auf dem Rücken von Patientinnen und Patienten ausgetragen, kritisiert aktuell die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO). Es geht um die Marktrücknahme von Amivantamab (Rybrevant) durch Janssen-Cilag. Der Grund: Das Arzneimittel, das sich gegen eine seltene Form des fortgeschrittenen Lungenkarzinoms richtet, hat laut G-BA keinen belegten Zusatznutzen. Dennoch steht die DGHO grundsätzlich hinter dem AMNOG-Verfahren.

Erst kürzlich berichtete die DAZ, dass zum 1. September der Zulassungsinhaber Amarin sein hochdosiertes Omega-3-Fettsäure-Präparat Vazkepa vom Markt nimmt. Mit dem GKV-Spitzenverband habe keine zufriedenstellende Einigung über den Erstattungspreis gefunden werden können, hieß es zur Begründung. Während in diesem Fall fraglich ist, ob dieser Marktrückzug nach einer schlechten Nutzenbewertung wirklich einen Verlust für die Patient:innen bedeutet, prangert die „Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie“ (DGHO) jetzt eine ganz andere Marktrücknahme an: die des Krebsmedikamentes Amivantamab (Rybrevant®). Dieses ist zur Behandlung einer seltenen Form des fortgeschrittenen Lungenkarzinoms zugelassen und werde betroffenen Patient:innen somit offensichtlich fehlen. 

Der pharmazeutische Unternehmer Janssen-Cilag begründet seine Marktrücknahme „mit sofortiger Wirkung“ laut DGHO auch in diesem Fall mit einer schlechten Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) im Rahmen des Verfahrens der frühen Nutzenbewertung. Dieser politische Streit gehe zulasten der Patient:innen, kritisiert die DGHO.

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Wie die DGHO genauer schildert, hatte der G-BA am 7. Juli 2022 im AMNOG-Verfahren die Festlegung „Zusatznutzen nicht belegt“ getroffen. Aus Sicht von Janssen-Cilag besteht aufgrund dieser Ausgangslage keine Möglichkeit, Amivantamab weiterhin in Deutschland zur Verfügung zu stellen. Janssen verkündete dies am 25. August.

Amivantamab

ist zugelassen zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenem, nichtkleinzelligem Lungenkarzinom (non small cell lung cancer, NSCLC) und aktivierenden Exon-20-Insertionsmutationen des epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptors (EGFR) nach Versagen einer platinbasierten Therapie.

„Bei mehr als 60.000 Neudiagnosen Lungenkrebs im Jahr betrifft die Marktrücknahme zwar nur wenige hundert Patientinnen und Patienten, aber diese besonders hart. Die Exon-20-Insertionsmutation ist prognostisch ungünstig, weil andere Medikamente und Chemotherapien nicht ausreichend wirksam sind“, so Prof. Dr. med. Torsten Bauer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). Amivantamab wurde im Dezember 2021 für die Europäische Union sowie für Deutschland zugelassen und wird seitdem eingesetzt. Der bei Markteinführung von Janssen-Cilag aufgerufene Preis liege bei etwa 135.000 Euro pro Jahr. 

Die DGHO, die DGP und die Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie (AIO) der Deutschen Krebsgesellschaft hatten sich im aktuellen Nutzenbewertungsverfahren eigentlich für die Festlegung eines Zusatznutzens ausgesprochen, erklärt die DGHO.

Register-Daten reichen für G-BA nicht aus, Janssen-Cilag zögert nicht mit Marktrücknahme

Doch die Zulassung war nur aufgrund einer nicht-randomisierten Studie erfolgt. Deshalb bezog sich der Vergleich im Verfahren der frühen Nutzenbewertung auf Daten aus zwei deutschen Lungenkrebs-Registern (CRISP und nNGM). Dabei habe sich im indirekten Vergleich zwar fast eine Verdoppelung der medianen Überlebenszeit gezeigt – doch diesen Registervergleich hat der G-BA nicht als valide anerkannt. „Es ist unverständlich, dass die hohe und anerkannte Qualität dieses Registers in Deutschland nicht anerkannt wird“, so Prof. Dr. Jürgen Wolf, Sprecher des nationalen Netzwerks Genomische Medizin.

Theoretisch hätte Janssen-Cilag noch ein Schiedsgericht anrufen können, entschied sich nach den ersten Gesprächen laut DGHO jedoch für den Opt-Out. Prof. Dr. med. Anke Reinacher-Schick, Vorstandsvorsitzende der AIO, kommentiert: „Es ist weder für Patienten noch Behandler akzeptabel, dass durch kassenfinanzierte Diagnostik diese seltene Mutation gefunden wird, für die es ein wirksames und zugelassenes Medikament gibt, welches dann nicht in Deutschland verfügbar ist“. Dabei wird vor allem die Kurzfristigkeit der Entscheidung kritisiert: zur Fortsetzung einer bereits begonnenen Therapie oder zur Einleitung einer neuen Behandlung muss Amivantamab (Rybrevant®) jetzt aus dem Ausland importiert werden. Das verunsichere die Patient:innen. Dazu komme, dass der Import aus dem Ausland eine besondere ärztliche Verantwortung und einen hohen administrativen Aufwand mit sich bringt.

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Grundsätzlich steht die DGHO jedoch hinter dem AMNOG-Verfahren. Marktrücknahmen wie bei Regorafenib (Stivarga®) seien erfreulich selten oder werden wie bei Osimertinib (Tagrisso®) sogar rückgängig gemacht. Dennoch sieht die DGHO im aktuellen Fall auch aufseiten des G-BA eine gewisse Teilschuld an der Marktrücknahme: 


Eine einseitige Schuldzuweisung ist in der jetzigen Situation nicht angebracht. Der Vergleich der Daten aus der Zulassungsstudie mit Registerdaten ist kein Ersatz für randomisierte Studien. Dennoch hat ein solcher Vergleich mit Daten wissenschaftlich anerkannter Register aus dem deutschen Versorgungskontext für uns einen hohen Stellenwert. Er sollte im Verfahren der frühen Nutzenbewertung berücksichtigt werden.“

DGHO


Möglicherweise, so die DGHO, lasse sich die Marktrücknahme auch vor dem Hintergrund der Diskussion über den Entwurf für ein GKV-Finanzstabilisierungsgesetz aus dem Bundesministerium für Gesundheit erklären: „Die vorgeschlagenen, neuen Regelungen sehen unter anderem Preisabschläge bei neuen Arzneimitteln vor. Das führt aktuell zu spürbarer Verunsicherung sowohl bei Leistungserbringern als auch bei pharmazeutischen Unternehmen.“

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Eine Lösungsmöglichkeit für den zukünftigen Umgang mit neuen Arzneimitteln bei so seltenen Erkrankungen wie dem NSCLC mit EGFR-Exon20ins-Mutationen liege in der formalen Zuerkennung eines Orphan Drug Status, schlägt die DGHO vor. Bei Orphan Drugs gilt der Zusatznutzen mit der Zulassung als belegt. Allerdings forderte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen erst Anfang des Jahres, dass sich auch Mittel gegen seltene Erkrankungen im Zuge der frühen Nutzenbewertung behaupten müssen.


Deutsche Apotheker Zeitung / dm
redaktion@daz.online


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