Interview mit Berlins Kammerpräsidentin Ina Lucas

„Wir brauchen eine Honoraranpassung, um wieder Luft zum Atmen zu haben“

Berlin - 08.05.2024, 17:50 Uhr

Die öffentliche Apotheke liegt Kammerpräsidentin Lucas besonders am Herzen. (Foto: Ina Lucas)

Die öffentliche Apotheke liegt Kammerpräsidentin Lucas besonders am Herzen. (Foto: Ina Lucas)


Die Apotheken stehen bereit, die Patientenversorgung von morgen um innovative Konzepte zu bereichern – doch zunächst muss eine Anpassung der Vergütung her, um ihnen den nötigen Spielraum zu verschaffen. Das sagt die frisch gewählte Präsidentin der Apothekerkammer Berlin, Ina Lucas. Welche Schwerpunkte sie in den kommenden fünf Jahren setzen will, erläutert sie im DAZ-Interview.

DAZ: Frau Lucas, welche Ziele haben Sie sich für Ihre erste Amtszeit gesteckt?

Lucas: Drei Punkte sind mir besonders wichtig. Zum einen müssen wir uns intensiv der Stärkung und Weiterentwicklung der pharmazeutischen Beratung und Betreuung widmen. Um das zu erreichen, ist es nötig, das Fortbildungsangebot der Kammer zielgerichtet und modern zu gestalten und an die Bedürfnisse der Mitarbeitenden an den HV-Tischen anzupassen. Ich kann mir auch vorstellen, mit anderen Kammern zusammenzuarbeiten und digitale Fortbildungen bundesweit anzubieten. Zum anderen gilt es, unser Serviceangebot zu verbessern. Wir müssen für unsere Mitglieder möglichst niedrigschwellig erreichbar sein und deutlicher als bisher herausstellen, was unsere Aufgaben sind und welche in die Zuständigkeit des Berliner Apothekervereins fallen. Das erfordert eine intensive Zusammenarbeit mit dem BAV.

Und der dritte Punkt?

Der dritte Punkt ist, dass wir uns sowohl innerhalb des Berufsstands als auch interprofessionell stärker vernetzen müssen. Gerade mit Blick auf den Fachkräftemangel sollten wir miteinander ins Gespräch kommen, wer was leisten kann und will und wie wir das Versorgungsangebot hierzulande aufrechterhalten können. Mir fällt auf, dass die Apotheken bei vielen Konzepten außen vor sind. Das liegt auch daran, dass wir unsere Leistung und unser Potenzial zu wenig sichtbar machen. Da müssen wir in Zukunft besser werden.

Mit Netzwerken haben Sie bereits einige Erfahrungen gesammelt: Neben der Denkfabrik Apotheke sind Sie auch Mitgründerin der ABDA-Nachwuchsinitiative AByou. Welche Impulse nehmen Sie daraus mit?

In der Denkfabrik merke ich, wie sehr die Apothekerschaft davon profitieren kann, wenn wir uns mit anderen Berufsgruppen austauschen. Darin engagieren sich nicht nur Apothekerinnen, sondern auch zum Beispiel Ärztinnen und Kommunikationsprofis, die wiederum eigene Netzwerke haben. Da ergeben sich tolle Möglichkeiten, die Sicht der Präsenzapotheken in Kreise einzubringen, die uns sonst verschlossen bleiben würden. AByou wiederum bietet uns die Chance, junge Kolleginnen und Kollegen für die Standespolitik zu begeistern und auch in unserer eigenen Arbeit deren Themen und Bedürfnisse zu berücksichtigen.

Das Thema Nachwuchs ist ohne Frage ein großes im Berufsstand. Wie kann es gelingen, die jungen Approbierten wieder in die Offizinen zu locken?

Der wichtigste Moment ist sicher das praktische Jahr. Noch haben wir das Glück, dass alle angehenden Apothekerinnen und Apotheker während ihrer Ausbildung mindestens sechs Monate in einer öffentlichen Apotheke absolvieren müssen. Dürfen sie in dieser Zeit erleben, wie spannend und vielfältig die Arbeit dort sein kann und wie erfüllend es ist, wenn Patientinnen und Patienten sich gut beraten fühlen und ihre Dankbarkeit ausdrücken, können wir sie womöglich in den Apotheken halten. Auch die pharmazeutischen Dienstleistungen und das Impfen sind wichtige Bausteine. Darauf sind viele junge Kolleginnen und Kollegen richtig heiß. Wenn die Studierenden aus der Uni zu uns kommen, haben viele noch gar keine konkrete Vorstellung, was Präsenzapotheke eigentlich bedeutet. Für uns ist das eine riesige Chance, dieses Bild zu formen.

Das ist leicht gesagt. Aber wenn man ehrlich ist, empfinden viele niedergelassene Apothekerinnen und Apotheker den Leitfaden der Bundesapothekerkammer zur Ausbildung im PJ als zu sperrig. Oft ist der oder die Auszubildende vom individuellen Engagement einzelner Mitarbeitender abhängig. Wie lässt sich das in der Breite besser strukturieren als bisher?

Die gute pharmazeutische Praxis muss auch in Zukunft im Mittelpunkt stehen. Insofern kommen wir um den BAK-Leitfaden nicht herum. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass wir als Kammer Best-Practice-Beispiele zur praktischen Ausbildung sammeln und den Leitfaden um ein modernes Konzept ergänzen, das den Kolleginnen und Kollegen als Grundlage dienen kann. Vor allem, was das Übersetzen der Inhalte in die Praxis, die Ansprache der Patientinnen und Patienten und effiziente Gesprächsführung betrifft, sehe ich Spielraum.

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Nachwuchsmangel herrschte bisher auch in der Standespolitik. Inzwischen begegnet man doch regelmäßig vergleichsweise jungen Kolleginnen und Kollegen. Vollzieht sich in der Berufspolitik gerade ein Generationenwechsel?

Das ist durchaus möglich und sicher auch nötig. Unser Berufsbild befindet sich im Wandel. Und diesen Wandel müssen wir gestalten. Da ist das Engagement der jungen Approbierten, die vielleicht noch 20 bis 30 Jahre in der Apotheke arbeiten möchten, bestimmt besonders groß. Am Ende geht es aber vor allem um die Einstellung. Dass Holger Gnekow in Hamburg zum Kammerpräsidenten gewählt wurde, empfinde ich zum Beispiel als Bereicherung für den Berufsstand, obwohl er eher nicht mehr zum Nachwuchs zählt.

Als Berliner Kammerpräsidentin profitieren Sie auch von einer gewissen räumlichen Nähe zu den Büros der Bundestagsabgeordneten. Welche Botschaft nehmen Sie mit in die Gespräche?

Die Apothekerschaft kann und will Versorgungsangebote machen, die den Patientinnen und Patienten wirklich nutzen. In unserer derzeitigen wirtschaftlichen Lage lässt sich aber kaum noch etwas Neues etablieren. Wir stehen bereit, um zukunftsträchtige Konzepte zu entwickeln, brauchen aber im ersten Schritt eine Honoraranpassung, um wieder Luft zum Atmen zu haben und investieren zu können. Das muss sich nicht auf eine Erhöhung des Fixums beschränken. Denkbar wären auch zusätzliche Säulen, etwa eine Vergütung der Beratungsleistungen, die wir abseits der unmittelbaren Arzneimittelabgabe erbringen. Im zweiten Schritt bringen wir gern innovative Angebote in die Fläche. Aber die Abfolge muss klar sein: Zunächst gilt es, uns wirtschaftlich in die Lage zu versetzen, Neues anzubieten. Erst dann können wir die Versorgung der Zukunft gestalten. Denn wem jetzt schon das Wasser bis zum Hals steht, der wird kaum in der Lage sein, innovative Angebote zu machen. Und wir müssen deutlich machen, was bei Fehlentscheidungen auf dem Spiel steht – nämlich die Gesundheit der Patientinnen und Patienten.

Welche neuen Versorgungsangebote könnten Apotheken perspektivisch machen?

Wenn wir den demografischen Wandel bewältigen wollen, muss die Gesellschaft insgesamt gesünder werden. Dazu können wir beitragen, zum Beispiel durch Präventionsangebote und eine Stärkung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung. Dafür brauchen die Menschen das persönliche Gespräch vor Ort – keine KI kann das ersetzen.

Zurück in die Hauptstadt – Berlin wird in der Politik gern als Beispiel herangezogen dafür, wo Apotheken verzichtbar sind. Denn hier gibt es vermeintlich genug bis zu viele. Was halten Sie dem entgegen?

Wir haben in Berlin inzwischen gerade einmal noch 700 Apotheken. Bei rund vier Millionen Einwohnern bedeutet das, dass jede von ihnen etwa 6.000 Menschen versorgt. Das ist eine enorm große Zahl. Wir müssen uns in den Großstädten eine gewisse Dichte an Betriebsstätten leisten, um dem Bedarf gerecht werden zu können. Auch die Arzneimittelversender können das nicht auffangen. Ich sehe und höre immer wieder, dass die Patientinnen und Patienten in den Apotheken Schlange stehen. Das zeigt doch, dass der persönliche Kontakt gewünscht ist, obwohl es bestimmt bequemer wäre, die Medikamente vom Sofa aus zu bestellen. Gleichzeitig stoßen bereits jetzt viele von uns an ihre Kapazitätsgrenze. Und ich möchte es nicht erleben, dass Leute unversorgt vor der Tür stehenbleiben, wenn ich um 20 Uhr schließe. Natürlich könnte ich meine Apotheke auch bis 21 oder 22 Uhr geöffnet halten. Aber wenn nicht genug Geld da ist, um meine Mitarbeitenden fair zu bezahlen, finde ich dafür kein Personal. Damit sind wir wieder kein Kernthema: Wir brauchen eine faire Vergütung, um die Herausforderungen, vor denen wir stehen, bewältigen zu können.

Frau Lucas, vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person

Dr. Ina Katharina Lucas betreibt mit ihrer Geschäftspartnerin Maria Zoschke als OHG vier Apotheken – drei davon in Berlin, eine in Brandenburg. Gemeinsam gründeten sie im Jahr 2014 die Lichtenberg Apotheke, es folgten Übernahmen in den Jahren 2017 (Kaufpark Apotheke Ahrensfelde) und 2022 (Prenzl Apotheke und Nordring Apotheke). Als Kammerpräsidentin will sie sich nach eigenen Angaben insbesondere für die Belange der öffentlichen Apotheken einsetzen und für eine starke apothekerliche Gemeinschaft werben.


Christina Grünberg (gbg), Apothekerin, Betriebswirtin (IWW), DAZ-Redakteurin
cgruenberg@daz.online


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