sAC-hemmer TDI-11861

Oral und reversibel – neuer Anlauf für die Pille für den Mann

Stuttgart - 22.02.2023, 17:50 Uhr

Tablette nehmen und kurz abwarten - im Mausversuch konnte mit TDI-11861 bereits erfolgreich verhütet werden. (Foto: makistock / AdobeStock)

Tablette nehmen und kurz abwarten - im Mausversuch konnte mit TDI-11861 bereits erfolgreich verhütet werden. (Foto: makistock / AdobeStock)


Ein neuer Wirkstoff hemmt vorübergehend die Bewegungsfähigkeit von Spermien und macht damit Hoffnung auf ein orales Kontrazeptivum, das Männer bei Bedarf einnehmen können. Erste Tests an Mäusen hat TDI-11861 bereits bestanden.

Um die Verhütung kümmern sich auch heute noch in den meisten Fällen die Frauen. Auch, da für Männer bislang nur wenige Verhütungsmethoden zur Verfügung stehen – im Wesentlichen Kondome und Vasektomie. Ein Ansatz einer hormonellen Kontrazeption beim Mann scheiterte zuletzt aufgrund der Nebenwirkungen, was nicht-hormonelle Verhütungsmethoden in den Fokus der Forschung rückt.

Jede Sekunde 1.000 neue Spermien

Die Entwicklung neuer Verhütungsmittel für Männer ist herausfordernd: Ein Mann produziert nach der Pubertät etwa 1.000 Spermien – pro Sekunde. Und eine erfolgreiche männliche Verhütungsstrategie muss folglich jede einzelne der Millionen von Spermien daran hindern, eine Eizelle zu befruchten. Wünschenswert wäre zudem, dass Männer ihr potenzielles Kontrazeptivum kurz vor Geschlechtsverkehr anwenden können und nicht als dauerhafte Therapie.

Bewegung der Spermien vorübergehend lahmgelegt

Vielleicht kommen US-Wissenschaftler diesem hohen Ziel gerade etwas näher: Sie entwickelten einen oralen Wirkstoff (TDI-11861), der nach einer Einzeldosis die Bewegung der Spermien schnell und vorübergehend inaktivierte – zumindest in Mäusen [1].

TDI-11861 hemmt die lösliche Adenylylcyclase (sAC). Dieses Enzym benötigen Spermien, um sich zu bewegen und im weiblichen Genitaltrakt weiter zu reifen, sodass sie die Eizelle befruchten können. Wie wichtig das Enzym für die Fortpflanzung ist, sieht man an männlichen Mäusen, denen das Gen für sAC fehlt: Sie sind steril [2]. Dies gilt nicht nur für Mäuse, sondern auch Menschen, denn bestimmte Mutationen im sAC-Gen machen Männer unfruchtbar [3].

Im Mausversuch erfolgreich

Die ersten Versuche führten die US-Forscher in vitro durch: Sie stellten fest, dass – wie von einem sAC-Inhibitor erwartet – TDI-11861 die Beweglichkeit und auch den für die Befruchtung der Eizelle erforderlichen Reifungsprozess der Spermien hemmte, und das sowohl bei Maus- als auch bei menschlichem Sperma.

Doch wie gut funktioniert der Wirkstoff, wenn er oral verabreicht wird? Auch dieser Frage gingen die Wissenschaftler nach, da die Möglichkeit einer oralen Einnahme die Anwenderfreundlichkeit des Wirkstoffs verbessert. 

Die Ergebnisse stimmen durchaus optimistisch. Spermien von oral (per Magensonde) mit TDI-11861 behandelten Mäusen waren unbeweglich – genauso wie Spermien von Mäusen, denen das sAC-Gen fehlt, oder von unfruchtbaren Männern mit Mutationen im sAC-Gen.

Für ihre weiteren Untersuchungen und um mehr Mäuse testen zu können, nutzten die Studienautoren sodann einen einfacheren Applikationsweg als die Magensonde und injizierten den Mäusen TDI-11861 in den Bauchraum. 

Spermienbeweglichkeit innerhalb von 24h wiederhergestellt

Auch Wirkungseintritt und -dauer sprechen für eine bedarfsgerechte Anwendbarkeit: Bereits 15 Minuten nachdem die Wissenschaftler den Mäusen TDI-11861 injiziert hatten, hemmte der Wirkstoff die Beweglichkeit der Spermien. 

Die Wissenschaftler beobachteten eine „stabile“ empfängnisverhütende Wirkung über einen Zeitraum von 2,5 Stunden. Nach drei Stunden erlangten die Spermien langsam ihre Beweglichkeit zurück, sie war 24 Stunden nach Injektion wiederhergestellt. Dabei verlief die zunehmende Mobilität der Spermien parallel zur Abnahme der Wirkstoffkonzentration im Blut. 

Dabei scheint sich der Wirkstoff nicht auf das Sexualverhalten der männlichen Mäuse auszuwirken: Sie paarten sich und ejakulierten mit gleicher Häufigkeit wie unbehandelte männliche Mäuse. Damit hat den aktuellen Daten zufolge TDI-11861 keinen Einfluss auf das Paarungsverhalten oder die Ejakulation.

Unbewegliche Spermien = keine Schwangerschaft?

Nun ist es natürlich vielversprechend, wenn man im Reagenzglas Spermien-hemmende Effekte beobachtet. Doch wie sieht es mit der tatsächlichen Verhütung aus? Gelingt es TDI-11861 auch, Schwangerschaften zu verhindern? 

Die Wissenschaftler verglichen dazu die Schwangerschaftsrate von Mäusepaaren, die unbehandelt waren, mit der von Mäusepaaren, bei denen das Männchen TDI-11861 erhalten hatte. Die Paarungsstudie lief ab dem Zeitpunkt der Injektion von TDI-11861 für 2,5 Stunden (da eine einmalige Injektion von TDI-11861 die Spermienbewegung für bis zu 2,5 Stunden stabil hemmt). 

Das Ergebnis: Bei Mäusepaaren ohne TDI-11861 waren 30 Prozent der Weibchen schwanger, bei den Paaren mit TDI-11861 gab es im Gegensatz dazu keine Schwangerschaft (bei 52 Paarungen). Keine Unterschiede gab es beim Paarungsverhalten oder bei unerwünschten Wirkungen bei den weiblichen Mäusen.

Das gelang nicht mit jedem der sAC-hemmenden Wirkstoffkandidaten, den die Wissenschaftler im Visier hatten. Bereits zuvor hatten sie einen sAC-Blocker (TDI-10229) untersucht. Allerdings schaffte dieser es nicht, seine bewegungshemmende Wirkung auf die Spermien auch im weiblichen Fortpflanzungstrakt aufrechtzuerhalten, was ihn für eine sichere Verhütung disqualifizierte.

Ihr Fazit: „Wir zeigen, dass eine einzige Dosis eines sicheren, akut wirkenden sAC-Inhibitors mit langer Verweildauer männliche Mäuse vorübergehend unfruchtbar macht. Die Mäuse zeigen ein normales Paarungsverhalten, und die volle Fruchtbarkeit kehrt am nächsten Tag zurück.“ sAC-Inhibitoren, wie TDI-11861, könnten damit „On-Demand-Verhütungsmittel[n] für Männer“ den Weg bereiten.


Literatur

[1] „Nature Communications“: „On-demand male contraception via acute inhibition of soluble adenylyl cyclase“
[2] „PNAS“: „Mice deficient for soluble adenylyl cyclase are infertile because of a severe sperm-motility defect“
[3] „Human Reproduction“: „ADCY10 frameshift variant leading to severe recessive asthenozoospermia and segregating with absorptive hypercalciuria“
 


Celine Bichay, Apothekerin, Redakteurin DAZ
redaktion@daz.online


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