Rückblick anlässlich der Gründung vor 75 Jahren

Das Apothekenwesen in der DDR

03.10.2024, 07:00 Uhr

Im Schaufenster der Schillerapotheke in Dresden wird internationale medizinische Hilfe der DDR dokumentiert. (Bild von 1986; IMAGO / Bernd Friedel)

Im Schaufenster der Schillerapotheke in Dresden wird internationale medizinische Hilfe der DDR dokumentiert. (Bild von 1986; IMAGO / Bernd Friedel)


Vor gut 75 Jahren, am 7. Oktober 1949, wurde die DDR gegründet und damit die Teilung Deutschlands endgültig vollzogen. Wir nehmen das zum Anlass, einen Blick auf das dortige Apothekenwesen zu werfen. 

Ziel dieses Staates war es, einen Sozialismus nach sowjetischem Vorbild aufzubauen. Zugleich fühlte man sich mehr als im anderen Teil Deutschlands auch dem Antifaschismus verpflichtet. Dennoch konnte man in der DDR als ehemaliges Mitglied der NSDAP, wenn man wieder in die staatstragende Partei, die SED, eintrat, sogar Rektor einer Universität werden. Die DDR war aber zugleich eine Diktatur nach sowjetischem Vorbild und ein Unrechtsstaat

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Der vornehmlich naturwissenschaftlich ausgerichtete Beruf des Apothekers erschien jungen Leuten weniger stark ideologisch geprägt. Er bot ein gewisses Maß an Unabhängigkeit, so dass man – auch ohne Mitglied der SED zu sein – Karriere machen konnte, wie das Beispiel des späteren Kreisapothekers von Rostock Dr. Hans Feldmeier zeigt, der kürzlich seinen 100. Geburtstag feierte [1]. Im Apothekenwesen zählten häufig fachliche Kenntnisse und organisatorische Fähigkeiten mehr als Parteizugehörigkeit. Dennoch erlebte auch das Apothekenwesen zahlreiche Veränderungen, die im Folgenden geschildert werden sollen

Verstaatlichung des Apothekenwesens

Nach 1945 wurden nur die Apotheken von Besitzern, die in die Westzonen geflüchtet waren, enteignet [2]. Die 1949 erlassene „Verordnung über die Neuregelung des Apothekenwesens“ erlaubte ein Nebeneinanderbestehen von Landes-, Poliklinik-, Betriebspoliklinik-, Krankenanstalts-Apotheken und solchen in Privatbesitz [3] (s. Abb. 1). Damit erloschen zwar „vererbliche und veräußerliche sowie persönliche Apothekenbetriebsrechte, einschließlich der auf Rechten dieser Art beruhenden Witwen- und Waisenrechte“. Aber Apotheken in Privatbesitz konnten dennoch weiter betrieben werden [4]. Diese mussten aber von ihren Besitzern selbst geleitet werden. 

Foto: C. Friedrich
  Abb. 1: Poliklinik-Apotheke in den 1960er-Jahren

Bereits 1947 hatte die sowjetische Militäradministration die Errichtung von Polikliniken angeordnet, in denen nur angestellte Ärzte tätig waren. Viele dieser Polikliniken erhielten eigene Apotheken, die vom Träger der Einrichtung betrieben wurden und die ein angestellter Apotheker leitete. Schon kurz nach Gründung der DDR befanden sich von den insgesamt 1696 Apotheken 428 in staatlichem Besitz (s. Abb. 2). Die Kontrolle der Apotheken wurde gemäß der „Verordnung über die Neuregelung des Apothekenwesens“ vom 6. September 1949 einem Kreisapotheker übertragen, der Leiter einer Landes- oder Poliklinik-Apotheke sein musste.

1952 löste man die Länder auf, und es entstanden statt­dessen 15 Bezirke (einschließlich Ost-Berlin). Anstelle der bisherigen Landesgesundheitsministerien gab es nun bei jedem Rat des Bezirkes eine Abteilung Gesundheitswesen, die ein Bezirksarzt leitete. Diesem stand ein Bezirksapotheker als Verantwortlicher für das Apothekenwesen zur Seite. In den 229 Kreisen und Stadtkreisen lösten Kreisärzte die Amtsärzte ab. Für das Apothekenwesen zeichnete ein Kreisapotheker verantwortlich [5].

Foto: C. Friedrich
 Foto: C. FriedrichAbb. 2:Eingang einer neuen Apotheke in Lütten Klein

In der Folgezeit bemühte man sich, weitere Apotheken in Staatseigentum zu überführen. Spätestens nach dem Tod des Besitzers mussten Privatapotheken, sofern seine Kinder nicht approbierte Apotheker waren, verstaatlicht werden. Um das Weiterbetreiben von Privatapotheken zu verhindern, wurde diesen Kindern, da die Vererbung nur in direkter Linie an einen approbierten Apotheker möglich war, häufig der Besuch der Erweiterten Oberschule oder die Möglichkeit, Pharmazie zu studieren, verwehrt. Eine Verstaatlichung zu Lebzeiten erfolgte offiziell auf freiwilliger Basis. Jedoch wurde permanent ein „sanfter Druck“ auf Privatapotheker ausgeübt [6]. Die 1951 erlassene „Verordnung über die Alters­versorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstle­rischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen“ sicherte angestellten Apothekern im staatlichen Apothekenwesen eine überdurchschnittliche Altersversorgung zu. Für Apothekenbesitzer war hingegen eine Rentenversicherung vor 1971 nicht möglich. Staatliche Apothekenleiter wurden 1959 in das Gehaltsabkommen für Ärzte und Zahnärzte aufgenommen und erhielten ein relativ gutes Einkommen, um sie wie andere hochqualifizierte Fachleute damit zum Bleiben in der DDR zu veranlassen [7]. Ihr Einkommen unterschied sich nur wenig von dem aufgrund eines sehr hohen Steuersatzes stark beschnittenen Gewinn der Privatapotheker. 1955 gewährte man ehemaligen Apothekenbesitzern sogar 50% der durchschnittlichen Jahresumsätze der Jahre 1906 bis 1938 als „Entschädigung für erloschene vererbliche und veräußerliche Apothekenbetriebsrechte“ [8].

Private Apotheken wurden zudem häufig bei der Belieferung mit Arzneimitteln benachteiligt, insbesondere bei solchen, die einer zentralen „Lenkung“ unterlagen. Hierzu zählten Arzneimittel der sogenannten „Nomenklatur C“, die nur von Fachärzten verschrieben werden durften. Das waren meist westliche Importe oder neu eingeführte Präparate der DDR-Produktion. So verwundert es nicht, dass schon 1960 in der DDR nur noch 12% der Apotheken privat betrieben wurden. Insgesamt überlebten nur 26 Privatapotheken das Ende der DDR (s. Abb. 3), die mit Standhaftigkeit und häufig besonderen pharmazeutischen Leistungen als „Inseln im Staatssystem“ in der Arzneimittelversorgung ihren Platz behielten. 1984 wurde mit einer „Anordnung über private Apotheken“ ihre Stellung gesetzlich geregelt [9].

Foto: C. Friedrich
Abb. 3: Die Ratsapotheke Greifswald wurde bis zum Ende der DDR weiter als Privatapotheke betrieben.

Zentralisierung im Apothekenwesen

 

1964 sollte in jedem Kreis eine zentrale Apothekenbuchhaltung eingerichtet werden, die die Abrechnungsarbeiten für alle Apotheken übernahm. In den folgenden Jahren begann man in vielen Kreisen auch mit einer zentralen Herstellung von Augenarzneien und weiteren galenischen Zubereitungen im Defektur- und Großmaßstab, womit die Bildung einheitlicher Versorgungsbetriebe eingeleitet wurde [10]. 1970 entstand in Mühlhausen der erste „Versorgungsbetrieb für Pharmazie und Medizintechnik“. Der noch im gleichen Jahr in Lübben/Luckau im Bezirk Cottbus gegründete Versorgungsbetrieb stellte einen ersten Zusammenschluss des Apothekenwesens von zwei und nach Anschluss des Kreises Calau 1975 von drei Kreisen dar und war Vorbild für weitere, Kreisgrenzen überschreitende Vereinigungen [11]. Anfang der 1970er-Jahre entstanden weitere Versorgungsbetriebe in Magdeburg, Frankfurt/Oder und Hagenow (Bezirk Schwerin). Diese sollten eine einheitliche Planung des Arzneimittelbedarfs in Kreisen und Bezirken erleichtern. Zugleich wollte man damit die Apotheken, die überwiegend von parteilosen Pharmazeuten geleitet wurden, in das strenge Regime eines sozialistischen Großbetriebs zwängen, in dem sich die führende Rolle der SED leichter durchsetzen ließ. Diese zunächst als „Experiment“ gedachten Zentralisierungsmaßnahmen fanden 1984 in der „Verordnung über die Aufgaben der Apotheken und die Organisation des Apothekenwesens“ ihre gesetzliche Fixierung [12].

Verhältnis Arzt – Apotheker

Die mit großem Aufwand in den Pharmazeutischen Zentren betriebene Bedarfsermittlung, bei der man für jedes Arzneimittel den Verbrauch der letzten Jahre zugrunde legte und so die tendenzielle Bedarfszu- oder -abnahme ermittelte, erwies sich als sehr störanfällig. Exportaufträge der pharmazeutischen Industrie der DDR, die wegen permanenter Devisenknappheit Vorrang hatten, aber auch Lieferschwierigkeiten der Zulieferbetriebe der Pharmaindustrie, etwa für Verpackungsmaterial, führten zu Verzögerungen oder Ausfällen, zeitweise gab es bis zu 10 Prozent Defekte. Mit der Verlagerung der Bedarfsermittlung in die Pharmazeutischen Zentren und Bezirksapothekeninspektionen in den 1980er-Jahren wurde ein schnelles Reagieren auf Veränderungen, wie etwa wechselnde ärztliche Verordnungen nach Kongressen, aber zusätzlich erschwert. Diese Leitungsebenen hatten sich häufig von der „Apothekenbasis“ entfernt und konnten Veränderungen erst später wahrnehmen, so dass das System immer unbeweglicher und uneffektiver wurde [13]. Hier lieferten verantwortungsbewusste Apotheker, wie der Rostocker Kreisapotheker Dr. Hans Feldmeier in seinen legendären Arztinformationen, neben Mitteilungen über neue Arzneimittel Vorschläge zur Substitution, was das Verhältnis zwischen Apotheker und Arzt positiv beeinflusste [14] (s. Abb. 4).

Foto: C. Friedrich
Abb. 4: Der Rostocker Kreisapotheker Dr. Hans Feldmeier bei einem Vortrag vor der Scheele-Gesellschaft

Anders als häufig in der Bundesrepublik war es ein gleichberechtigtes Verhältnis auf Augenhöhe. Da die finanziellen Angelegenheiten der Apotheken in das Fachgebiet Ökonomie des Pharmazeutischen Zentrums ausgelagert worden waren, verfolgten angestellte Offizinapotheker keine finanziellen Interessen. Sie waren als Fachleute für Arzneimittel ebenbürtige Partner des Arztes. Das zeigt auch, dass man in den Apotheken nicht von Kunden, sondern wie der Arzt von Patienten sprach [15]. Neben einer guten Zusammenarbeit der Kollegen untereinander war die mit den Ärzten, die von den Apothekern abhängig und für Informationen dankbar waren, besonders erfolgreich.

Ersatzproduktion in Pharmazeutischen Zentren

In der Abteilung Arzneimittelherstellung wurden nicht nur Defekturarzneimittel hergestellt, sondern auch für nicht lieferbare Fertigarzneimittel eine Ersatzproduktion organisiert. Wie der thüringische Apotheker Helmut Wittig ausführte, wurden „Salben in Tonnenmengen, Zäpfchen zu Tausenden, Augentropfen, Infusionslösungen, bis hin zu von Bandagisten nebenan genähten Leinensäcken, die wir mit Heilschlamm füllten“ produziert [16]. Es gab also eine quasi semiindustrielle Herstellung im Apothekenwesen, um die Patienten trotz Lieferengpässen zu versorgen.

Daneben existierte eine enge Zusammenarbeit in den Therapiekommissionen der Bezirke und Kreise. Hier bemühten sich Ärzte und Apotheker gemeinsam um die Standardisierung ärztlicher Verordnungen, damit arbeitsintensive individuelle Rezepturen auf das unbedingt notwendige Minimum reduziert werden konnten. Die von den Therapiekommissionen, in denen der Kreis- bzw. Bezirksapotheker meist als Sekretär wirkte, erarbeiteten Empfehlungen galten als verbindlich, und die Ärzte wurden aufgefordert, sich daran zu halten [17].

Epilog

Häufig wird von ehemaligen DDR-Bürgern die Meinung vertreten, dass in der DDR nicht alles schlecht war. Dies lässt sich sicher auch für das Apothekenwesen bestätigen. Die Apotheker der DDR können trotzdem überwiegend als „Wende-Gewinner“ gelten. Das im Vergleich zur Bundesrepublik um zwei Semester längere Studium mit Diplomabschluss stellte sie gleichberechtigt neben andere Naturwissenschaftler. Sehr viele Pharmazeuten hatten zudem noch eine Fachapothekerausbildung absolviert. Von ihrer guten Aus- und Weiterbildung profitierten sie, als sie nach 1990 die Möglichkeit erhielten, ihre Apotheken privat zu betreiben. Ihr in der Mangelwirtschaft erworbener Pragmatismus und ihr Improvisationsvermögen erleichterten ihnen den Schritt in die ­Privatisierung. Tugenden wie das gute Verhältnis zu den Ärzten wurden weiter gepflegt und ermöglichten eine erfolgreiche Entwicklung ihrer Apotheken. So wundert es nicht, dass viele Apothekerinnen und Apotheker aus der ehemaligen DDR inzwischen einen geachteten Platz im bundesdeutschen Apothekenwesen einnehmen und auch verantwortungsvolle Ämter in Kammern, Vereinen sowie in der ABDA übernahmen.

Literatur

 [1] Friedrich C. Die Apotheke von innen gesehen. Apothekerautobiographien aus zwei Jahrhunderten. Eschborn 1995, S. 133 – 139

 [2] Albrecht K. Die Geschichte der Apotheken der Stadt Magdeburg von den Anfängen bis zum Jahre 2001, Nat wiss. Diss. Halle 2000

 [3] Eichhorn A, Schröder J. Zeittafel zur Geschichte der Pharmazie in der Deutschen Demokratischen Republik (1945 – 1989), Berlin 1989 (Informationsdienst für Apotheker, Beilage 1989), S. 24

 [4] Friedrich C. Privatapotheken in der ehemaligen DDR: Inseln im Staatssystem. In: Pharmazeutische Zeitung 137 (1992), 1035 – 1039

 [5] Friedrich C, Müller-Jahncke W-D. Geschichte der Pharmazie. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart (Geschichte der Pharmazie / R. Schmitz 2), Eschborn 2005, S. 964 – 969

 [6] Friedrich C. [wie Anm. 4]

 [7] Autorenkollektiv. 30 Jahre Entwicklung zu einem sozialistischen Arzneimittel- und Apothekenwesen in der Deutschen Demokratischen Republik. In: Pharmazeutische Praxis 34 (1979), 193 – 245

 [8] Friedrich [wie Anm. 4], S. 1037

 [9] Friedrich, Müller-Jahncke [wie Anm. 5], S. 967f.

[10] Lürmann, H. G, 470 Jahre Apothekenwesen Neubrandenburg, [Teterow 2001] (Manuskript)

[11] Domeinski H. Zur Entwicklung des demokratischen Apotheken­wesens im Lande Thüringen (1945 bis 1949). In: Pharmazeutische Praxis 37 (1982), 147 – 150, Eichhorn /Schröder [wie Anm. 3], S. 64 f.

[12] Friedrich C, Müller-Jahncke W-D. [wie Anm. 5], S. 969f., Schneidewind, U. Entwicklung und Aufgaben der materiell-medizinischen Versorgung bis 1985. In: Pharmazeutische Praxis 37 (1982), 95 – 103

[13] Friedrich C, Müller-Jahncke W-D. [wie Anm. 5], S. 972 – 974, Vater U, Friedrich C. [Hrsg.]. Die Entwicklung des Apothekenwesens in der DDR. Jena /Quedlinburg 2010, S. 14

[14] Feldmeier H. Neues zum Apotheker-Patient-Verhältnis. Gedanken, Erfahrungen, Analysen, in: Pharmazeutische Praxis 38 (1983), 160 – 164

[15] Fürtig W. Kooperation zwischen Arzt und Apotheker, eine neue Qualität in der Arbeit. Ein Beitrag zur Erhöhung der Qualität und Effektivität der Arbeit im Gesundheitswesen. In: Pharmazeutische Praxis 41 (1986), 213 – 215, Friedrich, C. Ein subjektiver Blick auf das Verhältnis von Arzt und Apotheker. In: Pharmazeutische Zeitung 147 (2002), 3046 – 3050

[16] Persönliche Mitteilung von H. Wittig vom 15. Januar 2020

[17] Feldmeier H, Junge N. Möglichkeiten und Einflussnahme auf territoriale Pharmakotherapie durch Verbrauchsstatistik und überregionale Vergleiche. In: Pharmazeutische Praxis 36 (1981), 186 – 188, Retzar, A. Erfassung und Bewertung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Ein Beitrag zur Arzneimittelsicherheit in der DDR. Stuttgart 2016 (Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie; 108), S. 329 – 335


Prof. Dr. Christoph Friedrich


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