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Kommunikation im Apothekenteam
Mit Enttäuschungen umgehen
Nicht nur im Privaten, auch im Job können wir bitter enttäuscht werden. Nach dem ersten Schock, nach Trauer und Wut muss es weitergehen, aber wie? Wenn Enttäuschungen nicht überwunden werden, wird es nicht nur zum Problem für den Einzelnen, sondern kann auch das Team und damit das Unternehmen stark belasten.
Es gibt einige Möglichkeiten, wie es zu einer Enttäuschung kommen kann. Häufig werden sie ausgelöst durch eine Diskrepanz zwischen dem, was wir erwarten und dem, was wirklich passiert. Wir erwarten etwas, was nicht zu 100 Prozent geleistet werden kann, geschweige denn versprochen wurde.
Wenn wir etwa Theaterkarten für ein Shakespeare-Stück kaufen, mit der Hoffnung auf historische Kostüme und ein pompöses Bühnenbild und stattdessen weiße Nachthemden und lediglich einen Stuhl präsentiert bekommen, sind wir wahrscheinlich enttäuscht. Beim Blick ins Programmheft, das auf eine Neuinterpretation hinweist und Bilder des Bühnenaufbaus zeigt, wird klar, dass uns diese Informationsquelle eine faire Chance für eine realistische Einschätzung gegeben hat. Die aufkeimenden Gefühle, wie Wut, Trauer, Empörung oder Frustration können sich dann gegen einen selbst richten. Nach dem Motto: „Typisch ‒ wie konnte ich nur so verpeilt sein?“. Oder die Gefühle suchen sich eine andere Richtung, etwa gegen das Theater, das umfangreicher informieren müsste oder den Partner, der besser recherchieren sollte oder was auch immer.
Unausgesprochene Erwartungen
Je wichtiger das Ereignis für uns ist, desto höher sind die Erwartungen und desto größer kann die Enttäuschung ausfallen. Wenn Menschen uns enttäuschen, ist es ähnlich ‒ je wichtiger sie uns sind, desto mehr trifft uns ihr vermeintliches Fehlverhalten.
Wenn diesem Menschen jedoch nie mitgeteilt wurde, was genau von ihm erwartet wird oder die Ansprüche vollkommen überzogen sind, muss man sich bei Enttäuschungen an die eigene Nase fassen. Denn die Menschen um uns herum können weder hellsehen noch hexen. (Obwohl Apothekenmitarbeiter, in Bezug auf die Wünsche ihrer Kunden, sehr nah dran sind.) Deswegen ist bei Beschwerden über Kollegen die Frage hilfreich: „Hast du ihr denn gesagt, was du dir wünschst und auch erklärt, wie wichtig es für dich ist?“
Unrealistische Wünsche
Auch die Anforderungen, die wir an uns selbst stellen, können überzogen sein. Eine Prüfung zu bestehen, ohne zu lernen, kann funktionieren, muss es aber nicht. Dass die Menschen um einen herum sich zu einem Top-Team formen, ohne das etwas dafür getan wird, ist extrem unwahrscheinlich. Glauben, hoffen und wünschen reichen nicht aus.
Falsche Versprechen
Ganz anders ist es, wenn wir vorsätzlich hinters Licht geführt werden. Wer eine Führungsposition versprochen bekommt, die im letzten Moment doch an jemand anderen vergeben wird, fühlt sich betrogen. Treueschwüre, Heiratsversprechen ‒ die Liste der Versprechen, bei denen etwas schieflaufen kann, ist endlos und gleichzeitig sind sie der Stoff, aus dem Hollywoodstreifen gemacht sind. Enttäuschungen gehören zum Leben dazu. Sie markieren krisenhafte Wendepunkte, die es zu überwinden gilt.
Ende der Täuschung in Phasen
Manchmal begleitet uns vor einer Enttäuschung schon ein ungutes Gefühl, manchmal erwischt sie uns aus heiterem Himmel. Kein Wunder, dass die erste Reaktion meist einem Schock ähnelt. Im Nachhinein sagt man über diesen Moment oft: „Ich wusste überhaupt nicht, was ich sagen sollte.“ Nach und nach setzen sich Trauer oder Wut durch. Im Grunde genommen ist Enttäuschung eine Sekundär-Emotion, die sich aus den Primär-Emotionen Trauer und Überraschung zusammensetzt. Oft hören wir den Betroffenen sagen: „Der ist für mich gestorben.“ Besonders wenn es um jemanden ging, der dem Betroffenen nahestand. Enttäuschung kann Verlust bedeuten oder das Platzen von Träumen und Wünschen. Das bedeutet, dass die Trauer durchlebt und abgearbeitet werden muss. Das braucht Zeit und kostet Kraft. Trauerarbeit muss geleistet werden, auch wenn es gerade nicht passt. Diese Phase kann nicht übersprungen werden, sonst fallen einem die Auswirkungen immer wieder auf die Füße und die Überwindung und damit die Heilung wird deutlich schwieriger.
Genauso, wie wir andere Fähigkeiten im Laufe unseres Lebens lernen, muss auch Trauern gelernt werden. Verena Kast, Prof. Dr. phil. Psychologin und Psychotherapeutin, Professorin an der Universität Zürich beschreibt die Trauer als einen Prozess, der in vier Phasen verläuft und Chancen beinhaltet.
- 1. Trauerphase: Nicht-Wahrhaben-Wollen. Die erste Phase wird von dem Schock dominiert, der sich u. a. in Erstarrung, Verzweiflung, Hilflosigkeit oder Kontrollverlust äußern kann. Diese Phase kann wenige Stunden bis mehrere Wochen dauern.
- 2. Trauerphase. Aufbrechende Emotionen. Leid, Schmerz, Wut, Zorn ‒ die Gefühle treten in der nächsten Phase ans Licht. Welche Gefühle aufkeimen, ist sehr individuell und von der Situation abhängig. Die Phase wird begleitet von Hadern, Schuldgefühlen, Fragen, Zweifeln und Vorwürfen. Die Dauer kann bei dem Verlust eines Menschen von ein paar Wochen bis zu mehreren Monaten dauern. Für den Alltag: Wenn das nächste Mal der Sturm der Wut einer Kollegin über Sie hinwegfegt, versuchen Sie es mal mit der Perspektive: „Oh, Sie verarbeitet gerade eine Enttäuschung“, anstatt zu sagen: „So lasse ich nicht mit mir reden“. Fühlt sich nicht nur anders an, sondern die folgenden Gespräche werden anders und wahrscheinlich auch positiver verlaufen.
- 3. Trauerphase: Suchen und Sich-Trennen. Auf den Verlust reagieren wir mit der Suche nach Erinnerungen. Je mehr gefunden wird, was weitergegeben werden kann, umso leichter fällt die Trennung von einem geliebten Menschen. Wenn wir nach einer Enttäuschung etwas finden, was wir lernen konnten oder wenn wir einen Nutzen daraus ziehen können, fällt das Überwinden leichter.
- 4. Trauerphase: Neuer Selbst- und Weltbezug. In der vierten Phase kehrt der innere Frieden zurück. Das Leben geht weiter und es wird klar, dass man selbst dafür die Verantwortung trägt, ob das eigene Leben so wird, wie man es sich vorstellt. Neue Pläne werden geschmiedet auf Basis des gewonnenen Erfahrungsschatzes.
Wieder handlungsfähig zu werden und gestärkt und weiser aus der Situation hervorzugehen ist das Ziel. Wer resigniert oder alle seine Erwartungen über Bord wirft, überwindet nicht, sondern flüchtet sich in eine Opferrolle. Eine Haltung, die auf Dauer lähmt und einen krank machen kann.
Wunden brauchen Zeit, um zu heilen
Enttäuschungen haben auch etwas Gutes. Ein häufiger Kommentar ist wohl, dass eine Enttäuschung zumindest das Ende der Täuschung darstellt. Viel entscheidender scheint jedoch, dass sie zum Leben dazugehören und Enttäuschungen zum persönlichen Wachstum führen. Die Erfahrung verbessert die Menschenkenntnis und macht uns reifer und emotional intelligenter. Enttäuschungen bringen uns dazu, unsere Intuition zu schärfen, und gezielter Fragen zu stellen. Wir bemühen uns mehr, unser Gegenüber besser kennenzulernen und sind aufmerksamer, ob Versprechungen auch eingehalten werden.
Wie sich Enttäuschungen am besten überwinden lassen, hängt vom Auslöser ab und folgt nicht zwingend einem strengen Schema. Hilfreich kann sein:
- Akzeptieren und Trauern. Enttäuschungen sind lebensübliche Entwicklungsmöglichkeiten. Als Erstes gilt es, die Enttäuschung und die damit verbundenen Emotionen zu akzeptieren. Die bereits beschriebene Trauerarbeit muss geleistet werden.
- Reflexion. Die Umstände zu hinterfragen, ist meist sehr aufschlussreich. Wie kam es zu dieser Enttäuschung? Hat jemand ein falsches Spiel getrieben? Waren die Erwartungen unrealistisch? War die Situation vertrackt oder stressig oder wurde ein wunder Punkt getroffen, den die andere Person nicht kennen konnte? Gespräche mit guten Freunden oder Partnern können bei der Bearbeitung helfen. Sie bieten oft einen anderen Blick auf die Situation, der für das Verstehen hilfreich ist.
- Enttäuschung mitteilen. Alles ist besser, als die Enttäuschung in sich hineinzufressen. Erklären Sie dem anderen, dass Sie enttäuscht sind und warum. Das bietet die Chance, die eigenen Erwartungen noch einmal klar zu formulieren, was vielleicht bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht oder nicht deutlich genug passiert ist. Im Austausch lässt sich das Handeln des Gegenübers besser verstehen. Fragen Sie, wie es dazu kam? Seien Sie neugierig, manche Situationen sind extrem vertrackt. Tipp: Wer aufrichtige Antworten möchte, sollte den Gesprächspartner zuvor nicht mit Vorwürfen verschrecken.
- Verzeihen, wo es nur geht. Beim Verzeihen geht es nicht darum, dass der andere sich wieder besser fühlen kann oder weitermachen kann wie bisher. Verzeihen gibt uns selbst die Möglichkeit mit einer Sache abzuschließen und uns davon zu lösen. Wir brauchen uns nicht länger damit zu beschäftigen. Die Menschen um uns herum machen Fehler. Einige ihrer Fehler verstehen sie selbst nicht, andere bedauern sie und von einigen Fehlern werden sie nie erfahren, weil sie nie zur Sprache kommen werden. Jeder macht Fehler, aber das bedeutet noch lange nicht, dass man sich von den Fehlern anderer viele Wochen und Monate des Lebens vermiesen lassen muss. Nachdem wir uns sortiert haben und klar wurde, was uns verletzt hat, dürfen wir uns aus den alten Verstrickungen befreien und aktiv den Entschluss fassen zu verzeihen. Loslassen und Mitgefühl, Großzügigkeit und Wohlwollen leben tut uns gut.
- Ausheilen lassen. Enttäuschungen können schmerzhaft sein und wie Wunden brauchen sie Zeit zum Heilen. Nehmen Sie sich die Zeit! Häufen sich Enttäuschungen, sollten Konsequenzen folgen. Nicht jeder Mensch oder Job tut uns gut. Ein Abschied kann dann eine gute Wahl sein.
Erwartungen anpassen
Eine häufig genannte Strategie für den Umgang mit Enttäuschungen ist die Anpassung der Erwartungen. Bei überzogenen Erwartungen kann das sinnvoll sein. Allerdings braucht diese Intervention das richtige Maß. So ganz ohne Erwartungen macht das Leben keinen Spaß. Schließlich hält die Vorfreude auf ein Ereignis viel länger an als das Erlebnis an sich. Besser ist, eine Haltung in die Richtung zu entwickeln: „Es wird nicht in jedem Fall gut laufen, aber wenn ich nichts vom Leben erwarte, läuft es wahrscheinlich zu 100 Prozent nicht so, wie ich es mir wünsche.“
Mit Erwartungen, Zielen und Wünschen formen wir unser Leben. Wir müssen aber nicht an dem Glauben festhalten, dass unser Leben nur glücklich verläuft, wenn sich unsere Erwartungen erfüllen. Vielleicht sind die sich bietenden Alternativen viel wunderbarer. Es ist ein bisschen wie flirten. Wir treffen jemanden, das Gespräch läuft gut, aber einen Kaffee, Tee oder Cocktail schlägt derjenige aus. Jetzt kann man sich in Selbstzweifel stürzen oder erkennen, dass es nur eine von vielen wunderbaren Möglichkeiten war.
Enttäuschungen im Unternehmen
In Unternehmen entwickeln sich manchmal besondere Dynamiken durch die Enttäuschung einer einzigen Person. Die Schuldzuweisungen werden lauter. Für die Führungskraft stellt sich der Konflikt meist sonderbar dar, was die Moderation schwierig macht.
Der deutsche Logiker und Wissenschaftstheoretiker Prof. Dr. Matthias Varga von Kibéd greift in seinen SySt®-Ausgleichsprinzipien die ökonomische Definition des Schuldbegriffs auf. (Die SySt®-Prinzipien zur Arbeit mit sozialen Systemen ist umfangreich und vielschichtig, deswegen soll hier der Fokus auf diesem einzelnen Aspekt liegen.) Die Schuld im ethischen Sinn zu betrachten mit den Fragen „Was ist richtig? Was ist falsch?“, führt unweigerlich zu einer Wertung. Die Schuld im ökonomischen Sinn der „Schulden“, eines unausgeglichenen Kredites, wertet nicht, sondern fordert nur einen Ausgleich. Das Entscheidende, also der eigentliche Ausgleich, liegt in der Anerkennung, dass ein Ausgleich von Nöten ist, also der Ausgleichsverpflichtung.
Ein Beispiel: Nach einem stressigen Tag kann sich die Leitung nicht mehr konzentrieren und verlässt das Team in einem Meer von Kisten mit Ware ohne jede Verabschiedung oder einen Kommentar. Das erste Mal wird beim Team sicher zu Verwunderung führen. Wiederholt sich das Schauspiel wird sich Verärgerung breit machen: „Wegen dem stehen wir hier immer bis halb acht. Er könnte ja mal mit anfassen.“ Die Leitung hat im ökonomischen Sinn einen Kredit aufgenommen, den es auszugleichen gilt. Dabei gibt es einiges zu beachten:
- Variante 1: Würde die Leitung jetzt sagen: „Ich weiß nicht, was ihr wollt“, und damit nicht anerkennen das ein Ausgleich notwendig ist, verstärkt sich das Problem.
- Variante 2: Ebenso wenig ergibt sich ein Ausgleich, wenn die Leitung sagen würde: „Ich weiß zwar nicht, was ihr wollt, aber ich lasse euch für das nächste Mal ein bisschen Schokolade da.“ Es wird eine Ausgleichsleistung angeboten, die eigentliche Anerkennung fehlt jedoch. Der bittere Beigeschmack, den die Situation hatte, verstärkt sich.
- Variante 3: Ganz anders verhält es sich, wenn die Leitung sagt: „Ich bin jetzt einige Mal früher gegangen und habe nicht mit angefasst, damit alle schnell nach Hause kommen (Anerkennung der Ausgleichsverpflichtung). An diesen Abenden ging es mir wirklich schlecht, weil wir einen Todesfall in der Familie hatten, der mich sehr mitnimmt. Ich wäre keine große Hilfe gewesen. Tatsächlich bin ich froh gewesen, überhaupt gut zu Hause angekommen zu sein. Danke, dass ihr euch darum gekümmert habt, dass hier alles ordentlich weiterläuft.“
Der Dank stellt die Ausgleichsleistung dar, die zwingend nach der Anerkennung erfolgen sollte. Sofern die Ausgleichsleistung ausbleibt, wird damit die Anerkennung wieder aufgehoben. Gerne kann natürlich der Dank auch mit Schokolade versüßt werden, aber darauf kommt es nicht zwingend an. Generell muss kein Eins:Eins-Ausgleich geschehen. Die Leitung muss nicht zwingend an einem anderen Tag alle pünktlich nach Hause schicken und ganz alleine aufräumen. Dank, Aufrichtigkeit, die Hilfe an anderer Stelle ‒ das alles können Ausgleichsleistungen sein.
Wissen um Ausgleich in Teams wichtig
Insgesamt sollte die Anerkennung für besondere Tätigkeiten immer eine Spur großzügiger erfolgen und der Tadel für Fehlverhalten zurückhaltender als erwartet ausfallen. Wenn im Unternehmen der wertschätzende Umgang bemängelt wird und nicht so ganz klar wird warum, dann ist es hilfreich zu schauen, ob die Reihenfolge von Anerkennung der Ausgleichsverpflichtung und Ausgleichsleistung eingehalten wird bzw. alle Teilschritte erfolgen. In einigen Teams gibt es ein selbstverständliches Wissen um die Notwendigkeit von Ausgleich, der in der Teamkultur etabliert ist. Ist das nicht der Fall, lässt sich Kultur dahingehend erweitern, für ein angenehmeres Arbeiten mit weniger Enttäuschungen.
Literatur
[1] Bundesverband Deutscher Bestatter e. V., www. https://www.bestatter.de/wissen/trauerhilfe-und-trauerbewaeltigung/trauerarbeit/; Stand 07/2024
[2] Ferrari, E.: Teamsyntax. Teamentwicklung und Teamführung nach SySt®, 2. erweiterte Auflage 2013, FERRARIMEDIA, Aachen
[3] Keck, A.: Mit Kränkungen gelassen umgehen. AZ 2021, Nr. 7, S. 6, Deutscher Apotheker Verlag
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