DAZ: Und Deutschland?
Regitz-Zagrosek: Deutschland dümpelt so vor sich hin: Hier haben wir nur in Berlin und Bielefeld jeweils einen Lehrstuhl in Gendermedizin, zum Teil mit Fokus auf Prävention und Psychologie. An der Charité in Berlin sind Geschlechterunterschiede ein Element in der Curriculum-Pflichtlehre, an wenigen anderen Fakultäten findet sich die Thematik zum Teil in Wahlfächern, an anderen gar nicht. Deutschlandweit will das Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungen Fragen zu Geschlechterunterschieden in den Fragenkatalog der ärztlichen Prüfung aufnehmen.
DAZ: Und wie sieht es mit staatlich geförderten Studien aus?
Regitz-Zagrosek: Das BMBF und das BMG haben nur sehr wenige Studien mit Fokus auf geschlechtsspezifische Aspekte initiiert, einige davon an der Charité. Das ist einige Jahre her und die Ergebnisse erreichten wenig internationale Sichtbarkeit – es gab kein Nachfolgeprogramm. Wir bereiten gerade eine Publikation vor, in der wir an der Charité Echostudien bei Herz-Kreislauf-Patienten gemacht haben, die zeigen, dass die Herzen bei Männern und Frauen auch dann unterschiedlich groß sind, wenn man auf die Körperoberfläche normalisiert. Das heißt: Unterschiede in der Herzgröße und -funktion sind nicht nur mit Gewichtsunterschieden zu erklären. Solche Erkenntnisse müssten mehr Beachtung finden.
DAZ: Womit erklären Sie sich die deutsche Zurückhaltung?
Regitz-Zagrosek: In Deutschland gibt es eine sehr konservative Haltung dazu. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie behauptet jetzt, den weiblichen Nachwuchs zu fördern, aber sie haben 100 Jahre fast nichts dazu getan. Dann kann man den weiblichen Nachwuchs nur schwer aus dem Boden stampfen. Frauen haben es bei ihrer Karriere immer noch deutlich schwerer als Männer. Sie erhalten weniger Unterstützung, verdienen weniger, werden langsamer befördert und oft sexuell belästigt.
Es fehlen weibliche Rollenmodelle. Bei Bewerbungen um Kardiologie-Lehrstühle haben immer noch Männer die Nase vorne, obwohl es sehr gute Frauen gibt, die aus irgendeinem Grund nicht genommen werden. Das ist sehr bedauernswert. Ich sehe in Deutschland eine gläserne Decke, die nur schwer aufzubrechen ist. Wir haben 40 medizinische Fakultäten und nur zwei Dekaninnen. Das ist schlecht. Es gibt mehr geeignete Frauen.
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Lauterbach zerstört Frauenberuf
von Martin Straulino am 08.03.2024 um 11:37 Uhr
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