Toxikologie

F. Moll, A. Koggel, M. MollVergiftung mit Goldregen

Die Einnahme mehrerer Goldregenhülsen durch zwei Kinder verlief im Einzelfall glücklicherweise ohne ernste Folgen. Die Untersuchung der Kinetik des toxischen Alkaloids Cytisin in reifenden Früchten über mehrere Monate hinweg ergab, dass die Cytisingehalte bei sehr jungen Hülsen mit hohem Wassergehalt zunächst relativ niedrig sind, dass sie aber in den folgenden Wochen deutlich ansteigen. Die alljährliche Warnung vor Goldregenvergiftungen ist daher unverändert angebracht.

Die Goldregenhülsen stammten von der häufig als Zierstrauch angebauten Hybride Laburnum anagyroides u L. alpinum (L. u watereri), im Folgenden vereinfachend als "Goldregen" bezeichnet (Abb. 1). Die umfangreiche Literatur zu Goldregen (Auswahl zu Pflanze und Zellkulturen [1 - 8]) ist sich in der herausragenden toxikologischen Bedeutung des Hauptalkaloids Cytisin (Synonyme Laburnin, Baptitoxin, Sophorin, Ulexin) einig. Unter Goldregenhülsen werden im Folgenden die Früchte mitsamt den Samen des Goldregens verstanden.

Toxikologische Vorgeschichte

Zwei Jungen, 7 Jahre und 6 Jahre alt, Körpergewicht bei 25 und 20 kg, nahmen Anfang Juni des Berichtsjahres jeweils drei Goldregenhülsen ein, im Glauben besonders schöne und zierliche Gemüsehülsen von einem Strauch gepflückt zu haben. Nach Entdeckung des Sachverhalts durch die Eltern wurden die Kinder auf Vergiftungssymptome untersucht, um gegebenenfalls Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Überraschender- und auch glücklicherweise traten bei den beiden Jungen in den 24 Stunden nach der Einnahme und auch später keine Symptome auf, die ein Eingreifen erforderlich machten.

Aus der glücklicherweise symptomlos verlaufenen Einnahme junger Goldregenhülsen leiteten wir die Arbeitshypothese ab, dass sehr junge Goldregenhülsen weniger giftig als ältere sein können. Nach der Literatur [1 - 3] sind, zumindest bei großen Beobachtungszeitintervallen, die Cytisingehalte von Goldregen nicht statisch; dies kann teilweise über Biosynthese- und Stoffwechselvorgänge erklärt werden.

Ziel unserer Untersuchungen war, durch Bestimmung der Cytisingehalte in engen Zeitintervallen Daten für eine Cytisin-Kinetik von Goldregenhülsen während der Reifungszeit zu gewinnen. Aus der umfangreichen Literatur zur Analytik des Goldregens wurden für unsere Untersuchung die in dieser Zeitschrift veröffentlichten Arbeiten von Tschirch und Kraus [4, 5] und eine eigene frühere Arbeit [7] herangezogen.

Analytik der Goldregenhülsen

Ausgangsmaterial Die Goldregenhülsen wurden zwischen dem 9. Juni und dem 15. September 1998 gesammelt und sofort in vakuumdichten GLW-Probenröhrchen in flüssigem Stickstoff tiefgefroren. Beispiele der im jeweils einwöchigem Abstand gesammelten Hülsen sind, nach fortlaufend nummerierten Jahrestagen geordnet, in Abbildung 2 zusammengestellt.

Wassergehalt der Früchte Es wurden jeweils ca. 1 g der datumsgerecht gepflückten Goldregenhülsen genau gewogen und, bis zur Gewichtskonstanz, jeweils 1 h lang bei 110 Grad Celsius getrocknet und nach 15 min Erkalten im Exsiccator gewogen.

Herstellung der Untersuchungslösung zur Cytisin-Bestimmung Die jeweils ca. 1 g, genau gewogen, zur Wasserbestimmung getrockneten Goldregenhülsen wurden in einem Glasmörser zu einem groben Pulver zerkleinert. Das zerkleinerte Produkt wurde mit 30 ml 1 N Schwefelsäure 30 min lang auf dem siedenden Wasserbad erhitzt. Nach Abkühlen auf Raumtemperatur wurde filtriert und mit 15 ml 1 N Schwefelsäure nachgewaschen. Nach Zusatz von 6 ml 25%ige Ammoniaklösung wurde dreimal mit 20 ml Trichlormethan ausgeschüttelt. Die organische Phase wurde 30 min lang über Natriumsulfat getrocknet und filtriert. Das Filtrat wurde zur Trockne eingeengt und zur DC-Untersuchung in 2,0 ml Methanol aufgenommen.

Dünnschichtchromatographie DC-Platten: Merck 5626 DC-Fertigplatten Kieselgel 60; Fließmittel: Dichlormethan/Methanol/Ammoniak 10% (83 + 15 + 2, v/v/v); Detektion nach Abdunsten des Fließmittels und nach 2 min bei 110 Grad Celsius in der Iodkammer. Die Proben wurden mit kalibrierten 5-µl-Mikropipetten aufgetragen. Die planimetrische Auswertung erfolgte gegen Lösungen von 2,0 mg Cytisin Sigma C-2899 / 2,0 ml Methanol.

Wassergehalt der Früchte

Verfolgt man den verdunstungsanalytisch bestimmten Wassergehalt der Goldregenhülsen in einwöchigen Intervallen über 15 Wochen hinweg (Abb. 3), so steht hohen Anfangsgehalten von fast 80% Wasser bis zur 7. Woche ein unter 15% abgesunkener Wassergehalt nach der 14. Woche gegenüber.

Cytisingehalt der Früchte

Der Cytisingehalt der während der Reifungszeit in einwöchigen Intervallen gesammelten Goldregenhülsen ist unter anderem durch die vorstehend beschriebenen stark unterschiedlichen Wassergehalte beeinflusst. Daneben beeinflussen während der Samenentwicklung weiterlaufende Biosynthese- bzw. Stoffwechsel- und Verteilungsvorgänge den Gesamtcytisingehalt der Hülsen.

In Abbildung 4 sind die in Abhängigkeit von dem jeweiligen Reifestadium gefundenen Cytisingehalte dargestellt. Aus den Untersuchungen ergibt sich für junge (1. Woche) und frische Goldregenhülsen ein Gehalt von ca. 0,05% Cytisin. Da das Durchschnittsgewicht einer kleinen frischen Goldregenhülse bei ca. 1 g liegt, entsprechen im Untersuchungsfall (s. o.) drei frische junge Goldregenhülsen einer Gesamtmenge von maximal ca. 1,5 mg Cytisin.

Toxizität von Cytisin

Der Vergleich dieser Einzeldosis mit letalen Cytisin-Dosen bei Tieren ist angesichts großer Spezies-Unterschiede von sehr beschränkter Aussagekraft: Bei Mäusen wurde als LD50 101 mg/kg gefunden. Über die toxische Dosis beim Menschen gibt es keine verlässlichen Angaben [6]. Über die relativ häufigen Vergiftungen von Kindern wird teilweise von glücklichem Verlauf, teilweise von ernsteren Symptomen (Übelkeit, Erbrechen, Leibschmerzen), in Einzelfällen auch von tödlichem Verlauf berichtet [6]; Fall-Angaben, die die Berechnung toxischer Dosen ermöglichen würden, fehlen.

Fazit: Die Warnung ist berechtigt

Eine mögliche Erklärung für den unterschiedlichen Verlauf der Vergiftungen dürfte sein, dass nicht nur die unterschiedlich große Einnahmemenge, sondern vor allem der unterschiedliche Reifezustand der Hülsen, wie vorstehend ausgeführt, die entscheidende Rolle spielt. Der Reifezustand der Hülsen ist jedoch, insbesondere für Kinder, nicht sicher erkennbar. Auch deshalb muss die Warnung vor der Gefährlichkeit der Goldregenhülsen uneingeschränkt aufrechterhalten werden.

Literatur [1] Greinwald, R., Schultze, W., Czygan, F. C.: Die Alkaloidzusammensetzung der oberirdischen Teile von Laburnum watereri (Kirchn.) Dipp., Biochem. Physiol. Pflanzen 186 (1990), 1. [2] Wink, M., Roberts, Margaret F.: Alkaloids: Biochemistry, Ecology and Medicinal Applications. Plenum Press, New York 1998. [3] Szentesi, A., Wink, M.: Fate of quinolizidine alkaloids through three trophic levels: Laburnum anagyroides (Leguminosae) and associated organisms. J. Chem. Ecol. 17 (1991), 1557. [4] Tschirch, C., Kraus, L.: Goldregen-Alkaloid Cytisin, Schneller DC-Nachweis. Dtsch. Apoth. Ztg. 131 (1991), 1876. [5] Tschirch, C., Kraus, L.: Goldregen-Alkaloid Cytisin, Quantitative In-situ-Bestimmung nach der DC-Trennung. Dtsch. Apoth. Ztg. 132 (1992), 2560. [6] Seeger, R.: Cytisin. Dtsch. Apoth. Ztg. 132 (1992), 303; abgedruckt in: Seeger, R., Neumann H.-G.: Giftlexikon, 2. Erg.-Lfg. Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 1993. [7] Luputiu, G., Moll, F. : Die Bromderivate des Cytisins. Arch. Pharm. 304 (1970), 151; Georgeta Luputiu: Diss., Tübingen 1971. [8] Jurenitsch, J., Pöhm, M., Weilguny, G.: Cytisin und N-Methyl-cytisin in Zellkulturen von Laburnum anagyroides. Med. Pharm. 36 (1981), 370; Gabriela Weilguny: Diplomarbeit, Wien 1978.

Der Goldregen ist Zierpflanze und Giftpflanze zugleich. Neben den Blüten wirken die jungen Früchte besonders verführerisch auf Kinder. Ihre Toxizität beruht auf dem Alkaloid Cytisin. Neuere Untersuchungen ergaben, dass die Cytisin-Konzentration in den Früchten mit deren Reifegrad zunimmt. Vergiftungsfälle können deshalb während des ganzen Sommers, bis in den September hinein, auftreten.

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