Otalgan bekommt Konkurrenz

Otitis media – wann können Apothekerinnen Ohrentropfen empfehlen?

Stuttgart - 27.10.2023, 17:50 Uhr

Seit dem 1. September macht Otoakut von Infectopharm in der Selbstmedikation von Ohrenschmerzen Otalgan Konkurrenz. (Bild: Infectopharm; Schelbert / Montage: PTAheute)

Seit dem 1. September macht Otoakut von Infectopharm in der Selbstmedikation von Ohrenschmerzen Otalgan Konkurrenz. (Bild: Infectopharm; Schelbert / Montage: PTAheute)


Immer wieder kommen Patient:innen mit dem Wunsch nach schmerzstillenden Ohrentropfen in die Apotheke. Der Rat zur oralen Einnahme von Ibuprofen oder Paracetamol stößt dann häufig auf wenig Gegenliebe, möchte man doch speziell etwas für seine Ohrenschmerzen. Mit Otoakut gibt es neben Otalgan für diesen Fall nun ein neues Präparat in der Selbstmedikation. Doch wann kann man diese beiden überhaupt empfehlen?

Seit dem 1. September ist mit Otoakut® von Infectopharm ein neues Präparat für die Selbstmedikation von Ohrenschmerzen erhältlich. Es ist „zur lokalen symptomatischen Therapie von Schmerzen im äußeren Gehörgang bei äußeren Ohrinfektionen und akuter Otitis media“ indiziert, allerdings nur bei intaktem Trommelfell. Fast identisch im Wortlaut wird die Indikation für Otalgan® Ohrentropfen von der Südmedica GmbH beschrieben, die bereits seit 1970 in der Lauer-Taxe gelistet sind.

Beide Präparate enthalten die gleichen Inhaltsstoffe – mit Phenazon einen Wirkstoff, der analgetisch und leicht antiphlogistisch wirkt, sowie das Lokalanästhetikum Procain. Doch wann sind analgetische Ohrentropfen in der Selbstmedikation überhaupt zu empfehlen [1, 2]?

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Da die deutsche „S2k-Leitlinie Akute Otitis media“ noch nicht existiert – sie soll Ende 2023 fertiggestellt werden – ist es gar nicht so einfach, diese Frage zu beantworten [3]. Die S2k-Leitlinie Ohrenschmerzen existiert zwar seit November 2014, ist aber seit Oktober 2019 abgelaufen und wird derzeit überarbeitet. In der Leitlinie von 2014 heißt es zu lokalen Analgetika [4]:

„Die Verabreichung lokaler Analgetika kann bei der Otitis media nicht empfohlen werden, u. U. erschweren sie die Beurteilung des Trommelfells. Es wird in wenigen Einzelfallstudien von verminderten Schmerzen und verminderten lokalen Entzündungsparametern berichtet, was allerdings keine ausreichende Evidenz für eine Empfehlung darstellt.“

Sind Otalgan® und Otoakut® in der Apotheke also gar nicht zu gebrauchen?

Empfehlungen in Großbritannien für analgetische Ohrentropfen

In Großbritannien gibt es mit dem Präparat Otigo® offenbar erst seit kurzem analgetische Ohrentropfen im Handel. Deshalb hat das „National Institute for Health an Care Excellence“ (NICE) im März 2022 seine Empfehlungen zu Ohrentropfen aktualisiert. Otigo® enthält wie die deutschen Präparate Phenazon, aber statt Procain das Lokalanästhetikum Lidocain.

Während das NICE bereits 2018 dazu riet, Patient:innen gegen Schmerzen bei Otitis media Paracetamol oder Ibuprofen in den für das Alter üblichen Dosen anzubieten, heißt es nun seit 2022: „Erwägen Sie Ohrentropfen, die ein Anästhetikum und ein Analgetikum gegen Schmerzen enthalten“, sofern keine Trommelfellperforation oder Ausfluss aus dem Ohr besteht und keine oralen Antibiotika eingenommen werden. Wenn sich die Symptome innerhalb einer Woche nicht ändern oder gar verschlechtern, soll die Behandlung erneut überprüft werden. 

Eine akute Otitis media sei eine selbstlimitierende Infektion, die vor allem Kinder betreffe und könne sowohl von Viren als auch Bakterien verursacht werden. In den meisten Fällen sollen sich die Symptome innerhalb von drei Tagen bessern und bis zu einer Woche andauern. Mit analgetischen Ohrentropfen soll also offenbar der Einsatz von Antibiotika reduziert werden [5].

Schmerzstillende Ohrentropfen – nur einmalige Anwendung sinnvoll?

Ein Artikel in der Zeitschrift „Drug Research“ warf bereits 2021 die Frage auf, ob es bei der Behandlung der akuten Mittelohrentzündung (Otitis media) einen Paradigmenwechsel hinsichtlich des Einsatzes von schmerzstillenden Ohrentropfen gibt. Für die Antwort auf diese Frage – die im Fazit eher mit „nein“ beantwortet wurde – wurden in der Übersichtsarbeit zwischen den Jahren 2000 und 2020 elf klinische Studien, zwei Leitlinien und fünf Berichte systematisch ausgewertet. Zwar konnten dabei keine Kontraindikationen und Nebenwirkungen identifiziert werden, die analgetischen Ohrentropfen zeigten jedoch eine relativ kurze Wirkdauer bei einmaliger Anwendung. Der Autor der Übersichtsarbeit kam insgesamt zu dem Schluss, dass sich die Einstellung zur Anwendung von Lokalanästhetika bei Mittelohrentzündung zwar geändert hat, es aber weiterhin keine Behandlungsprotokolle gibt, welche über die einmalige Verabreichung hinausgehen. 

Da der Wirkeintritt schnell sein soll, erscheint es jedoch sinnvoll, auch mit einer einmaligen Gabe die Zeit bis zum Wirkeintritt einer anderen Therapie zu überbrücken beziehungsweise einen Antibiotika-Einsatz hinauszuzögern.

In den deutschen Handelspräparaten wird derzeit die drei- bis viermalige Verabreichung als Tagesgabe empfohlen. Klingen die Schmerzen nach zwei Tagen nicht ab, soll ein Arzt aufgesucht werden. Unter Aufsicht eines Arztes gilt die Behandlungsdauer aber als unbeschränkt [1,2].

Das Argument der deutschen Leitlinie, dass Ohrentropfen die Beurteilung des Trommelfells erschweren, will der Autor nicht zählen lassen. Er gibt zu bedenken, dass das Trommelfell vor der Verabreichung von Ohrentropfen beurteilt werden sollte. Zudem könne man die Ohrentropfen auch wieder herauslaufen lassen. Auch das mögliche plötzliche Auftreten einer Trommelfellperforation hält er nicht für ein Argument gegen die Anwendung der Ohrentropfen. 

Außerdem heißt es in der Übersichtsarbeit, dass ein galenisch angepasstes Präparat die Wirksamkeit der schmerzstillenden Ohrentropfen künftig noch verbessern könnte. Hier wäre also die pharmazeutische Forschung gefragt. Der Autor der Übersichtsarbeit hat unter anderem Vortragshonorare für ein Fortbildungswebinar der InfectoPharm Arzneimittel und Consilium GmbH erhalten. [6].

Woran erkennt man eine Trommelfellperforation?

Manche Menschen haben gar keine Beschwerden und sind beispielsweise überrascht, wenn beim Naseputzen plötzlich Luft aus dem Ohr kommt. Ansonsten können folgende Symptome ein Zeichen für eine Trommelfellperforation sein:

  • Bei einem Trommelfellriss, in Folge einer schmerzhaften Mittelohrentzündung, kann dieser sogar zu einer Schmerzlinderung führen.
  • Deshalb kann sowohl plötzlich auftretender Ohrenschmerz als auch ein plötzlicher Rückgang der Schmerzen ein Symptom darstellen.
  • Es kann Ausfluss auftreten, der blutig oder durchsichtig ist oder Eiter ähnelt.
  • Es können Ohrgeräusche und Ohrensausen auftreten.
  • Es kann zu einem leichten bis vollständigen Hörverlust kommen.

Die Diagnose stellt der Arzt mit einer Ohrenspiegelung. „In 95 Prozent der Fälle heilt das gerissene Trommelfell innerhalb von einigen Tagen bis Wochen von selbst. Länger andauernde Trommelfellrupturen erhöhen das Risiko einer chronischen Mittelohrentzündung und Schwerhörigkeit bei Kindern. In diesen seltenen Fällen kann eine Operation des Trommelfells notwendig sein“, erklärt etwa das Universitäts Spital Zürich auf seinem Internetauftritt [8].

Jedenfalls scheint die Anwendung von schmerzlindernden Ohrentropfen in der Forschung weiterhin auf Interesse zu stoßen. Beispielsweise eine niederländische Studie untersucht aktuell, ob analgetische Ohrentropfen zusätzlich zu einer bislang üblichen Behandlung bei einer akuten Otitis media die Schmerzlinderung verbessern könnten. Sie soll noch 2024 abgeschlossen werden [7]. 

Eine Selbstmedikation mit analgetischen Ohrentropfen – ohne vorherigen Arztbesuch – sollte in der Apotheke bislang aber wohl noch eher zurückhaltend empfohlen werden. 

Literatur

[1] Eintrag in der Lauer-Taxe zu Otoakut® von Infectopharm, Datenstand 15.10.2023.

[2] Eintrag in der Lauer-Taxe zu Otalgan® Ohrentropfen von der Südmedica GmbH, Datenstand 15.10.2023.

[3] Angemeldet: S2k-Leitlinie Akute Otitis media. Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e.V. (DGHNO-KHC), geplante Fertigstellung: 31.12.2023, register.awmf.org/de/leitlinien/detail/017-005

[4] Abgelaufen: S2k-Leitlinie Ohrenschmerzen. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DGKJ), Stand: 01.11.2014, gültig bis: 31.10.2019 (in Überarbeitung), register.awmf.org/de/leitlinien/detail/053-009

[5] Empfehlungen des National Institute for Health an Care Excellence (NICE), Stand 11. März 2022, www.nice.org.uk/guidance/ng91

[6] Michel O. Pain Relief by Analgesic Eardrops: Paradigm Shift in the Treatment of Acute Otitis Media? Drug Res 2021;71:363–371, www.thieme-connect.com/products/ejournals/html/10.1055/a-1494-3087

[7] Sévaux J, Damoiseaux R, Hullegie S et al. Effectiveness of analgesic ear drops as add-on treatment to oral analgesics in children with acute otitis media: study protocol of the OPTIMA pragmatic randomised controlled trial. BMJ Open 2023;13(2):e062071. doi: 10.1136/bmjopen-2022-062071 

[8] Internetauftritt des Universitäts Spital Zürich zum Thema Trommelfellriss. Abruf 24.10.2023, www.usz.ch/krankheit/trommelfellriss/


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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