Graumarktstudie

Sildenafil & Co. – auf dubiosen Webseiten präsent wie eh und je

Berlin - 15.11.2024, 16:45 Uhr

Arzneimittel gegen erektile Dysfunktion aus illegalen Quellen fliegen bei Zollkontrollen immer wieder auf. (Foto: IMAGO / IP3press)

Arzneimittel gegen erektile Dysfunktion aus illegalen Quellen fliegen bei Zollkontrollen immer wieder auf. (Foto: IMAGO / IP3press)


Mittel gegen erektile Dysfunktion gehören in Europa zu den am häufigsten beschlagnahmten Arzneimittelfälschungen. Eine aktuelle Studie hat ausgemacht, dass 82 Web-Shops Sildenafil & Co. in deutscher Sprache feilbieten, ohne dass sie ins Versandhandelsregister eingetragen sind; 67 verlangen überdies kein Rezept. Wäre ein OTC-Switch eine Lösung?

Vor rund zehn Jahren – zwischen 2014 und 2016 – wurden in einem interdisziplinären Forschungsprojekt, an dem unter anderem die Universität Osnabrück beteiligt war, die Auswirkungen der Liberalisierung des Internethandels in Europa auf die Arzneimittelkriminalität (ALPhA) untersucht. Darin waren Arzneimittel zur Behandlung von erektiler Dysfunktion besonders aufgefallen – als ein Schwerpunkt der illegalen Online-„Apotheken“, die nach Deutschland versenden.

Nun haben Beteiligte dieses Forschungsverbunds im Auftrag der Viatris-Gruppe – deren Unternehmen auch Arzneimittel gegen erektile Dysfunktion anbieten – eine weitere Studie zum aktuellen Stand illegaler Internetangebote angeknüpft. Die Ergebnisse wurden diesen Donnerstag vorgestellt.

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Grundsätzlich, so konstatieren die Studienautoren um Professor Arndt Sinn vom Zentrum für Europäische und Internationale Strafrechtsstudien (ZEIS) an der Universität Osnabrück und Professor Martin Steinebach vom Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie (SIT), ist das Ausmaß des illegalen Arzneimittelhandels kaum zu bestimmen. Sie verweisen aber auf einen Bericht der World Customs Organisation (WCO): Demnach wurden 2022 insgesamt 192,1 Tonnen illegaler Arzneimittel beschlagnahmt. Auch wenn die Anzahl der Beschlagnahmen von 11.794 im Jahr 2021 auf 5.399 im Jahr 2022 (- 54 Prozent) zurückging, stieg die Menge der illegalen Arzneimittel um 80 Prozent.

Strenge rechtliche für den legalen Versand

Dieser Markt floriert also neben dem legalen Arzneimittelversandhandel, der in Europa (Fälschungsschutzrichtlinie!) und Deutschland bekanntlich an zahlreiche rechtliche Voraussetzungen geknüpft ist – im Interesse der Patientensicherheit. Erlaubt ist er zum Beispiel nur Apotheken mit entsprechender Erlaubnis und es ist der Eintrag in ein Versandhandelsregister nötig. Doch darum kümmern sich die illegalen Anbieter wenig. Und sie finden offensichtlich die passenden Kunden, die die Medikamente gerne ohne persönlichen Arzt- und Apothekenkontakt erhalten möchten. 

So wurde im Graumarkt gesucht

Wie genau lief nun die Studie ab? Wie es in einer Pressemitteilung heißt, wurde das im Projekt ALPhA eingesetzte Computerprogramm (Crawler) technisch und rechtlich aktualisiert und erneut eingesetzt. Wie ein potenzieller Kunde stelle es mittels Schlüsselwörtern Anfragen an verschiedene Suchmaschinen und erfasse automatisch die relevanten Internetangebote. Diese würden dann automatisiert vorab analysiert, ob sie tatsächlich rezeptpflichtige Medikamente zur Behandlung von erektiler Dysfunktion illegal anböten. Denn auch ohne die Präparate selbst zu prüfen, lasse sich aus der Nichteinhaltung der strengen Sicherheitsvorschriften auf ein stark erhöhtes Gefährdungspotenzial durch illegale Arzneimittel schließen, erläuterte Steinebach.

Das wurde entdeckt

Auf diesem Wege identifizierten die Forschenden – auf den deutschen Sprachraum begrenzt – 89 auffällige Online-Präsenzen, die weder im Versandhandelsregister eingetragen noch das EU-Versandhandelslogo mit Verlinkung in das Register führten. 82 von ihnen boten in Deutschland rezeptpflichtige Medikamente zum Versand, 67 Plattformen verlangten dabei kein Rezept. 15 Anbieter boten verschiedene Verfahren zur Rezeptausstellung, wobei aber nur einer klar ausgeführt habe, dass ein Rezept eingereicht werden müsse. Der größte Teil der Shops werde in Ländern außerhalb der EU und nur zwölf in Deutschland gehosted. 52 hatten IP-Adressen aus USA.

Bemerkenswert aus Sicht der Studienautoren ist, dass sich acht Jahre nach den Forschungsarbeiten im Projekt ALPhA wenig geändert hat: weder bei den Methoden zur Produktwerbung noch beim Sicherheitsbewusstsein. „Die Kurzstudie lässt den Schluss zu, dass die mit der Fälschungsrichtlinie verbundene Hoffnung, illegale Angebote im Internet durch die im Online-Versandhandel obligatorisch gewordenen Sicherheitsmerkmale zurückzudrängen, sich nicht erfüllt hat. Die Angebote sind zahlreich vorhanden. Der illegale Markt scheint weiterhin attraktiv zu sein, weil sich die begünstigenden Faktoren nicht geändert haben: eine undurchsichtige Rechtslage, niedriger Kontrolldruck, geringes Entdeckungsrisiko und hohe Gewinnmargen“, so die Autoren.

Simon von Boeselager, Leiter des Deutschlandgeschäfts der Viatris-Gruppe Deutschland, zieht aus der Studie folgendes Fazit: Männer, die entsprechende Medikamente über dubiose Kanäle beziehen, sind gefährdet. Und so sei es schon aus Gründen der Patientensicherheit von großer Bedeutung, Betroffenen mit einer erektilen Dysfunktion zu einem leichteren Zugang zur Behandlung zu verhelfen. „Einer der Wege dahin kann der OTC-Switch sein, womit Patienten die Medikation niedrigschwellig in der Vor-Ort-Apotheke ihres Vertrauens erwerben können und dabei zusätzlich noch von der dortigen Beratungskompetenz profitieren.“


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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