Berichte

Qualitätsmanagement in der Medizin

Interessante Einblicke in das Qualitätsmanagement in der Medizin vermittelte auch in diesem Jahr wieder das Lübecker Symposium "Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen”. Die Gemeinschaftsveranstaltung der Fachhochschule und der Medizinischen Universität in Lübeck fand am 25. und 26. November statt. Obwohl es inhaltlich überwiegend um Krankenhäuser ging und sogar auf Krankenhausapotheken nicht gesondert eingegangen wurde, dürften einige grundsätzliche Aussagen zum Qualitätsmanagement unmittelbar auf Apotheken übertragbar sein.

Zur Einführung demonstrierte Prof. Dr. Dr. Christian Köck, Witten-Herdecke, wie notwendig eine organisatorische und ökonomische Neuorientierung des gesamten Gesundheitswesens sei. Im althergebrachten Gesundheitswesen habe ein Krankenhaus den Charakter einer "totalen Organisation”, wie sonst Militär und Gefängnis. In einer solchen Organisation gibt der Mensch seine Individualität auf, unterwirft sich anderen Gesetzen und stellt andere Fragen als sonst. Doch könne das Gesundheitswesen diese Sonderrolle nicht länger behaupten.

Der Umbruch steht unmittelbar bevor Die technologische und die demographische Entwicklung erhöhen, so Köck, die Kosten des Gesundheitswesens. Durch erweiterte technische Möglichkeiten werden zudem immer mehr Handlungsgebiete in die Medizin integriert, z. B. in der Fortpflanzungsmedizin. Demgegenüber verringert sich die Finanzbasis des Gesundheitswesens. Begriffe wie Effektivität und Effizienz, aber auch Qualität und Kundenbedürfnisse gewinnen damit an Bedeutung. Durch mehr Marktwirtschaft, Wettbewerb, neue Aufgaben und veränderte Anreizsysteme dürfte die Medizin ihre ökonomische Sonderstellung verlieren. Während früher der Konsens "mehr ist besser” gegolten habe, stoße die Medizin nun an finanzielle Grenzen. Damit setze eine "kreative Zerstörung” ein, die aus anderen Wirtschaftsbereichen bekannt ist und zu einem vollkommen neuen Gesundheitssystem führen könne. Um die Radikalität des zu erwartenden Umbruchs zu beschreiben, benutzte Köck die Formulierung: "Es gibt zum Beispiel keinen wirklichen Grund, dass es Apotheken gibt.” - Die These blieb in dem überwiegend medizinisch geprägten Auditorium unwidersprochen. (Und dies, obwohl ein Widerspruch zur anschließend geforderten Kundenorientierung im Rahmen eines QMS deutlich wird. Anmerkung des Berichterstatters.)

QMS als Hilfe bei der Neugestaltung Als Instrument für die kreative Neugestaltung des Gesundheitswesens hält Köck das Qualitätsmanagement (QMS) für geeignet. Dessen Grundprinzipien seien Kundenorientierung, Prozessbezug, Datenbasierung und die Einbeziehung von Organisationsveränderungen als Methode des QMS. An der Organisation des bisherigen Gesundheitswesens sei besonders die Gliederung nach Berufsgruppen zu kritisieren, da die Behandlung von Patienten Teamarbeit erfordere, die sich nicht an Berufsgruppen orientiert. Denn der Patient komme nicht in "Scheibchen”, die jeweils unterschiedliche Fachgebiete und Berufe betreffen. Dieses Problem sei nicht durch die Bereitschaft zum Gespräch, sondern nur durch eine veränderte Organisation zu lösen.

Neue Unternehmenskultur gefragt Ein QMS erweise sich als sinnvolle strategische Option, weil nur effiziente und kundenorientierte Einheiten überleben können und das QMS den Kundenbezug liefere. Das ständige und grundsätzliche Hinterfragen von bestehenden Abläufen führe zu einem neuen Umgang mit Fehlern. Derzeit bestehe noch eine Bestrafungs- und Vertuschungskultur anstelle einer Lernkultur. Aber ein QMS biete Methoden, um strategische Herausforderungen anzunehmen, anstatt alte Strukturen zu verteidigen, die ohnehin nicht mehr lange bestehen können. Bei der Umstrukturierung gelte es, die ethisch gewünschten Entscheidungen mit den ökonomischen Anreizen in Einklang zu bringen.

QMS in deutschen Krankenhäusern Anschließend gaben zahlreiche Referate und Workshops zu den unterschiedlichen Aspekten von QMS in der Medizin einen Eindruck von der bisherigen Umsetzung dieses Konzeptes in Deutschland. Die große Mehrzahl der Krankenhäuser und medizinischen Einrichtungen ohne QMS war naturgemäß nicht vertreten. Die präsentierten Konzepte zeigten zumeist QMS im Aufbau. Begonnen wurde in vielen Fällen mit der ausführlichen Evaluation des Ist-Zustandes. Diese machte in vielen Fällen den Bedarf für organisatorische Reformen deutlich, was die Überzeugungsarbeit bei Mitarbeitern und Finanzgebern erleichterte. Anschließend konnten zumeist begrenzte Projekte zur Qualitätsverbesserung bei überschaubaren Themenstellungen umgesetzt werden. Der Urologe Prof. Dr. Dieter Jocham, Lübeck, warnte davor, nur "hier und da” Einzelprobleme anzugehen. Notwendig seien organisierte Projekte, die sich eines bestimmten Themengebietes annehmen und strukturiert arbeiten. Dabei gehe es zumeist mehr um den Weg, d.h. die ständige Verbesserung, als um ein dauerhaftes Ziel. Wichtig auf diesem Weg sei stets die Rückkopplung mit den erreichten Erfolgen. Hierfür müsse die Qualität messbar werden, wozu insbesondere Patientenbefragungen dienen könnten.

Vom kleinen Projekt zum großen QMS Projektarbeiten können in ein umfassendes Qualitätsmanagement für Krankenhausabteilungen oder ganze Krankenhäuser münden, das in einem Qualitätsmanagementhandbuch dargelegt wird. Damit lassen sich die entscheidenden Aspekte der Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen optimal gestalten. Dr. Jochen Stein, Hannover, bezeichnete die Schnittstellen zwischen verschiedenen Abteilungen und Fachgebieten als erstes Kernproblem. Dies zeige bereits der wichtige Prozess der stationären Aufnahme von Patienten. In einem projektbezogenen QMS sieht er Chancen, auch mit geringerem Budget einen Einstieg in diese Arbeitsweise zu finden. Dagegen sind umfassende Systeme bisher erst in sehr wenigen Krankenhäusern umgesetzt.

Richtiges QMS ist viel mehr als Kostenkontrolle Jocham sieht den Einstieg in das QMS als Reaktion auf bestehende Probleme, doch gehe es langfristig um frühzeitiges Agieren, d.h. es solle aktiv an der Verbesserung der Organisation und der Abläufe gearbeitet werden. Demgegenüber seien Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement, wie sie der Gesetzgeber versteht, nur Instrumente zur Kostenkontrolle. Darum gehe es hier nicht.

Evidence based medicine Neben den organisatorischen Aspekten der Behandlungsabläufe ging es in Lübeck auch um das Qualitätsmanagement bezüglich der medizinischen Inhalte. Hier stehe der einzelne Arzt vor dem Problem, die enorm umfangreiche Fachliteratur zur Kenntnis zu nehmen und daraus jeweils den neuesten Stand der bestgeeigneten Therapie abzuleiten. Als Hilfsmittel zur Lösung dieses Problems wurde die international organisierte Cochrane-Initiative mit dem Konzept der evidence based medicine vorgestellt. Im Rahmen nationaler Cochrane-Center bewerten Experten die Arbeiten abgegrenzter Fachgebiete und fassen den Wissensstand zusammen. Die Bewertungen stützen sich auf ein transparentes und streng strukturiertes Verfahren, damit das Vertrauen in die Arbeit der jeweils anderen Cochrane-Center gesichert ist (vgl. DAZ 39, S. 89). Ziel dieser evicence based medicine (EBM) ist, jeweils das bestverfügbare Wissen zu benutzen. Dies sollten idealerweise Studien mit einem zeitgemäßen Studiendesign sein. Doch machte Prof. Dr. Matthias Schrappe, Köln, deutlich, dass das bestverfügbare Wissen auch die eigene Erfahrung sein könne, wenn aussagekräftige Studien nicht existieren. EBM dürfte daher keineswegs als Ablehnung des individuellen Erfahrungswissens missverstanden werden. Dieses werde durchaus anerkannt, wo es keine breiter fundierten Erkenntnisse gebe. Doch führten derartige Missverständnisse häufig zu Kritik oder Ablehnung der EBM. Um die Kenntnis über dieses Wissensgebiet zu verbessern, sollte EBM in den Pflichtumfang der Medizinerausbildung aufgenommen werden. So sollten Qualitätsmanagement und EBM zum Bestandteil der medizinischen Basisversogung werden.

Inflation der Leitlinien Ein zentrales Instrument zur Sicherung der Behandlungsqualität stellen Therapie-Leitlinien dar. Leitlinien bieten nach den Ausführungen des Gynäkologen Priv.-Doz. Dr. Gerald Hoffmann, Wiesbaden, Transparenz des Leistungsgeschehen und Informationen zu den Kosten. Daneben verdeutlichen sie Schnittstellen im Behandlungsprozess und dienen insbesondere der Information neuer Mitarbeiter. Für den Sozialmediziner Prof. Dr. Dr. Heiner Raspe, Lübeck, sind Leitlinien innerhalb einer organisatorischen Einheit, z. B. eines Krankenhauses, unverzichtbar. Denn ohne Leitlinien könnte bei einem Behandlungsfehler Organisationsverschulden nachgewiesen werden. Problematischer ist hingegen die Durchsetzung von Leitlinien in der breiten Fachöffentlichkeit. Mit Rücksicht auf die ärztliche Therapiefreiheit sollten Leitlinien nicht disziplinarisch durchgesetzt werden. Daher sei auch die Bezeichnung "Richtlinien” abzulehnen, die Reaktanz, d.h. Widerstand gegen den empfundenen Beeinflussungsdruck, erzeugen könne. Andererseits unterhöhlen nicht praktizierte Leitlinien deren Anerkennung, sodass eine mindestens 80%ige Akzeptanz anzustreben sei. Speziell in Deutschland muss in diesem Zusammenhang die inzwischen beobachtbare enorme Anzahl von Behandlungsleitlinien der verschiedensten Organisationen und Fachgesellschaften als problematisch erscheinen. Daher wurde bereits eine Clearingstelle eingerichtet, die Leitlinien auf ihre Akzeptanz hinsichtlich international üblicher Standards überprüft. Demgegenüber existieren in den USA nur vergleichsweise wenige Leitlinien.

Wie ist Qualität zu messen? Der Einsatz des Qualitätsmanagements wirft zudem die Frage nach der Messung der erreichten Ergebnisqualität auf. Für Raspe ist es eine Frage der Kultur, ob das Gesundheitswesen nach den gesundheitlichen Effekten oder nach der Patientenzufriedenheit zu steuern sei. Eine allgemeine Zufriedenheit lasse sich relativ schnell erreichen, was die Frage nach weiteren Zielen aufwerfe. Für Schrappe gehört die Patientenzufriedenheit zu den wichtigen Qualitätsindikatoren. Sie sollte daher in Patientenbefragungen ermittelt werden. Daten zur medizinischen Ergebnisqualität werden nach Erfahrungen von Raspe in verschiedenen Staaten ge- zielt ermittelt und veröffentlicht. In Deutschland dagegen liegen nach Einschätzung von Schrappe solche Daten zumeist nicht einmal den Krankenhäusern oder behandelnden Ärzten selbst vor. Die Krankenhäuser erhalten keine Rückmeldungen über den langfristigen Therapieverlauf nach der Entlassung und wissen daher nichts über den Erfolg oder Misserfolg ihrer Maßnahmen. Die Informationen liegen datenrechtlich geschützt bei den Krankenversicherungen, können so aber nicht zur Therapieoptimierung eingesetzt werden. Andererseits werden nicht einmal die kurzfristigen Ergebnisse der Behandlung veröffentlicht. Insofern ist die Behandlungsqualität in keiner Weise transparent. Für Schrappe erscheint es jedoch als langfristige Perspektive denkbar, solche Daten im Internet zu präsentieren. Thomas Müller-Bohn

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