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Arzneimittel und Therapie
Sekundärprävention in Europa: Schlechte Karten für KHK-Patienten
Eigentlich müsste alles klar sein bei der Sekundärprävention der koronaren Herzkrankheit (KHK). Basierend auf zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen einigten sich Ende 1994 die Europäische Gesellschaft für Kardiologie, die Atherosklerose-Gesellschaft und die Europäische Gesellschaft zur Bekämpfung des hohen Blutdrucks auf gemeinsame Empfehlungen zu Lebensführung, Risikofaktoren und Therapie. Kurz gefasst lauten die, an sich bekannten, Ziele für die sekundäre Prävention der KHK wie folgt:
- Lebensstilfaktoren: körperliche Aktivität, kein Übergewicht (BMI < 25 kg/m²), gesunde Ernährung (mediterrane Kost) und nicht Rauchen.
- Weitere Risikofaktoren: Blutdruck < 140/90 mmHg, Gesamtcholesterin < 190 mg/dl, LDL-Cholesterin < 115 mg/dl, optimale Blutzuckereinstellung bei Diabetikern und Kontrolle weiterer Risikofaktoren.
- Medikamentöse Behandlung zur Prävention eines Re-Infarktes bzw. eines anderen koronaren Ereignisses: Acetylsalicylsäure, Betablocker, ACE-Hemmer, Lipidsenker und Antikoagulanzien.
EuroASPIRE I und II im Vergleich
Doch die Ergebnisse des Projekts EuroASPIRE (European Action on Secondary Prevention by Intervention to Reduce Events), initiiert von der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie, machen offensichtlich, dass es schlecht bestellt ist um die Sekundärprävention in europäischen Landen. Erstmals 1995/1996 (Euro-ASPIRE I) und nun noch einmal 1999/ 2000 (EuroASPIRE II) wurden in neun europäischen Ländern (Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, Niederlande, Slowenien, Spanien, Ungarn und Tschechei) retrospektiv die Daten von KHK-Patienten erfasst. Die Ergebnisse dieser beiden Untersuchungen können verglichen werden, weil es sich bei EuroASPIRE II um eine identische Replikation von EuroASPIRE I handelt.
In die ersten Erhebungen gingen Daten von 3569 KHK-Patienten (Durchschnittsalter: 61 Jahre; maximales Alter: 70 Jahre), die frühestens sechs Monate nach dem erstmaligen koronaren Ereignis - Bypass-Operation, perkutane transluminale Koronarangioplastie, akuter Myokardinfarkt oder akute Myokardischämie - zu Risikofaktoren und Therapiemaßnahmen befragt wurden. In der zweiten aktuellen Erhebung waren es 3379 KHK-Patienten aus den gleichen Regionen. Aus Deutschland, das durch die Region Münster vertreten ist, gingen Daten von 392 bzw. 402 Probanden ein.
Übergewichtige legen zu
Das traurige Ergebnis vornweg: Stand es 1995/1996 um die Prävention bei KHK-Patienten schlecht, sieht es inzwischen nicht deutlich besser aus. Schon damals wurde offensichtlich, dass kardiovaskulären Risikofaktoren zu wenig Bedeutung zugemessen wird. Immerhin lag die Anzahl der Raucher damals auch nach der Krankenhauseinweisung noch bei 19 Prozent, und liegt heute nahezu unverändert bei 20,8 Prozent. Dabei gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern.
Deutschland schneidet hier damals wie heute mit etwa 16 Prozent "gut" ab, während sich in den Niederlanden mit etwa 30 Prozent Rauchern die meisten Unbelehrbaren tummeln. Die Zahl der Übergewichtigen hat dagegen insgesamt zugelegt. Hatten Mitte der 90-iger noch 25 Prozent der KHK-Patienten einen BMI über 30 kg/m², sind es inzwischen "satte" 32,8 Prozent, wobei die Deutschen damals wie heute im Mittelfeld lagen.
Hypertonie: trauriger Rekord für Deutschland
Besonders trist ist der Blick auf den Blutdruck. Jeder zweite KHK-Patient in Europa hat hier Werte über 140/90 mmHg. Deutschland schneidet dabei im europäischen Vergleich inzwischen, gelinde gesagt, katastrophal ab. In EuroASPIRE I lag die Zahl der schlecht eingestellten Hypertoniker mit 58 Prozent schon geringfügig über dem Durchschnittswert von 56 Prozent. Nun liegen bei 65,8 Prozent der KHK-Patienten die Blutdruckwerte über dem Richtwert, während sich der Durchschnittswert tendenziell auf 54 Prozent verbessert hat.
Damit hält Deutschland in Bezug auf die Rate schlecht eingestellter Hypertoniker in Europa einen traurigen Rekord und das, obwohl seit vielen Jahren von den Experten immer wieder für eine konsequente Blutdruckeinstellung plädiert wird. Positives lässt sich dagegen von der Einstellung der Cholesterinspiegel vermelden. Der Prozentsatz an Patienten mit einem Serumcholesterinspiegel von 6,0 mmol/l oder höher ist von 86,2 Prozent auf 58,8 Prozent gesunken. Bei über der Hälfte der Patienten ist er damit aber immer noch zu hoch. Erkennbar war außerdem, dass Lipidsenker zwar in hohem Maße zum Zuge kommen, ihr Einsatz aber oft noch nicht genügend effektiv ist. Zum Schluss noch die Diabetiker, die ein besonders hohes Risiko besitzen. Ihre Zahl, in Deutschland mit 13,5 Prozent konstant, stieg europaweit von 18 auf 22 Prozent leicht an.
Konsequentes Regime: die Thromboseprophylaxe
Entsprechend defizitär war und ist die therapeutische Intervention: Konsequent durchgeführt bei immerhin 81 bzw. 84 Prozent der Patienten wurde einzig die Thromboseprophylaxe, meist mit ASS. Auch andere präventiv wirksame Medikamente werden häufiger eingesetzt. Wie die einzelnen Behandlungsstrategien dann aussehen, ist von Land zu Land sehr unterschiedlich. Insgesamt stieg die Zahl der Betablocker-Verordnungen von 53,7 auf 66,4 Prozent, für ACE-Inhibitoren lagen die Zahlen bei 29,5 und 42,7 Prozent. Wie der Blick auf die Cholesterinspiegel bereits erwarten lässt, ist die Zahl der eingenommenen Lipidsenker enorm gestiegen, nämlich von 32 Prozent auf 62,9 Prozent, 91,7 Prozent davon waren in EuroASPIRE II Statine.
Bleibt nur die Hoffnung
Anlass zur Sorge für die Betreuung von KHK-Patienten sehen angesichts dieser Ergebnisse die Initiatoren von EuroASPIRE, allen voran Professor David A. Wood aus London. Sie fordern dazu auf, die hohe Prävalenz von Risikofaktoren bei KHK-Patienten stringenter anzugehen, eventuell durch die Einbeziehung von Diätassistenten und Physiotherapeuten. Neben dem Versuch, die ungesunden Lebensgewohnheiten der Patienten zu ändern, geht es aber noch immer darum, Hypertonie, Hypercholesterinämie und Hyperglykämie, ausgewiesene Risikofaktoren, adäquat zu behandeln. Dass dies noch immer nicht geschieht, ist unverständlich. Bleibt zu hoffen, dass EuroASPIRE III, sofern sie denn durchgeführt wird, endlich echte Erfolge in der Prävention von KHK-Patienten erkennen lässt.
Literatur: EuroASPIRE I and II Group: Clinical reality of coronary prevention guidelines: a comparison of EuroASPIRE I and II in nine countries. Lancet 357, 995 - 1001 (2001).
Die Daten der neuen Studie EuroASPIRE II liegen auf dem Tisch. Fazit: In der Sekundärprävention von KHK-Patienten hat sich seit der Publikation des EuroASPIRE-I-Ergebnisse vor fünf Jahren nichts verbessert. Besonders schlecht schneidet Deutschland bei der Blutdruckkontrolle ab. Dabei steht einer optimalen Prävention nichts entgegen.
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