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Berichte
Medizinische Chemie: Neue Herausforderungen in der Pharmaindustrie
Obwohl die Kosten für die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Pharmazeutischen Industrie von 10 bis 12 Prozent in den 1980er-Jahren auf 20 Prozent gestiegen sind, war 1998 trotz einer enormen Erhöhung des Projektdurchsatzes die Zahl der NCE (New chemical entities) mit 27 deutlich niedriger als 1985 mit 40.
Vor diesem Hintergrund eines erkennbaren Innovationsdefizits mit der Gefahr, dass die neu entwickelten Wirkstoffe die Produktionskapazitäten der Pharmazeutischen Industrie nicht ausreichend auslasten, forderte der Referent einen grundlegenden Paradigmenwechsel:
Der klassische Weg der Umsetzung der Idee eines Wirkstoffes zu einem Liganden auf der Grundlage des "Trial and error"-Prinzips im Labor und die anschließende Optimierung ist ein zu langsamer und teuerer Weg, um in der heutigen Zeit den Bedarf an Molekülen, die mit den durch die Genomforschung entdeckten neuen "Targets" (Proteine, Gene etc.) wechselwirken, zu decken. Vielmehr ist nach dem evolutionären Leitmotiv "Versuch und Selektion" durch kombinatorische Chemie, Substanzbibliotheken (libraries) und anschließende Selektion diesem Engpass zu begegnen.
Kombinatorische Chemie
Dr. Wess berichtete über Erfahrungen bei der Einführung der kombinatorischen Chemie in seinem Unternehmen. Über Umstellungen der Logistik und Behebung der Akzeptanzprobleme (der klassische Arbeitsplatz mit Abzug wird gegen Syntheseroboter bzw. Parallelsyntheseplätze getauscht) ist eine Steigerung des Durchsatzes von Substanzen erreicht worden.
Bei diesem Vorgehen wird die Struktur eines Wirkstoffes erst nach der Synthese und positivem Wirksamkeitsscreening aufgeklärt. Das Potenzial der kombinatorischen Chemie lässt sich jedoch noch erheblich steigern durch eine engere Zusammenarbeit von Chemikern, Biologen und Analytikern in den entsprechenden Bereichen der Pharmazeutischen Industrie.
Substanzbibliotheken
In der dargestellten Wertschöpfungskette kommt der Entwicklung von Leitstrukturen eine besondere Bedeutung zu. Zu diesem Zweck hat jedes Unternehmen so genannte Substanzbibliotheken aufgebaut, in denen sich die Geschichte des Unternehmens mit den jeweiligen Forschungsprojekten widerspiegelt.
Dr. Wess wies auf das Problem der chemischen Diversität beim Anlegen der Substanzbibliotheken hin. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass nur 32 chemische Leitstrukturen das Grundgerüst der Hälfte aller Arzneistoffe am Markt stellen. Trotz aller Automatisierung bleibt die Intuition des Pharmazeuten/Chemikers bei der Beurteilung dieser Substanzbibliotheken in Bezug auf die biologische Relevanz gefragt.
Screening
Für die Industrie gewinnt die Vorhersagbarkeit von Substanzprofilen und die Beachtung des eADMET (early Administration Distribution Metabolism Excretion)-Tests an Bedeutung. Durch die retrospektiv ausgewerteten Substanzparameter Molekularmasse, cLogp (Verteilungskoeffizient) und Zahl der Wasserstoffdonor- bzw. -akzeptor-Brücken ist ein hinreichendes Instrumentarium zur Beurteilung neuer Substanzen gegeben.
In dieser frühen Phase läuft das eADMET an, um den Weg von der Leitstruktur zum Arzneimittel so effektiv und kurz wie möglich zu halten. Der Referent schilderte dieses Zusammenwirken anhand aktueller Forschungen aus der Industrie vor allem auf dem Gebiet der Insulinmimetika.
Apotheker in der Industrie Die Schwerpunkte der Tätigkeit des Apothekers in der Pharmazeutischen Industrie liegen aus Sicht von Dr. Wess in der Galenik und Zulassung, bei entsprechender Positionierung und Qualifizierung aber auch in der medizinischen Chemie. Jedenfalls befürwortet Dr. Wess eine frühere Einbettung des Apothekers in der aufgezeigten "Wertschöpfungskette" vom Wirkstoff zum Arzneimittel.
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