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Managed Care: Eine Chance für die Apotheke?

HEIDELBERG (diz). Über neue Versorgungsstrukturen in unserem Gesundheitswesen wird derzeit intensiv diskutiert. Meistens spielen jedoch bei diesen Diskussionen die Apotheker keine Rolle. Ein gesundheitspolitisches Forum, veranstaltet von Landesapothekerkammer und Landesapothekerverband Baden-Württemberg sowie der PZ, versuchte die Chancen für die Apotheker in einem Gesundheitswesen, das nach Managed-Care-Gesichtspunkten geführt wird, auszuloten. Auf dem Podium diskutierten - unter der Moderation von Dr. Hartmut Morck - Dr. Klaus Meyer-Lutterloh, Vorsitzender des Bundesverbands Managed Care, Gerhard Schulte, Vorstandsvorsitzender des Landesverbands der Betriebskrankenkassen Bayerns und ehemaliger Mitarbeiter im Bundesgesundheitsministerium, Rolf Reher, Gesundheitspolitik Bayer Vital, Manfred Sandau, Selbsthilfegruppe Neurodermitis, und Fritz Becker, Präsident des Landesverbands Baden-Württemberg.

Eine abschließende Definition, was genau unter Managed Care zu verstehen ist, gibt es bisher nicht. Der Begriff umfaßt eine Vielzahl struktureller Sachverhalte, die das US-Gesundheitssystem bisher verändert haben. Am ehesten könne man von einer "geführten Versorgung" des Patienten durch Arzt und Krankenkasse sprechen, hieß es zu Beginn der Diskussionsrunde. Ziel von Managed Care sei es, neben der Kostensenkung im Gesundheitswesen vor allem Umstrukturierungen zu erreichen, mit der die Qualität der medizinischen Versorgung langfristig gesichert werden könne. Bisher sei noch nicht deutlich geworden, welche Rolle der Apotheker in einem Managed-Care-System spielen sollte.

Vernetzung heißt die Lösung Nach Auffassung von Meyer-Lutterloh seien Mängel in unserem Gesundheitswesen heute offensichtlich. Die Segmente Hausarzt und Krankenhaus seien zu stark voneinander abgegrenzt, die Informationsflüsse seien mangelhaft, es gebe kaum eine sektorübergreifende Steuerung der Abläufe. Nach Auffassung des Vorsitzenden des Bundesverbands Managed Care (der Verband wurde Ende 1997 gegründet) werden in unserem Gesundheitswesen noch zuviele Ressourcen verschwendet. Die Lösung könnte in einer Vernetzung der verschiedenen Sektoren bestehen. Erste Strukturveränderungen in dieser Richtung seien z.B. die Praxisnetze. Managed Care in Deutschland müsse mit dem hiesigen System kompatibel sein, es gelte, eine "europäische Variante" zu entwerfen. So sei Managed Care in Deutschland eher als ein Prozeß zu verstehen, um den Nutzen der beschränkt vorhandenen Mittel im Gesundheitswesen zu optimieren. Angestrebt werde also der Patient im Praxisnetz, in dem ein Arzt den Patienten durch das Netz führt. Die in einigen Bundesländern bestehenden Bonusverträge haben nach Ansicht von Meyer-Lutterloh nichts mit Managed Care zu tun, denn gerade bei Managed Care werde eine sektorale Budgetierung aufgehoben.

Keine Angst vor Managed Care Meyer-Lutterloh versuchte den Apothekern die Angst zu nehmen, durch Managed-Care-Elemente kämen Umsatzverluste auf die Apotheken zu. Apotheker sollten aktiv versuchen, in Managed-Care-Strukturen mitzuarbeiten und die dadurch gebotenen Möglichkeiten auszuloten. Vorstellbar wäre, die Rolle des "Apothekers im Netz" anzustreben, der sich am pharmakotherapeutischen Management mitbeteiligt. Meyer-Lutterloh rief dazu auf, die Apotheker sollten sich auf neue Formen und Akteure einstellen, der Bundesverband Managed Care biete hierzu Hilfestellung und Foren zur Vorbereitung von operativen Allianzen an.

Apotheker "nur als Berater"? Den Ansichten von Meyer-Lutterloh stimmte Gerhard Schulte, BKK-Landesverband Bayern, rundum zu. Mit Managed-Care-Elementen könnten Versorgungsabläufe im Gesundheitswesen optimiert werden, sie trügen zu einem besseren Umgang mit den Ressourcen bei. Leider habe der Gesetzgeber bisher nur vorsichtig Möglichkeiten zugelassen, wie sich Leistungserbringer und Krankenversicherer im deutschen Gesundheitswesen den Managed-Care-Ideen annähern könnten. Vor allem gebe es bisher noch keine gemeinsamen Verträge zwischen Krankenhäusern, kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen. Ansätze von Managed Care sieht Schulte in Deutschland z.B. in den in Berlin angelaufenen Praxisnetzen, einem Verbund von Ärztepraxen mit dem Ziel, Abläufe zu verbessern und Kosten einzusparen. Für die Versicherten sei es bisher freiwillig, sich in ein solches Netz zu begeben. Nach seiner Ansicht sollten allerdings die Versicherten, die dies tun, Vorteile bekommen, z.B. einen ermäßigten Beitragssatz. Schulte räumte ein, daß der Apotheker im Spektrum von Managed-Care-Überlegungen bisher noch keine große Rolle spiele, dies sei dem Erfolg oder Mißerfolg - je nach Sichtweise - der Standespolitiker der Apotheker zu verdanken, monierte er. Denn bisher habe man hier alles getan, um den Arzneimittelbereich aus Erprobungsformen herauszuhalten. Schulte beklagte außerdem die festgefahrenen Preisstrukturen und fragte, ob sie nicht auch ein Ansatzpunkt für Wirtschaftlichkeitüberlegungen sein könnten. Denn für die Krankenkassen stelle sich die Frage: Warum sollte man Apotheker mit ihren Apotheken in Netz einbinden, wenn der Preis für Arzneimittel in allen Apotheken gleich sei. Wenn überhaupt, so denke man an den Apotheker in Zusammenhang mit Praxisnetzen nur als Berater. Denn nach Auffassung von Schulte ist die heutige Honorierung der apothekerlichen Leistung über den Arzneimittelpreis in unserem Gesundheitswesen ein Hindernis, den Apotheker in Managed-Care-Systeme einzubinden. Vor diesem Hintergrund stellten die Krankenkassen lieber selbst separate Beratungsapotheker ein. Denkbar wäre sogar, daß ein Praxisnetz, wenn es groß genug ist, selbst einen angestellten Apotheker engagiert, der dann die Beratung in Arzneimittelfragen für dieses Praxisnetz übernimmt. Außerdem sollte man vor dem Hintergrund von Managed-Care-Ansätzen auch darüber nachdenken, wie die Handelsschienen aufzulockern seien. Europarechtlich sei dieses Gebiet bereits ins Wackeln gekommen. Warum sollte man also nicht auch über Versandapotheken nachdenken?

Industrie sollte Kassen beraten Managed Care stelle für ihn, Rolf Reher von der Abteilung Gesundheitspolitik Bayer Vital, die Suche nach effektiveren undifferenzierteren Versorgungsstrukturen dar. Zur Zeit befinde man sich erst im Anfangsstadium dieses Prozesses mit Strukturverträgen und Modellversuchen. Eine Zwischenbilanz falle derzeit eher vernichtend aus, da nach seiner Ansicht der Focus zu eng auf den Arzneimittelbereich gerichtet sei. Die Frage könne nicht sein, wie man bei Arzneimitteln spare, sondern wie man die Gesamtbehandlung optimiere. Man müsse sich von der sektoralen Betrachtung lösen und zur integrierten Betrachtung kommen. Bei Managed Care gehe es also auch um Qualitätssicherungsmaßnahmen und eine bessere Verzahnung von ambulanter und stationärer Behandlung. Auch Pharmaindustrie und Apotheker könnten gemeinsam neue Konzepte für integrierte Versorgungsansätze vorlegen. In Richtung Pharmaindustrie appellierte Reher, die Krankenkassen als Kunden zu begreifen und sie in Sachen Versorgungsmanagement zu beraten. In Planung sei beispielsweise ein von Bayer Vital ins Leben gerufenes "Focus diabeticus"-Projekt, bei dem Diabetiker, Facharztpraxen und die BKK Bayer eingebunden werden sollen. Dieses Leverkusener Netz solle zeigen, was ein Netz zu leisten imstande ist, ohne störende Einflüsse der Pharmaindustrie. Vorstellbar sei hier auch die Pharmazeutische Betreuung mit ärztlicher Therapiebegleitung. Bayer unterstütze die Apotheker auf diesem Gebiet.

Es gibt noch Einsparmöglichkeiten Kritik an der Bonner Gesundheitspolitik übte aus Patientensicht Manfred Sandau von der Selbsthilfegruppe Neurodermitis, Heidelberg. Gerade Neurodermitis-Patienten bedürften der ständigen Leistung von Arzt, Apotheker und Krankenkasse. Durch die Bonner Gesundheitspolitik sei einiges ins Wanken geraten, Ursachen seien die zum Teil nicht mehr übernommenen Kuren und die höheren Zuzahlungen ebenso wie Bonusverträge, bei denen Ärzte am Nichtverordnen verdienten. Gerade vor dem Hintergrund, daß chronisch Kranke "Koryphäenkiller" seien und ständig ihren Arzt wechselten, gebe es, so Sandau selbstkritisch, durchaus Einsparmöglichkeiten im Gesundheitswesen. Einsparungen dürften allerdings nicht zu Lasten des Patienten und der Qualität gehen. Den Apotheker nannte er als wichtigsten Ansprechpartner neben dem Arzt, der ihm kostenlos eine kompetente Beratung biete. Vernetzungs- und Dokumentationsansätzen stünden die Patienten nach seiner Einschätzung durchaus nicht ablehnend gegenüber, wenn ihnen einsichtig gemacht werde, daß ihnen damit effektiver geholfen werden könne.

Die Apotheker sind bereit, allerdings nicht zum Nulltarif Für viele, so vermutet Fritz Becker, Präsident des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg, sei Managed Care in Deutschland, besonders bei den Krankenkassen, zu einem Zauberwort geworden, mit dem sich alle Probleme schlagartig lösen ließen. Nur der Patient bzw. der Versicherte scheint bei der Diskussion ganz vergessen worden zu sein. So verstünden die Krankenkassen aus seiner Sicht unter Managed Care einzig und allein ein Instrument zur Kostenreduzierung und Machtsteigerung im Gesundheitswesen. Verbraucherverbände und die Apotheke verstünden dagegen unter Managed Care vor allem eine optimale und effiziente Betreuung und Versorgung von Versicherten und Patienten. Dabei dürfe allerdings Managed Care aus dem amerikanischen Gesundheitswesen nicht nach Deutschland transferiert werden, da die USA vollkommen andere Strukturen und kein gewachsenes Gesundheitssystem besitze. Für ihn stelle sich daher die Frage, ob es Sinn mache, ein an und für sich funktionierendes System zu zerstören oder mit Elementen zu vermischen, die in dieses System nicht paßten. Als Ausfluß von Managed Care nannte Becker die Strukturverträge und - die "abartigste Form" davon - die Bonusverträge. Bei allen diesen Strukturverträgen seien die Apotheker außen vor. Becker fragte, ob man kein Vertrauen mehr in die Leistungsfähigkeit der Apotheken habe. Zu den Angeboten der Apotheker gehörten beispielsweise die Arzneimittelauswahl, Pharmaceutical Care, Drug Monitoring, Intensivberatung und Präventionsberatung. Apotheker seien bereit, einen Beitrag zur Zukunftssicherung der gesetzlichen Krankenversicherung zu leisten, allerdings nicht zum Nulltarif und nicht als Prügelknabe von GKV und anderen Leistungserbringern.

Auch der Patient muß kooperieren Das Solidarsystem erfordere nicht nur den Beitrag des einzelnen, sondern gemeinsam von Gesunden und Kranken eine Solidarität im Verhalten, stellte Schulte in der Diskussion heraus. Managed Care strebe nicht nur eine bessere Kooperation von Arzt und Krankenhaus an, auch der Patient müsse zur Mitarbeit bereit sein. Als Negativbeispiel nannte Schulte die "Doktor-hopper". Der Patient müsse außerdem einer vernetzten Dokumentation seiner Krankheitsdaten und Gesundheitsleistungen zustimmen, um den Austausch dieser Daten unter den Leistungserbringern zu erleichtern und um eine bessere Koordination von Abläufen zu erreichen. Wenn solche Maßnahmen dem Patienten nützen, werde der Patient nach Ansicht von Sandau vernetzte Strukturen kaum ablehnen und sein Einverständnis zur Dokumentation geben. Becker stellte heraus, wo der Apotheker zu Einsparungen beitragen kann, z.B. durch Pharmaceutical Care, durch eine Verbesserung der Compliance. Untersuchungen hätten gezeigt, daß eine bessere Betreuung durch den Apotheker zu weniger Krankenhauseinweisungen geführt habe, da Krankheitsfälle aufgrund von schlechter oder von Non-Compliance ausblieben. Der Vorsitzende des Bundesverbands Managed Care, Meyer-Lutterloh, kann sich den Apotheker im Netz sehr gut vorstellen. Denn auch seiner Ansicht nach ist die Arzneimittelversorgung bei uns in vielen Punkten verbesserbar. Die Einbindung des Apothekers in Managed-Care-Projekte zugleich mit Honorarforderungen zu verbinden, hält Reher für politisch kontraproduktiv. Man sollte erst einmal versuchen, hier entsprechende Leistungen und Ergebnisse zu erreichen. Eine Honorierung des Apothekers hält Schulte für denkbar - wenn man wegkommt von einer pauschalen Honorierung. Solange die Beratungsleistung des Apothekers immer noch an den Arzneimittelpreis gebunden ist, dürfte sich hier wenig bewegen, so Schulte. Nach seiner Auffassung müßte der Apotheker also wegkommen von der Arzneimittelpreisverordnung und eine Honorierung erhalten, unabhängig vom Preis des abgegebenen Arzneimittels.

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