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DAZ-Interview: Theurer: Apotheker und Arzt müssen enger zusammenrücken
? Herr Dr. Theurer, auf der jüngsten Beiratssitzung des Landesapothekerverbands am 21.April in Stuttgart willigten Sie ein, noch vor Ablauf Ihrer Amtsperiode, nämlich auf der Mitgliederversammlung des LAV am 6.Mai 1998 in Baden-Baden, den Vorsitz des LAV an Ihren Vizepräsidenten Herrn Becker zu übergeben, um dann selbst die Funktion des Vizepräsidenten einzunehmen. Für Außenstehende kam dieser Wechsel sicher überraschend und plötzlich. Was waren Ihre Beweggründe hierfür, was sind die Hintergründe? Theurer: Nun, im Hintergrund steht mein Vorsatz, Ende 1999 endgültig aus der Berufspolitik im Land Baden-Württemberg auszusteigen. In Eschborn werde ich dann allerdings noch ein Jahr länger mitarbeiten, bis ich mich dann endgültig aus der Berufspolitik zurückziehen werde. Ich habe bereits bei meiner Wahl vor zweieinhalb Jahren angekündigt, daß dies meine letzte Amtsperiode sein wird. Und ich sagte auch, daß ich im Laufe dieser Amtszeit die Verbandsaufgaben sukzessive an meinen designierten Nachfolger abgeben werde. Der vorgeschlagene Ämtertausch wurde übrigens am 7.Februar vom Vorstand einstimmig gut geheißen.
? Warum aber der vorzeitige Wechsel? Sie hätten doch auch als Präsident bis zum Ende dieser Wahlperiode fungieren können. Theurer: Der Wunsch einiger Kollegen Ende November letzten Jahres zum vorzeitigen Wechsel kam auch für mich ein wenig überraschend, da ich außer dem Titel "Präsident" und den damit verbundenen repräsentativen Aufgaben alle Landesangelegenheiten an Fritz Becker wie vereinbart abgegeben hatte. Nach einem Gespräch mit einem der Kollegen, der diesen Wechsel anregte, machte ich klar, daß ich mir durchaus vorstellen könnte, das Amt des Vizepräsidenten des LAV Baden-Württemberg zu übernehmen, um weiterhin bei der ABDA - berufspolitisch abgesichert - tätig zu sein. Damit habe ich die Informationen des Apothekerverbands und kann damit in Eschborn die Funktion eines "Past-President" einnehmen.
? Anders ausgedrückt: Sie wollen sich mit dem vorzeitigen Wechsel auch Freiräume schaffen? Theurer: Natürlich ist dies auch mit ein Beweggrund, Entlastung beim Landesverband und dafür verstärktes Einbringen in Eschborn zu erreichen. Sie wissen selbst, wir bekommen im Moment von allen Seiten Ärger, vor wenigen Tagen erst hat uns das Gerichtsurteil des Europäischen Gerichtshofs getroffen. Wer weiß, ob die derzeitige deutsche Sozialversicherung unter diesen Vorgaben überhaupt eine Zukunft haben wird, wenn es dann möglich ist, daß man sich auch im Ausland versichern kann.
? Herr Dr. Theurer, kommen wir zurück auf Ihre berufspolitische Laufbahn. Wie lange haben Sie beim beim Landesapothekerverband Baden-Württemberg aktiv mitgearbeitet? Theurer: 1970 bin ich als Beirat in den damaligen Apothekerverein Württemberg eingetreten. Bei der Zusammenlegung mit dem Badischen Apothekerverein im Jahre 1977 wurde ich dann Stellvertreter von Herrn Eberhard. Nach zehn Jahren Stellvertretung wählte man mich zum Vorsitzenden bzw. zum Präsidenten des Apothekerverbands. Der Namenswechsel vom Vorsitzenden zum Präsidenten war seinerzeit übrigens auch ein Ausdruck unserer jungen Mannschaft, die meinte, daß es auf der ganzen Welt keine Vorsitzenden gibt, sondern nur Präsidenten.
? In den letzen Jahren habe ich Sie als sehr aktiven und engagierten Berufspolitiker kennengelernt. Da kann ich mir gut vorstellen, daß man aus der Position des LAV-Präsidenten mit gemischten Gefühlen ausscheidet. Trifft dies für Sie zu? Theurer: Dies trifft auch für mich zu. Ich habe mich ja 1970 dazu entschlossen, statt der Hochschullaufbahn in die Berufspolitik einzusteigen. Zur Berufspolitik gebracht wurde ich durch den früheren Vereinsvorsitzenden und späteren Kammerpräsidenten von Baden-Württemberg, Erich Buck, der mich seinerzeit eigentlich dazu überreden wollte, Kammerpräsident zu werden. Ich habe mich allerdings im Verband sehr wohl gefühlt. Ich habe mich mit meinem Team sehr gut verstanden, mit den früheren Vorständen kam es zu einer sehr loyalen Zusammenarbeit. Diese Loyalität hat mich bewogen, beim Verband zu bleiben.
? Unter Ihrer Präsidentschaft hat sich der LAV Baden-Württemberg zu einem sehr dynamischen und aktiven Apothekerverband in Deutschland entwickelt. Was waren denn aus Ihrer Sicht die Höhepunkte, die Sie in Ihrer Amtszeit initiieren konnten und die den Verband dazu gebracht haben, was er heute ist? Theurer: Natürlich waren es nicht nur meine Ideen, sondern die Ideen unseres Teams. Der Höhepunkt unserer früheren Tätigkeit war der Kontakt zu Herrn Morf aus Zürich. Mit ihm haben wir seinerzeit zusammen mit der Kammer das Pharmazeutische Informationszentrum aufgebaut. Wir konnten einen wissenschaftlichen Beirat etablieren mit bekannten und hochangesehenen Pharmakologen und Ärzten. Ich bin heute noch der Meinung, daß dieses Informationszentrum mit seinen monatlichen Informationen an alle Apotheken und wenige Tage später an die Tagespresse uns sehr bekannt gemacht hat. Dies sehe ich als einen Höhepunkt an. Die Aktivitäten, die danach kamen, fallen unter die Kategorie Marketing, vorangetrieben durch unsere aktive Mannschaft mit Frau Wahl, den Herren Narr, Beck, Geiß und Felger. Diese junge Mannschaft baute seinerzeit das Marketingkonzept auf, eine vollkommen andere Richtung zum Pharmazeutischen Informationszentrum, eine Richtung, die zum Teil auch von den alten Vorständen abgelehnt wurde. Ich persönlich hielt diese Richtung allerdings für wichtig, es war ein zweites Standbein für den Apotheker. Mein Credo war dabei immer, den GKV-Anteil am Umsatz auf unter 50% zu bringen, um nicht mehr so abhängig von den Krankenkassen zu sein. Nach meiner Meinung wäre eine gesunde Umsatzmischung ein Drittel GKV, ein Drittel Privatrezepte und ein Drittel Selbstmedikation.
? Der Landesapothekerverband Baden-Württemberg hat sich bekanntlich immer mit Zukunftsfragen des Apothekerberufs befaßt. Welche Richtung wird denn Ihrer Meinung nach das Berufsbild des Apothekers einschlagen? Theurer: Die Zukunft wird sicherlich in Richtung Pharmaceutical Care, vielleicht sogar in Richtung Therapeutical Care gehen. Möglicherweise bin ich hier meinen Leuten ein wenig zu weit voraus. Ich meine nämlich, der Apotheker könnte eine Leitfunktion im Gesundheitswesen übernehmen, Ansprechpartner für alle Befindlichkeitsstörungen zu sein. Er müßte so gut ausgebildet sein, daß er weiß, wo seine Grenzen sind und ab wann er den Patienten zum Arzt schicken muß. Der Apotheker könnte nach meiner Auffassung also als kleiner "Barfußarzt" fungieren. Damit würde er auch die GKV stark entlasten. Es ist doch heute so, daß etwa 60 bis 80% der Patienten, die einen Allgemeinarzt aufsuchen, an Befindlichkeitsstörungen leiden. Der Apotheker könnte die Therapie der Befindlichkeitsstörungen viel günstiger übernehmen. Allerdings muß er die Verantwortung dafür übernehmen und gegebenenfalls den Patienten in ernsteren Fällen zum Arzt schicken. Dieser Aufruf zum Einmischen in ärztliche Tätigkeiten wird mir natürlich von Ärzten übelgenommen. Leider haben die Apotheker nicht den Mut, diese Ansicht energisch zu vertreten. Überhaupt bin ich der Ansicht: Der Apotheker muß sehr viel mehr Verantwortung übernehmen als heute. Und, das muß man deutlich sagen, er muß einen Teil seiner Freizeit opfern, um sich ständig fortzubilden und um sein Wissen auf dem laufenden zu halten. Ich bin übrigens auch bekannt als Anhänger der Pflichtweiterbildung für den Apothekenleiter. Der Ausschuß Weiterbildung bei der ABDA war auch mehrheitlich für eine Einführung einer Pflichtweiterbildung. Leider hat jedoch der ABDA-Gesamtvorstand dieses Votum nicht angenommen.
? Müßte dann nicht auch das Weiterbildungsgesetz derart geändert werden wie es die Sachsen getan haben, nämlich Weiterbildung in der eigenen Apotheke, damit die Weiterbildung auch den Leitern ermöglicht wird? Theurer: Das ist selbstverständlich richtig.
? Plädieren Sie dann auch für eine Pflicht-Fortbildung? Theurer: Auf jeden Fall. Ich meine, wenn sich jemand dazu entscheidet, Apotheker zu werden, dann erwarte ich von ihm, daß er sein Wissen immer auf dem neuesten Stand hält. Er kann dies zum Beispiel auch mit einer guten Fachzeitschrift tun, aber er muß sie auch lesen.
? Herr Dr. Theurer, welchen Platz räumen Sie in Zukunft der Klinische Pharmazie ein? Theurer: Ich würde es begrüßen, wenn generell jeder Offizinapotheker mindestens ein halbes Jahr in einer Krankenhausapotheke tätig wäre. Außerdem müßte es gesetzlich vorgeschrieben sein, daß der Apotheker an der Krankenhausvisite teilnimmt, wie es bereits in vielen Staaten der USA der Fall ist. Normal wäre es nach meiner Meinung, wenn der Arzt die Diagnose stellt und die Therapie vorschlägt, Arzt und Apotheker diskutieren über die Auswahl des Arzneistoffs und der Apotheker legt Dosis und Wirkstärke fest und kontrolliert die Einnahme. Derart ausgebildete Apotheker, davon bin ich überzeugt, würden auch Pharmaceutical Care und Therapeutical Care in ihrer Offizinapotheke einsetzen. Der Apotheker könnte sich auf diesem Weg wirklich unentbehrlich machen.
? Soweit die Seite des Heilberuflers Apotheker. Schauen wir uns die Seite des Kaufmanns Apotheker an. Wo wird hier die Richtung hingehen? Theurer: Ich hoffe, daß sich die Apotheke in Richtung eines Gesundheitszentrums entwickelt. Dies bedeutet, daß sie Dienstleistungen auf allen Gebieten anbietet, auch in den Bereichen Ernährung Freizeit, Wellness, Kosmetik. Wenn wir hier Marktanteile gewinnen, dann wird natürlich auch das Arzneimittel nicht mehr so sehr im Mittelpunkt stehen und weniger zum Gesamtumsatz beitragen müssen. Dies würde das Bild der Apotheke ein wenig ändern, was aus meiner Sicht allerdings nicht tragisch wäre. Nach meiner Einschätzung werden wir auf Dauer die Arzneimittelpreisverordnung nicht halten können, allenfalls im Bereich der verordneten Arzneimittel. Im OTC-Bereich wird sie vermutlich wegbrechen.
? Herr Dr. Theurer, eine ehrenamtliche Tätigkeit fällt weg. Wofür werden Sie die frei gewordene Zeit nutzen? Haben Sie hier schon Pläne? Theurer: Zum einen werde ich die freie Zeit nutzen, die Apotheke zur Übergabe an meine Tochter vorzubereiten, zum andern möchte ich mich meinem "zweiten Hobby" zuwenden, nämlich den sozialen Gebieten. Ich bin, wie Sie vielleicht wissen, stark engagiert bei der Arbeiterwohlfahrt. Außerdem war ich 1975 Gründungspräsident bei Lions und bin seit Jahren im Führungsteam. Diese beiden sozialen Schienen möchte ich in Zukunft ausbauen.
? Und was wünschen Sie sich für die deutsche Pharmazie der Zukunft? Theurer: Eine engere Zusammenarbeit von Arzt und Apotheker. Ein Traum wäre für mich, wenn Arzt und Apotheker schon während des Studiums bestimmte Vorlesungen gemeinsam besuchen. Es wäre sehr sinnvoll, wenn beide Berufsgruppen z. B. die Grundausbildung gemeinsam absolvieren. Beide Heilberufler würden bereits von Anfang an lernen, miteinander zu reden. Dies würde letztendlich eine vollkommen neue Partnerschaft zwischen beiden Berufsgruppen ergeben. Und meine zweite Zukunftsvision: ein soziales Jahr für alle, damit jeder in jungen Jahren, noch vor dem Studium, sieht, welches Elend in dieser Welt, ja in ihrem unmittelbaren Umfeld, existiert.
! Herr Dr. Theurer, ich wünsche Ihnen für die weiteren Jahre noch sehr viel Engagement in der Berufspolitik und hoffe, daß sich wenigstens einige Ihrer zukunftsweisenden Ideen in naher oder ferner Zukunft erfüllen werden. Vielen Dank für das Gespräch!
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