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Zweiter Long-Covid-Kongress in Jena
Long-Covid bleibt Herausforderung für Forschung und Gesellschaft
Beim Long-Covid-Kongress in Jena ging es sowohl um die Forschung zu Ursachen und Therapien der Erkrankung als auch um die praktische Versorgung der Betroffenen und ihre gesellschaftliche Teilhabe. Das Bewusstsein für Long-Covid hat offenbar zugenommen, aber viele strukturelle Hürden bleiben. Pharmazeutisch können weiterhin nur Off-label-Behandlungen angeboten werden.
Am Freitag und Samstag fand in Jena der zweite Kongress des Ärzte- und Ärztinnenverbandes Long-Covid als Hybridveranstaltung mit über 2300 angemeldeten Teilnehmern, davon über 600 vor Ort, statt. Im Rückblick auf den ersten Kongress (siehe DAZ.online vom 21. 11. 2022) erklärte Prof. Dr. Martin Walter, Präsident des Ärzte- und Ärztinnenverbands Long-Covid und einer der beiden Tagungspräsidenten, nach einem Jahr sei vieles klarer, aber das Problem nicht kleiner. Im Kongress solle es sowohl um die Grundlagenforschung als auch um die Versorgungsforschung und die gesellschaftlichen Aspekte, besonders die gesellschaftliche Teilhabe der Betroffenen gehen. Walter erklärte es so: „Wir müssen das eine – Forschen – tun, ohne das andere – Versorgen – zu lassen.“
Keine Teilhabe ohne Therapie
Dr. Claudia Ellert, Betroffeneninitiative Long-Covid Deutschland, zeigte sich erfreut über die verstärkte politische Wahrnehmung des Problems, aber die finanziellen Mittel müssten in der Versorgung der Patienten ankommen und dürften nicht im System versacken. Außerdem gab sie zu bedenken, dass Teilhabe für viele Betroffene ohne eine Therapie gar nicht möglich sei.
Immundysregulation auf genetischer Grundlage
Die Suche nach Therapien bleibt demnach die zentrale Aufgabe. Doch die Hoffnung auf kausal wirksame Arzneimittel habe sich noch nicht erfüllt, konstatierte Prof. Dr. Andreas Stallmach, Leiter des Post-Covid-Zentrums der Uni-Klinik Jena und ebenfalls Tagungspräsident. Er verwies zwar auf viele laufende Studien weltweit, aber bis eine kausale Therapie gefunden wird, müssten supportive Therapien bei den Patienten ankommen. Dazu seien viele Ansätze und viel Forschung nötig, wobei nicht nur „elitäre“ Projekte gefördert werden sollten, forderte Stallmach. Als eine der wichtigsten Erkenntnisse seit dem vorigen Kongress stellte Stallmach fest, dass Long-Covid nun als Immundysregulation verstanden wird, die auf der Grundlage einer genetischen Disposition durch das Virus ausgelöst wird. Dabei gebe es mehrere Subtypen, sodass es nicht eine Therapie für alle geben werde.
Weiterhin große gesellschaftliche Aufgabe
Ellert beklagte, dass Betroffene noch immer aus Unwissenheit stigmatisiert würden. Wenn jemand etwas nicht verstehe, sei es ein schneller Weg, die Krankheit als psychisch bedingt einzustufen. Doch damit werde diesen Patienten eine angemessene interdisziplinäre Versorgung vorenthalten. Als Beispiel für das weiter bestehende Verständnisproblem berichtete Stallmach von einer Patientin, der ein Gutachter vorgehalten habe, sie könne nicht krank sein, weil sie gar nicht behandelt worden sei. Bei einer Erkrankung, für die es keine Behandlung gibt, sei das „abstrus“. Stallmach betonte, dass die weiterhin Erkrankten nicht als „Übriggebliebene“ betrachtet werden sollten. Stattdessen solle vom Long-Covid-Kongress das Signal ausgehen, dass sich die Organisatoren und Teilnehmer um die Betroffenen kümmern. Dieses Signal solle auch an die Politik gehen – und das bezog sich auch auf die Arzneimittelversorgung.
Liste für erstattungsfähige Off-Label-Arzneimittel erwartet
Denn zur symptomatischen Behandlung werden Arzneimittel off-label eingesetzt. Dazu habe Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach angekündigt, es solle eine Liste mit off-label bei Long-Covid einsetzbaren Arzneimitteln erstellt werden, die von der GKV erstattet werden sollen. Stallmach erklärte, die Krankenkassen sollten dabei keine hohen Kosten fürchten, denn die Folgekosten ohne Behandlung dürften höher sein.
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Lauterbach bekräftigte später in seinem Video-Grußwort, der Zugang zu Arzneimitteln für den Off-label-use bei Long-Covid werde verbessert. Eine Expertenkommission beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte werde vielversprechende Ansätze dafür bewerten. Außerdem werde der Runde Tisch zu Long-Covid in eine zweite Runde gehen. In einem weiteren Video-Grußwort erklärte Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, dass die Gesellschaft Antworten für die 2,5 Millionen Long-Covid-Patienten finden müsse. Sie würden nicht nur im Beruf, sondern auch bei Freunden und in ihren Familien fehlen. Mit Blick auf die betroffenen Kinder und Jugendlichen sei es wichtig, bei Schulen und in Ämtern aufzuklären und Strukturen für den Unterricht zu verändern.
Noch viel zu tun für Teilhabe und Forschung
In der anschließenden Diskussion beklagte Ellert, die Teilhabe der Betroffenen sei noch nicht adäquat zu dem Wissen, das wir bereits haben. Es gebe eine Divergenz zwischen dem, was wir könnten, und dem, was wir tun. Es gebe kein bundesweites Netzwerk an Kompetenzzentren, und die Umsetzung von Projekten dauere viele Jahre, aber die Patienten brauchen jetzt Hilfe. Die Bundestagsabgeordneten Simone Borchardt (CDU) und Tina Rudolph (SPD) bekräftigten die große Herausforderung, die Betroffenen in das Arbeits- und Gesellschaftsleben zu integrieren, auch mit Blick auf den Fachkräftemangel. In der Diskussion wurde allerdings deutlich, dass noch ein weiter Weg nötig ist, um die Strukturen des Berufslebens an Betroffene anzupassen, die oft nur kurze Zeit und vor allem nicht planbar leistungsfähig seien. Borchardt und Rudolph sprachen sich zudem dafür aus, die „sprechende Medizin“ besser zu honorieren. Borchert forderte neue Strukturen für die spezialisierte und ambulante Rehabilitation. Der Bundestagsabgeordnete Prof. Dr. Andrew Ullmann (FDP) gab zu bedenken, dass die Politik der Medizin nichts vorgeben könne, sondern die Politik höre der Gesellschaft zu. Der Hirnforscher Prof. Dr. Martin Korte, Braunschweig, erinnerte daran, dass das eigentliche Ziel eine Therapie ist. Dafür gab er sich auch optimistisch, beklagte aber die vielen formalen Hürden für die Forschung in Deutschland. Einen Beitrag zu den fachlichen Inhalten des Kongresses finden Sie demnächst in der DAZ.
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