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Arzneimittel und Therapie
Die Tricks des Denguevirus: Wie sich ein gefährlicher Krankheitserreger in Zell
Viren sind äußerst simple Lebewesen, und ihre Vermehrung hängt wesentlich von zwei Schlüsselereignissen ab: der erfolgreichen Einschleusung in eine lebende Zelle und der richtigen Aktivierung des zelleigenen Syntheseapparats, um neue Kopien des Virus herzustellen. Die initiale Bindung auf der Zelloberfläche - meist an einen spezifischen Rezeptor - entscheidet, welches Körpergewebe bzw. welches Organ vom Virus befallen wird und damit auch, welche Art von Krankheit resultiert. Nur wenn die molekularen Mechanismen der Virus-Zell-Interaktion bekannt sind, lassen sich Medikamente entwickeln, die eine Infektion a priori verhindern oder die Ausbreitung des Virus auf andere Körperzellen einschränken können. Auch die Entwicklung von Impfstoffen am "molekularbiologischen Reißbrett" setzt voraus, daß diejenigen Oberflächenstrukturen bekannt sind, die dem Virus das Anbinden an die Zelle ermöglichen. Für einen besonders gefährlichen Krankheitserreger, das Denguevirus, wurde der Bindungsmechanismus vor kurzem entschlüsselt.
Glycosaminoglycane als Rezeptoren? Basierend auf früheren Beobachtungen, daß Denguevirus-Hüllproteine sowohl an Zelloberflächen als auch an das zwischen den Zellen liegende Strukturgewebe, die sogenannte Matrix, binden, identifizierten Forscher jetzt jene Moleküle, an die sich das Virus ankoppelt. Wenn ein Viruseiweiß sowohl an eine Zellwand wie an die Matrix andocken kann, so die Überlegung der Virusforscher, dann muß es sich um Rezeptoren handeln, die ubiquitär im Gewebe vorkommen. Der Verdacht richtete sich auf sogenannte Glycosaminoglycane (GAGs), komplex aufgebaute und negativ geladene Zuckermoleküle, die sich häufig mit Eiweißen verbinden.
Heparansulfat: "Sesam-öffne-dich" Diese heterogene Gruppe von langkettigen Zuckern sind an Zell-Zell-Interaktionen sowie Zellteilungsvorgängen beteiligt. Zu den am häufigsten vorkommenden GAGs gehört Heparansulfat, ein Mukopolysaccharid, das in nahezu allen Körpergeweben vorhanden ist. Nicht verwunderlich, daß sich zahlreiche Mikroorganismen just das Heparansulfat als "Sesam-öffne-dich" ausgesucht haben, um in eine Zelle einzudringen, darunter das Herpes- und das Zytomegalievirus. Auch sich intrazellulär vermehrende Bakterien wie Listerien und Neisserien benutzen Heparansulfat als Rezeptor. Vielleicht, so die Vermutung der Virusforscher Dr. Chen und seinen Kollegen, benutzt das Denguevirus einen ähnlichen "Schlüssel".
Mit einer ganzen Palette virologischer und molekularbiologischer Techniken gelang es den Forschern, eindeutig nachzuweisen, daß das Denguevirus tatsächlich Heparansulfat benutzt, um an die Zelloberfläche zu binden. Allerdings werden Heparansulfat-Moleküle bevorzugt, die sehr viele Sulfatgruppen enthalten. Die besondere Affinität des Hüllproteins zu hochsulfatiertem Heparansulfat könnte erklären, warum das Denguevirus vorwiegend B-Lymphozyten, Freßzellen, Knochenmarkstrukturzellen und Leberzellen infiziert. Diese Zelltypen haben nämlich besonders stark sulfatiertes Heparansulfat auf ihrer Oberfläche.
Eindringen in zwei Etappen Das Eindringen des Denguevirus in diese Zellen verläuft allerdings in zwei Etappen. Zusätzlich zu Heparansulfat muß die Zielzelle auch einen sogenannten Hochaffinitätsrezeptor für das Denguevirus aufweisen, in den der Erreger wie in einen Kelch eintaucht. Anschließend verschwinden Virus und Kelch dann gemeinsam in einem Endozytose genannten Vorgang im Zellinneren. Auch wenn die Bindung des Denguevirus an den Hochaffinitätsrezeptor die letzten Endes entscheidende Etappe für das erfolgreiche Eindringen des Virus in eine Zelle ist, kommt dem Heparansulfat eine Schlüsselfunktion zu: Ohne den ersten Schritt kann der zweite erst gar nicht beginnen.
Neues Prinzip zur Behandlung? Die Richtigkeit dieser Überlegung zeigten die Wissenschaftler durch ein weiteres Experiment. Gab man zu einer Lösung winziger, mit gentechnisch hergestelltem Denguehüllprotein beschichteter Kügelchen Heparin, so konnte das Hüllprotein nicht mehr an menschliche Zielzellen binden. Heparin, das ebenfalls eine sehr starke Affinität für das Hüllprotein besitzt, hatte sämtliche virusseitigen Bindungsstellen besetzt, so daß keine "Antennen" mehr frei waren, die sich mit der Zelloberfläche hätten verbinden können. Da die Hüllproteine aller Flaviviren sehr ähnlich sind, eröffnet sich hier unter Umständen ein neues Prinzip zur Behandlung, das dann beispielsweise auch bei einer Gelbfieberinfektion wirksam wäre.
Spielen noch weitere Rezeptoren eine Rolle? Eine wichtige Frage des Denguefiebers konnte durch die Forschungsarbeiten allerdings nicht gelöst werden. Wird ein Mensch ein zweites Mal von einem Denguevirus des gleichen oder eines anderen Serotyps befallen, so kommt es häufig zu Krankheitskomplikationen, die unter dem Namen Dengue hämorrhagisches Fieber bzw. Dengue-Schock-Syndrom bekannt sind. Während das normale Denguefieber zwar eine hochfieberhafte und langwierige Erkrankung ist, die allerdings immer ausheilt, führen die beiden anderen Krankheitsformen trotz Behandlung häufig zum Tode. Ob hier andere Rezeptoren auf der Zelloberfläche als Heparansulfat eine Rolle spielen, müßte dringend abgeklärt werden.
Quelle Chen, Y., et al. Nature Med. 3, 866-700 (1997).
Prof. Dr. med. Hermann Feldmeier, Berlin
Denguefieber Das Denguefieber wird durch vier verschiedene, eng verwandte Virustypen ausgelöst. Die Infektion mit einem Virustyp schützt nicht vor späteren Infektionen mit einem anderen Typ. Denguevirus-Infektionen kommen derzeit in 100 Ländern in Amerika, Afrika, Südostasien, im Westpazifik und im östlichen Mittelmeerraum vor. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation erkranken jährlich etwa 50 Millionen Menschen an einem Denguefieber, 500000 müssen stationär behandelt werden. Auch in Europa hat die Zahl der eingeschleppten Fälle zugenommen. Während beispielsweise im Hamburger Tropeninstitut 1995 nur 136 Fälle diagnostiziert wurden, waren es 1996 bereits 371. 1997 stieg die Zahl auf annähernd 1000.
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