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Deutscher Patiententag: Neue Arzt-Patienten-Beziehung gefordert
Gesundheitswesen ist der Motor der Zukunft
Der Patient müsse der Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems vertrauen dürfen, eine medizinisch notwendige Versorgung dürfe nicht vom Geldbeutel abhängen - dafür sprach sich Marga Elser, Mitglied des Bundestages und des Ausschusses für Gesundheit aus. Sie bezeichnete das deutsche Gesundheitswesen als "Motor der Zukunft und des dynamischen Wachstums". Die derzeitigen Ziele und Vorhaben der Bundesregierung für eine Reform des Gesundheitswesens würden in die richtige Richtung weisen. Der Wettbewerb der Kassen müsse, wie auch Bundesministerin Ulla Schmidt wiederholt betont, in erster Linie auf eine qualitativ hochwertige Versorgung chronisch Kranker abzielen. Vor allem von der ins Auge gefassten integrierten Versorgung sieht Elser Vorteile für Patienten, aber auch für die Zusammenarbeit der ärztlichen und nichtärztlichen Gesundheitsberufe.
Ehrenamtliche Tätigkeit anerkennen und fördern
"Die Macht hat stets, wer zahlt" - so Bertolt Brecht. Im Gesundheitswesen sei das erstaunlicherweise anders, sagte Prof. Dr. Gerhard Englert, Sprecher des Forums chronisch kranker und behinderter Menschen im Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband. Englert forderte als Ziel der gegenwärtigen Gesundheitsreformen die institutionalisierte Einbindung von Patientenverbänden und Betroffenen in zukünftige gesundheitspolitische Entscheidungen. Bisher würden Patienteninteressen nur punktuell eingebracht - und nur von einzelnen, gutwilligen und engagierten Menschen. Notwendig sei jedoch die Institutionalisierung - es müsse selbstverständlich werden, Betroffene bzw. deren Verbände und Dachverbände einzubinden.
Englert sprach sich dringend dafür aus, das Ehrenamt in unserer Gesellschaft zu stärken und ein System zu schaffen, das ehrenamtliche Tätigkeit fördere und ihm die gebührende Anerkennung verschaffe. "Ehrenamtliche stehen gegenwärtig oft als die letzten Trottel der Nation da", sagte Englert. Hier sei unsere gesellschaftliche Kultur entwicklungsbedürftig - die USA könnten ein Vorbild sein.
Es wird immer Druck im System geben!
Als größte deutsche Wirtschaftsbranche bezeichnete Franz Knieps, Geschäftsführer Politik im AOK Bundesverband Bonn, das Gesundheitswesen. Jährlich würden 500 bis 600 Mrd. DM bewegt, und zwar Gelder, die großenteils aus Zwangsbeiträgen von Versicherten und Arbeitgebern stammen. Dies führe zu einer besonderen Art der Verpflichtung. Die Politik könne zwar Rahmenbedingungen für das Gesundheitswesen herstellen, aber nicht den Konflikt lösen, dass das medizinisch Wünschenswerte und Machbare immer mehr Geld koste. Es gebe viele offene Fragen, die sich auf das System beziehen und die man immer wieder neu stellen müsse - schon aus Gründen der Gerechtigkeit gegenüber den Versicherten. Dazu gehören auch die Fragen, ob die derzeitige Beitragsbelastung gerecht sei, ob die Beitragsbemessungsgrenze stimme, ob sich die Beiträge ausschließlich am Lohn orientieren sollen oder nicht auch an sonstigen Einkünften.
Außerdem müsse man in einem System, das ständig unter Druck stehe, hinterfragen, warum im stationären Bereich keine Bewertung von Innovationen stattfinde? Nach Knieps Einschätzung finde "ein erheblicher Teil der Mittelverschwendung" im stationären Bereich statt: Drei Viertel aller dort eingeführten Neuerungen seien kein wirklicher Fortschritt, von dem einen Viertel wirklich fortschrittlicher Entwicklungen gehen wiederum drei Viertel in den Bereich der Diagnostik und nur ein Viertel in die Therapie. "Wir geben fast 11 Prozent unseres Bruttoinlandprodukts für den Gesundheitsbereich aus", sagte Knieps. Doch das Geld werde falsch verteilt und das System sei so komplex und so zergliedert, dass kein Mensch verfolgen könne, wo die Mittel schließlich bleiben.
Ärztemangel in Sicht
Um Verständnis für die derzeit schwierige Rolle von Ärztinnen und Ärzten im Gesundheitswesen warb Dr. Ursula Auerswald, Vize-Präsidentin der Bundesärztekammer und Präsidentin der Ärztekammer Bremen. Auerswald warnte vor einem bald ins Haus stehenden Ärztemangel. Die Zahl der Medizinstudenten sei politisch gewollt zurückgegangen, immer mehr Absolventen des Medizinstudiums würden vor einer Arztkarriere zurückschrecken. Das Bild, das die Politik und teilweise auch die Medien von den geschäftstüchtigen Ärzten male, stimme hinten und vorne nicht, sagte Auerswald. Mehr als die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte seien überhaupt keine Geschäftsleute.
Auerswald appellierte an das anwesende Publikum, sich nicht vorgefertigte Meinungen über Geldmangel oder Geldverschwendung im Gesundheitswesen aufbinden zu lassen, sondern sich selbst zu informieren. Was Veränderungen in der Versorgungsleistung von Kranken betreffe, so wolle sie als Ärztin nichts aus der derzeitigen Grundversorgung gestrichen sehen, sagte Auerswald.
Neue Rolle für Arzt und Patient gewünscht
Was es bedeutet, chronisch krank zu sein, bleibt häufig unsichtbar, sagte Privatdozent Dr. Ekkehart W. Jecht, Stellvertretender Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte e.V. Düsseldorf. Nicht jeder komme im Rollstuhl daher und sei damit als "Behinderter" erkennbar. Jecht setzte sich mit seinen Worten vor dem Deutschen Patiententag engagiert für eine neue Rolle von Arzt und Patient ein.
Umfragen unter chronisch Kranken hätten gezeigt, das die alte, paternalistische Rolle des Arztes ausgedient habe. Gewünscht werde eine mehr partnerschaftliche Beziehung zwischen Patient und Arzt, ja sogar eine Kunden-Verkäufer-Beziehung, weil sie entängstigend auf den Patienten wirke. Zwar sei den Patienten durchaus die Gefahr bewusst, die zu starke, merkantile Aspekte im Gesundheitswesen mit sich brächten. Dennoch würden diese Gefahren weitaus geringer eingeschätzt als der Schaden, der durch die althergebrachte Bevormundung entstehe. Jecht sprach sich für eine "Ethik der Autonomie" und eine "Ethik der Fürsorge" in der Arzt-Patienten-Beziehung aus. Er nannte eine Reihe von Perspektiven für eine moderne Medizin:
Arzt und Patient sollten in einem Dienstleistungsverhältnis zueinander stehen. Dabei stehe auf der einen Seite die professionelle, kommunikative und ethische Kompetenz des Arztes, auf der anderen Seite der eigenverantwortliche Patient mit seinem Wunsch nach "selbstbestimmter Gesundheit". In diesem Zusammenhang wies Jecht darauf hin, dass Krankheit stets einen Autonomie-Verlust bedeute und daher ein Patient häufig nicht gleichwertiger Partner sein könne, weil seine Kraft durch die Krankheit eingeschränkt werde. Weitere Forderungen für die Zukunft:
- Institutionelle Einbindung von Patienten in alle gesundheitspolitischen Entscheidungen,
- internationaler Austausch und Kooperation von Patientenverbänden,
- Akzeptanz der eigenen Unvollkommenheit.
Auch die Apotheker waren auf der Messe dabei
Der Deutsche Patiententag wurde begleitet von einem dreitägigen Patientenforum für chronische Krankheiten sowie von Fachmessen und Ausstellungen zum Thema Rehabilitation und Pflege. In vier großen Hallen der neuen Messe Leipzig präsentierten sich Aussteller und Händler mit Produkten für die Pflegebranche und für die in der Pflege Beschäftigten, aber auch für Behinderte und deren Angehörige sowie für chronisch Kranke. Schwerpunktthemen des Patientenforums waren die wichtigsten und schwersten Volkskrankheiten wie Diabetes, Rheuma, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronischer Schmerz sowie Krebs.
Referenten aus Klinik und Praxis boten ein vielseitiges Vortragsprogramm und standen Betroffenen Rede und Antwort. Dabei ging es nicht nur um die Schulmedizin, sondern ebenso um komplementäre Behandlungsmethoden, um Ernährung und um praktische Hilfen im Alltag. Auch der Sächsische Apothekerverband war mit einem Stand auf der vom 7. bis 9. Juni stattfindenden Publikumsmesse vertreten und bot Körperfettmessung sowie eine Reihe von Beratungen an. Der Stand fand bei den Messebesuchern guten Zuspruch und sorgte für eine gute Öffentlichkeitsarbeit der Apothekerschaft.
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