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Qualitätsstandards bei pflanzlichen Arzneimitteln
Als Experten und Repräsentanten unterschiedlicher Fachrichtungen auf dem Gebiet der Phytopharmaka waren Prof. Dr. Michael Habs, Dr. Willmar Schwabe Arzneimittel GmbH, Prof. Dr. Dieter Loew, Universität Frankfurt, und Prof. Dr. Reinhard Saller, Universität Zürich, geladen.
Zulassungsanforderungen
bei Phytopharmaka
Neben der Aufarbeitung der aktuellen Situation am Markt - bedingt unter anderem durch die noch nicht abgeschlossene Nachzulassung - sollten vor allem diejenigen Kriterien diskutiert werden, die sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus therapeutischer Sicht bei der Bewertung von Phytopharmaka Berücksichtigung finden müssen.
Die Zulassungssystematik bei Arzneimitteln fordert den Beleg der nachgewiesenen Wirksamkeit und der Unbedenklichkeit sowie der angemessenen (pharmazeutischen) Qualität des Produktes. Diese Kriterien gelten nicht nur für Präparate mit chemisch definierten Stoffen, sondern sind vom Grundprinzip her für alle Fertigarzneimittel anzuwenden und somit auch für Phytopharmaka relevant.
Durch die 5. AMG-Novelle wurde für einige Arzneimittel die Möglichkeit eröffnet, über ein vereinfachtes Verfahren die Zulassung zu erhalten. Dadurch kommt es bei Phytopharmaka zu einer Differenzierung zwischen solchen pflanzlichen Arzneimitteln, für die sowohl Wirksamkeit für die beanspruchte Indikation als auch Unbedenklichkeit belegt ist, und den für die "traditionelle Anwendung" zugelassenen Phytopharmaka, bei denen alleine auf ihre langjährige therapeutische Anwendung Bezug genommen wird. Diese Unterscheidung hat zur Folge, daß die auf dem Markt befindlichen Produkte zum Teil erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Dokumentation ihrer medizinisch-therapeutischen Eigenschaften aufweisen. In der Expertendiskussion wurde deutlich, daß im Sinne der Transparenz auf dem Arzneimittelmarkt eine für die Fachkreise jederzeit nachvollziehbare Abgrenzung zwischen den Produkten beider Richtungen wünschenswert sei. Erst diese Transparenz erlaubt den bewußten und gezielten Einsatz eines Phytopharmakons im Rahmen des angestrebten Behandlungsansatzes.
Nachweis des Therapieerfolges
Die Diskussion ließ aber auch erkennen, daß sich bereits der Begriff "Indikation", der üblicherweise bei der Beurteilung der Wirksamkeit von Arzneimitteln zugrunde gelegt wird, bei der Einordnung von pflanzlichen Präparaten als strittig erweist. Gerade Phytopharmaka werden häufig nicht nur bei einem definierten Symptomenkomplex eingesetzt, sondern auch bei sog. Befindlichkeitsstörungen, die jedoch oft mit erheblichen subjektiven Beschwerden für den Patienten einhergehen und somit sowohl aus ärztlicher Sicht als auch im Interesse des Patienten dringend einer medikamentösen Behandlung bedürfen. In diesem Zusammenhang wurde der Begriff "Behandlungsanlaß" in die Debatte eingebracht, ein Terminus, der der komplexen medizinischen Ausgangslage, die einer Therapie mit pflanzlichen Arzneimitteln häufig zugrunde liegt, möglicherweise besser gerecht wird.
Hinzu kommt, daß Phytopharmaka, mehr als die chemisch definierten Arzneimittel, z. T. von Ärzten aus sehr unterschiedlichen medizinischen Fachrichtungen angewendet werden. So werden diese Arzneimittel gleichermaßen in der klassischen "Schulmedizin" wie auch von den "besonderen" Therapierichtungen eingesetzt. Vor diesem Hintergrund können auch die seitens der jeweiligen Fachleute herangezogenen Kriterien für Wirksamkeit und Unbedenklichkeit durchaus recht unterschiedlich gelagert sein. An diesem Punkt stellt sich die Frage nach der "Definitionsmacht", der angesichts von zum Teil grundsätzlich unterschiedlichen Vorstellungen hinsichtlich der die "Wirksamkeit" und "Unbedenklichkeit" eines Arzneimittels prägenden Parameter entscheidende Bedeutung zukommt. Wichtig ist jedoch, daß unabhängig von der therapeutischen Intention und damit unabhängig von der Definition dessen, was unter "Wirksamkeit" im Einzelfall verstanden wird, der Beleg des für das jeweilige Phytopharmakon reklamierten Therapieerfolges erbracht und für die Zulassung nachvollziehbar dokumentiert werden muß.
Qualität von Phytopharmaka
Von entscheidender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit ein solcher Nachweis des therapeutischen Erfolgs auch innerhalb eines Produktes von Charge zu Charge sowie bei verschiedenen Präparaten, die Extrakte der gleichen Stammpflanze enthalten, von dem einen auf das andere Produkt übertragbar ist. "Inhomogenitäten" innerhalb einer Zubereitung von Charge zu Charge können z.B. durch von Jahr zu Jahr und gegebenenfalls von Anbaugebiet zu Anbaugebiet divergierende Inhaltsstoffanteile bedingt sein. Selbst bei weitgehender Standardisierung der Wuchsbedingungen kann die Qualität von Extrakten aufgrund der durch klimatische Schwankungen bedingten Unterschiede des Ausgangsmaterials beachtlich differieren.
Bei dem Vergleich verschiedener Fertigarzneimittel kommt zusätzlich dem Aspekt Bedeutung zu, daß diese Präparate Extrakte enthalten können, die nach unterschiedlichen Herstellungsverfahren gefertigt wurden. In diesem Zusammenhang ist neben dem Auszugsmittel auch das Droge/Extrakt-Verhältnis von Relevanz. Bis heute weitgehend unbeachtet ist darüber hinaus der Beitrag der galenischen Formulierung zur Wirksamkeit pflanzlicher Fertigarzneimittel. Hierbei spielen mögliche biopharmazeutische Unterschiede zwischen unterschiedlich hergestellten Tabletten oder Dragees eine wichtige Rolle. Am Markt sind häufig beachtliche Defizite in der Dokumentation der pharmazeutischen Qualität bei den einzelnen Produkten festzustellen.
Vor dem Hintergrund der besonderen Bedeutung des Extraktes als dem eigentlichen Wirkstoff der Phytopharmaka sowie dessen unterschiedlicher Zusammensetzung in Abhängigkeit vom Herstellungsverfahren und zum Beispiel von den klimatischen Wuchsbedingungen, stellt sich die Frage nach der Definition von angemessenen Qualitätskriterien für Extrakte, um auf diese Weise die Reproduzierbarkeit des Therapieerfolges zu gewährleisten. Da es sich bei Phytopharmaka im allgemeinen um Vielstoffgemische handelt, lassen sich die üblicherweise bei chemisch definierten Arzneimitteln angewandten Methoden zur Qualitätsüberprüfung oftmals nicht anwenden. Der Erarbeitung geeigneter Prüfkonzepte kommt daher eine wichtige Bedeutung zu. Im Rahmen der Routinequalitätskontrolle orientiert man sich dabei oftmals an bestimmten chemischen "Leitsubstanzen", die meist nicht mit dessen Wirksamkeit in ursächlichem Zusammenhang stehen. Während ein solches Vorgehen bei In-Prozeß-Kontrollen sowie ggf. auch noch für die Überprüfung von Gehalt und Dosiergenauigkeit bei Fertigprodukten geeignet erscheint, ist es für die biopharmazeutische Charakterisierung ebenso ungeeignet wie für die Untersuchung der Bioverfügbarkeit. Hier könnten nämlich z.B. an Leitsubstanzen mit hydrophilen Eigenschaften erhobene Befunde fehlleiten, wenn die eigentlichen wirksamkeitsbestimmenden Komponenten einen eher lipophilen Charakter haben.
Als alternative Verfahren werden inzwischen Konzepte diskutiert, nach denen die biopharmazeutischen Produkteigenschaften anhand eines gezielt ausgewählten Spektrums von Leitsubstanzen mit abgestuften physikalisch-chemischen Eigenschaften charakterisiert werden, die das gesamte Spektrum der im Extrakt enthaltenen Komponenten - also auch die bis dahin unbekannten wirksamkeitsbestimmenden Stoffe - abdecken. Für die Untersuchungen zur Bioverfügbarkeit wurde darüber hinaus auch die Messungen von pharmakodynamischen Effekten, die für die Wirksamkeit der Phytopharmaka relevant sind, vorgeschlagen. Bevor diese Konzepte jedoch in die Zulassungspraxis eingeführt werden können, müssen sie zunächst anhand einzelner konkreter Beispiele einer kritischen Prüfung auf Praktikabilität unterzogen werden.
"Generika"-Problematik
Bei dem Vergleich pflanzlicher Arzneimittel, die aus der gleichen Stammpflanze hergestellte Extrakte enthalten, spielen die dargestellten biopharmazeutischen Qualitätsaspekte eine besonders große Rolle. Dies gilt vor allem, wenn bei ihnen im Rahmen einer "bezugnehmenden" Zulassung ohne eigene klinische Studien auf die entsprechende Dokumentation des Erstanmelderpräparates Bezug genommen werden soll. Für solche pflanzlichen Generika ist sozusagen als "Brücke" zur klinischen Dokumentation des jeweiligen Erstanmelderpräparates der Nachweis einer analogen Extraktzusammensetzung sowie in vitro und in vivo vergleichbarer Eigenschaften der Darreichungsform obligatorisch. Nur so kann der für das Erstanmelderpräparat nachgewiesene Therapieerfolg auch für das Generikum postuliert werden.
Da bis heute ein Bioäquivalenznachweis bei pflanzlichen Arzneimitteln infolge der komplexen Zusammensetzung der Extrakte sowie der Tatsache, daß die wirksamkeitsbestimmenden Komponenten meist nicht bekannt sind, schwierig oder sogar unmöglich ist, müssen meist alternative Wege beschritten werden. Nach dem derzeitigen Stand von Wissenschaft und Technik bleibt hier oft nur der produktspezifische eigene Wirksamkeitsnachweis auch für das generische Arzneimittel, wobei auf die Erfahrungen mit den Studien des Erstanmelders hinsichtlich Studiendesign und -durchführung sowie der Eignung bestimmter klinischer Parameter hinsichtlich des angestrebten therapeutischen Erfolges aufgebaut werden kann.
Diese primär für die Zulassungssystematik relevanten Aspekte spielen zum Teil in der therapeutischen Praxis eine weniger bedeutende Rolle. Hier können nämlich Produktunterschiede durch eine am Therapieerfolg orientierte Dosierung in gewissen Grenzen ausgeglichen werden. Dies ist jedoch mit der Problematik behaftet, daß der Therapieerfolg bei Phytopharmaka häufig erst nach einer deutlichen zeitlichen Verzögerung erfaßt werden kann, so daß bei einem solchen Vorgehen Unter- oder Überdosierungen über einen längeren Zeitraum für den individuellen Patienten in Kauf genommen werden müssen. Ein solcher Weg ist folglich nur begrenzt akzeptabel und häufig auch unpraktikabel. Unstrittig ist dagegen, daß es sicherlich Indikationen und Therapiegebiete gibt, bei denen die biopharmazeutischen Eigenschaften der Präparate eine eher untergeordnete Rolle spielen.
Aufgrund der großen therapeutischen Breite der meisten Phytopharmaka ist häufig eine dosisabhängige Verträglichkeitsproblematik von geringerer Bedeutung. Vor diesem Hintergrund kann man im Einzelfall zu der Auffassung gelangen, daß ein sinnvolles Vorgehen zur Erfassung der Unbedenklichkeit im "Poolen" der anhand von verschiedenen Extrakten/Produkten gewonnenen Daten liegen könne. Dabei wird dann die Verträglichkeit generell bezogen auf die für die Produkte verwendete Arzneipflanze erfaßt und nicht bezogen auf den jeweiligen Extrakt oder die Darreichungsform. Ein solches Vorgehen ist sicherlich im begründeten Einzelfall zulässig.
Fazit
Als Ergebnis der Beratungen wurde festgehalten, daß von einer vergleichbaren Produktqualität bei Phytopharmaka nur ausgegangen werden kann, wenn weitgehende Analogie sowohl hinsichtlich der pharmazeutischen Aspekte wie Droge/Extrakt-Verhältnis und Eigenschaften der Formulierung als auch bezüglich der für den Therapieerfolg wesentlichen medizinischen Kriterien besteht. Dabei erfordern die Besonderheiten pflanzlicher Arzneimittel, d.h. ihre komplexe Natur und die Rohstoff-bedingten Schwankungen, sowie auch die verschiedenen einer Therapie mit Phytopharmaka zugrundeliegenden Behandlungsintentionen spezifische, auf die jeweilige Fragestellung zugeschnittene Prüfstrategien zum Nachweis der ordnungsgemäßen und zwischen den Produkten vergleichbaren Qualität.
Vor dem Hintergrund dieser Diskussionsergebnisse verabredete sich die Gesprächsrunde zu einer weiteren Veranstaltung, bei der die Vergleichbarkeit und Reproduzierbarkeit der pharmazeutischen Qualität von Phytopharmaka mit Extrakten der gleichen Stammpflanze und deren Therapieerfolg aufgearbeitet werden sollen. st
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