Sind Wechseljahrespräparate sexy?

Was hat ein Präparat gegen Wechseljahresbeschwerden der Frau mit Viagra für den Mann zu tun? Immerhin - beide wirken im weitesten Sinn auf die Sexualfunktion. Und damit ist dieser Vergleich so aufregend, dass Laienpresse, Funk und Fernsehen den Werbeslogan der Firma Organon für ihr neues Präparat Liviella® mit dem Wirkstoff Tibolon begeistert aufgenommen haben: -Viagra für den Mann - Liviella für die Frau in den Wechseljahren: Neue Dimensionen im sexuellen Erleben. Vor dem inneren (Laien-)Auge tun sich Heerscharen von Frauen auf, die sich dank der Segnungen der modernen Medizin wieder begeistert auf ihre(?) Männer stürzen. Hoffentlich sind die dann konditionell in der Lage, diesem Ansturm standzuhalten oder haben wenigstens Viagra zur Hand. Und hoffentlich funktioniert das dann auch - denn das -blaue Wunder wirkt ja bekanntlich nur bei sexuell erregten Männer. Da verspricht Liviella doch viel mehr: Nicht nur, dass eine Frau besser kann, weil die organischen Voraussetzungen wieder stimmen - nein, sie hat auch mehr Lust, und außerdem verbessern sich ihre Stimmungslage und ihr Wohlbefinden. Ob dafür allerdings ein Mann in der Nähe sein muss, wurde in den klinischen Studien nicht explizit ausgewertet. Vielleicht tut es auch der kleine Frosch oder Krokodil oder was auch immer dieses grüne Vieh im Ruderboot darstellen soll, das als Teil der Werbekampagne für das neue Präparat durch die Badewanne (?) oder gar den siebten Himmel düst und die Lebenslust der -neuen Frau im Liviella®-Zeitalter symbolisiert. Vielleicht kann man den ja gegen die Wand werfen, und dann kommt ein Prinz heraus und dann braucht man Liviella® gar nicht mehr...
Auch wenn es weniger sexy klingt: Tibolon ist eine ernstzunehmende Behandlungsoption für Frauen nach der Menopause. Klinisch nachweisbar lindert die Substanz Wechseljahresbeschwerden und hält den Verlust der Knochenmasse auf. Damit wirkt es umfassender als der neue sogenannte selektive Östrogenzeptor-Modulator Raloxifen, der nur als Osteoporoseprophylaxe wirkt, aber nicht gegen die Beschwerden hilft. Als angenehmer Nebeneffekt treten unter einer Behandlung mit Tibolon weniger vaginale Blutungen auf als unter einer herkömmlichen Hormontherapie, und auch Brustschmerzen sind seltener, möglicherweise ist sogar das Brustkrebsrisiko geringer. Welche Langzeitwirkungen Tibolon auf das Herz-Kreislauf-System hat, ist derzeit noch unklar: Tibolon beeinflusst die Blutgerinnung kaum, wodurch sich das Risiko für venöse Störungen erniedrigt. Die meisten Parameter des Lipidstoffwechsels werden günstig beeinflusst, unklar ist jedoch die Bedeutung der prognostisch ungünstigen Senkung des HDL-Cholesterins.
Bettina Hellwig