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Arzneimittel und Therapie
Migräne: Krankheit und keine Ausrede
Rund 8% aller Männer und 12% aller Frauen in der Bundesrepublik Deutschland leiden an Migräne. Der in Attacken auftretende, meist halbseitige Kopfschmerz überfällt die Patienten meist in den frühen Morgenstunden und hält bis zu 72 Stunden an. Der Migränepatient fühlt sich richtig krank. Fast alle Patienten leiden während einer Migräneattacke an Appetitlosigkeit, drei Viertel an Übelkeit, ein Viertel an Erbrechen. Häufig ist der Migränepatient überempfindlich gegenüber Licht, Lärm, Bewegungen oder Gerüchen. Im Rahmen einer Aura, die einem Teil der Migräneattacken vorweggeht, können neurologische Ausfälle oder Sehstörungen auftreten.
Biologisch begründbare Funktionsstörung
Auch wenn die Ursachen der Migräne noch nicht vollständig geklärt sind, wurden in den letzten Jahren doch einige pathophysiologische Mechanismen aufgeklärt: Bestimmte schmerzunterdrückende Strukturen im Hirnstammwerden während der Migräneattacke enthemmt. Die Blutgefäße in der Hirnhaut sind erweitert. In den Nervenfasern der Blutgefäßwände werden Neuropeptide freigesetzt. Sie unterstützen die Erweiterung der Blutgefäße und reizen die Schmerzfasern. Der Schmerz wird über den Trigeminusnerven weitergeleitet. Die Migräne ist also eine biologisch begründbare Funktionsstörung des Gehirns. Sie hat eine genetische Grundlage; aus Zwillingsstudien ist eine genetische Disposition zur Migräne bekannt. Für die Auslösung einzelner Attacken können bestimmte Trigger (z. B. Stress, Ernährung) eine Rolle spielen.
Akutbehandlung: zunächst Monotherapie mit Schmerzmitteln
Gemäß den neuesten Empfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft sollten zur Akutbehandlung einer Migräneattacke zunächst Schmerzmittel in Form eines Monopräparats angewendet werden. Reichen diese nicht aus, kommt ein Triptan (5-HAT1B/1D-Agonist) zum Einsatz. Erst in der dritten Stufe wird ein Mutterkornalkaloid-Monopräparat eingenommen. Ausgenommen sind Patienten, die ihre Migräne seit langem erfolgreich mit einem Mutterkornalkaloid-Präparat behandeln. Sie können ihre Migränetherapie beibehalten.
Die meisten Patienten werden falsch behandelt
Eine Untersuchung, die 1% aller Patienten niedergelassener Allgemeinärzte und Internisten erfasste, hatte erschreckende Ergebnisse: Nur 6% der Migränepatienten bekamen zur Akuttherapie Analgetika oder nichtsteroidale Antirheumatika als Monopräparat, 5% erhielten ein Triptan und 2% ein Mutterkornalkaloid-Monopräparat.
Lediglich 13% wurden also nach den aktuellen Evidenz-basierten Therapieempfehlungen behandelt. Die übrigen erhielten Kombinationsanalgetika (55%) oder andere Mischpäparate (18%). Demnach wissen längst nicht alle Ärzte über wirksame Migränetherapien Bescheid und wenden sie an. Auch in der Migräneprophylaxe sind wirksame Arzneimittel gegenüber Alternativtherapien mit geringer wissenschaftlicher Evidenz unterrepräsentiert. In einer Umfrage an der Migräneambulanz der Neurologischen Universitätsklinik Essen gaben 54% der Patienten an, bereits Akupunktur-Behandlungen bekommen zu haben. Mit Betablockern waren dagegen nur etwa 25% der Patienten behandelt worden.
Einschränkung der Lebensqualität
Migräne bedeutet eine massive Einschränkung der Lebensqualität: Im Durchschnitt ist ein Migränepatient pro Monat 2,8 Tage lang von der Krankheit betroffen, also pro Jahr mehr als einen ganzen Monat lang. Er kann dann seiner Arbeit und seinen Alltags- und sozialen Aktivitäten nicht oder nur eingeschränkt nachgehen. Im Jahr 1998 beruhten 350 Millionen Arbeitsunfähigkeitstage auf Migräne.
Gleichzeitig wurden aber nur rund 35 Millionen Tagesdosierungen an Migränemitteln verordnet. Demnach bekommen viele Migränepatienten überhaupt keine Arzneimittel verordnet (wahrscheinlich, weil sie keinen Arzt aufsuchen). Sie kaufen sich Schmerzmittel in der Apotheke und wissen oft gar nicht, dass sie unter Migräne leiden. Dem Apotheker kommt hier eine Schlüsselrolle zu. Er kann mit gezielten Fragen, wie "Leiden Sie unter Migräne?" und "Hat diese Diagnose ein Arzt gestellt?", auf die Notwendigkeit einer ärztlichen Diagnostik und Therapie hinweisen.
Bundesweite Aufklärungsaktion
In einer bundesweiten Aufklärungsaktion zur Migräne wenden sich die Migräne Akademie, MSD Sharp & Dohme und die Barmer Ersatzkasse jetzt an den Patienten. Eine Informationsbroschüre und ein Poster zur Migräne sind ab Mitte Februar in den Geschäftsstellen der Krankenkassen kostenlos erhältlich. Außerdem finden dort zahlreiche Vorträge und Informationsveranstaltungen statt.
Am 9. und 10. Februar sind in Wuppertal, Berlin, Hamburg, Frankfurt/Main und Augsburg Experten-Hotlines zum Thema Migräne eingerichtet. Die Telefonnummern und weitere Informationen sind im Internet unter www.barmer.de einzusehen. Auch MSD Sharp & Dohme bietet Informationen und Hilfen für Migränepatienten an: in Form einer Patientenbroschüre und einer Entspannungs-CD, die über den Arzt erhältlich ist, im Internet unter www.msd.de und in Form der Packungsbeilage zu Rizatriptan (Maxalt®).
Quelle: Prof. Dr. Gerd Glaeske, Bremen; Prof. Dr. H. C. Diener, Essen; Dr. Francis Baudet, Aachen; Dr. Ottfried Zierenberg, Haar; Pressekonferenz "Migräne – Krankheit oder Ausrede?", Düsseldorf, 26. Januar 2000, veranstaltet von der Migräne Akademie, MSD Sharp & Dohme und der Barmer Ersatzkasse.
Die Migräne Akademie, MSD Sharp & Dohme und die Barmer Ersatzkasse wollen in einer gemeinsamen Aufklärungskampagne mit Vorurteilen zur Migräne aufräumen. Zugleich möchten sie die Patienten auf wirksame Migränetherapien hinweisen und sie auffordern, sich angemessen behandeln zu lassen. Dies erklärt die Fernsehmoderatorin und Migränepatientin Birgit Schrowange bei der Pressekonferenz zum Auftakt der Aufklärungsaktion.
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