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Pharmagroßhandel: Die Verkehrsfähigkeit von Nahrungsergänzungsmitteln
Ziel der Rahmenvereinbarung, die vom Bundesverband PHAGRO als Konditionenempfehlung nach § 22 Abs. 3 Nr. 2 GWB beim Bundeskartellamt angemeldet und am 13. September 2001 im Bundesanzeiger veröffentlicht wurde, ist es, dem pharmazeutischen Großhandel die Erfüllung seiner eigenen gesetzlichen Verpflichtung zu erleichtern, weder Lebensmittel, die nicht im Einklang mit dem Lebensmittelrecht stehen noch Arzneimittel, denen die erforderliche Zulassung fehlt, in den Verkehr zu bringen. Zugleich wird damit ein Beitrag zur Produktsicherheit in der Apotheke geleistet.
Legaldefinition fehlt
Hintergrund dieser Initiative sind die zunehmenden Auseinandersetzungen über die Verkehrsfähigkeit so genannter Nahrungsergänzungsmittel, die immer häufiger zu verwaltungs- und strafrechtlichen Maßnahmen der Aufsichtsbehörden auch gegenüber Apotheken und pharmazeutischen Großhandlungen führen.
Zentrales Problem ist dabei die fehlende Legaldefinition für Nahrungsergänzungsmittel, die rechtlich im Grenzbereich zwischen Arznei- und Lebensmitteln angesiedelt sind. Zwar werden "Stoffe und Zubereitungen zur Nahrungsergänzung" in der Apothekenbetriebsordnung und in der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung angesprochen, ohne dass jedoch eine verbindliche Definition vorliegt.
Auch die geplante EG-Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Nahrungsergänzungen, über die der EU-Ministerrat nach Mitteilung des Gesundheitskommissars David Byrne am 27. September 2001 eine politische Einigung erzielt hat, bezieht sich ausschließlich auf Produkte, die bestimmte Vitamine und Mineralien enthalten. Ein erheblicher Teil der auf dem Markt befindlichen Nahrungsergänzungsmittel verbleibt damit auf absehbare Zeit im Grenzbereich zwischen Lebens- und Arzneimitteln, der durch komplizierte Abgrenzungsvorschriften, differierende nationale Regelungen innerhalb der EU, unterschiedliche Verwaltungspraxis in den Bundesländern und uneinheitliche Rechtssprechung gekennzeichnet ist.
Unterschiedliche rechtliche Konzeption
Dass diese auch von Experten als unübersichtlich bewertete Rechtslage zu einem ernsthaften Problem für Apotheken und pharmazeutische Großhandlungen werden kann, liegt vor allem an der grundsätzlich unterschiedlichen rechtlichen Konzeption des Lebensmittelrechts gegenüber dem Arzneimittelrecht. Während Arzneimittel erst dann in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn ihnen die zuständige nationale oder europäische Behörde eine Zulassung erteilt hat, bedarf das lnverkehrbringen von Lebensmitteln keiner vorherigen amtlichen Entscheidung einer Behörde.
Das Verbot des Inverkehrbringens nicht verkehrsfähiger Produkte, das prinzipiell gleichermaßen für Arznei-und Lebensmittel gilt, erhält dadurch ein völlig unterschiedliches Gewicht: Während der Apotheker bei zugelassenen Fertigarzneimitteln in der Regel von der Verkehrsfähigkeit ausgehen darf, wenn keine begründeten Zweifel vorliegen, darf sich der Vertreiber von Lebensmitteln nicht auf eine solche Vermutung verlassen. Die Untersuchung der bezogenen Produkte auf ihre Verkehrsfähigkeit nimmt daher im Lebensmittelhandel einen hohen Stellenwert ein. Ziel dieser z. T. aufwendigen Prüfungen durch eigene Labors oder externe Sachverständige ist es, der mit drastischen Strafandrohungen verbundenen lebensmittelrechtlichen Haftung für die Verkehrsfähigkeit der in Verkehr gebrachten Lebensmittel gerecht zu werden.
Diese Maßstäbe gelten auch für die Apotheken und den pharmazeutischen Großhandel, die sich künftig genauer anschauen müssen, welche Nahrungsergänzungsmittel, Sportlernahrung oder andere apothekenübliche Lebensmittel sie in ihr Sortiment aufnehmen, wollen sie nicht unliebsame Überraschungen riskieren. Die Beispiele hierfür reichen von der nicht ordnungsgemäßen lebensmittelrechtlichen Kennzeichnung über unzulässige Inhaltsstoffe bis hin zur nachträglichen Einordnung des vermeintlichen Lebensmittels als Arzneimittel und damit dem Verstoß gegen die arzneimittelrechtliche Zulassungspflicht.
Hemmnisse für unseriöse Anbieter
Wichtigstes Ziel der vom Bundesverband PHAGRO empfohlenen Rahmenvereinbarung ist es, die Ausnutzung des Vertriebsweges über den pharmazeutischen Großhandel und die öffentlichen Apotheken durch unseriöse Anbieter zweifelhafter Produkte aus dem Grenzbereich zwischen Arznei- und Lebensmitteln zu erschweren, indem sie dem einzelnen pharmazeutischen Großhändler Anhaltspunkte für die Abgrenzung liefert. Zu diesem Zweck hat der Anbieter dieser Produkte eine Zusicherung über die Verkehrsfähigkeit seiner Produkte abzugeben, Informationspflichten zu übernehmen und dem Großhandel für den Fall der Nichteinhaltung Rückgriffmöglichkeiten einzuräumen.
Zwar kann die Zuordnung eines Produktes zum Bereich der Lebensmittel und damit die Feststellung seiner Zulassungsfreiheit auch für einen seriösen Hersteller oder Importeur rechtlich schwierig sein. Wenn dieser jedoch - trotz und in Kenntnis der Schwierigkeiten - die Entscheidung trifft, die rechtlichen Grenzen und das Verhalten der Behörden auszutesten, muss er bereit sein, das damit verbundene rechtliche und wirtschaftliche Risiko zu übernehmen. Bereits nach der geltenden Rechtslage muss der Anbieter die Verkehrsfähigkeit seiner Produkte vor dem Inverkehrbringen prüfen und hierfür die Verantwortung übernehmen.
Die darüber hinaus verlangte zivilrechtliche Zusicherung gegenüber dem Großhändler ist erforderlich, weil dieser durch die Aufnahme in sein Sortiment ein eigenes arznei- und lebensmittelrechtliches Risiko übernimmt, ohne Einfluss und Informationen im Hinblick auf die Zuordnung, Zusammensetzung, Kennzeichnung, Werbung und Präsentation des Produktes zu haben. Durch den vorgeschlagenen Rahmenvertrag zieht der pharmazeutische Großhändler mit den Verkehrsgebräuchen in anderen Vertriebswegen gleich und leistet einen Beitrag zur Produktsicherheit in der Apotheke.
Aber: kein Ersatz für eigene Überprüfung
Allerdings soll und kann durch den empfohlenen Rahmenvertrag weder die eigene lebensmittelrechtliche Verantwortung des pharmazeutischen Großhändlers auf den Anbieter abgewälzt, noch die eigene Prüfung der Produkte ersetzt werden. Dies ergibt sich bereits daraus, dass sich die lebensmittelrechtlichen Gebote und Verbote, die die Anforderungen an die Verkehrsfähigkeit der Lebensmittel festlegen, grundsätzlich in gleicher Weise an jeden richten, der Lebensmittel in der Bundesrepublik Deutschland in Verkehr bringt. Dabei sind jedoch die daraus resultierenden Sorgfaltspflichten je nach Stellung des am Lebensmittelverkehr Beteiligten zu differenzieren.
Die Mitgliedsunternehmen des Bundesverbandes PHAGRO haben daher weitere Schritte eingeleitet, um dem Produktsegment der apothekenüblichen Lebensmittel, das unter anderem diätetische Lebensmittel, Säuglingsnahrung, Sportlernahrung und Nahrungsergänzungsmittel umfasst, größere Aufmerksamkeit zu widmen. Um die dem Lebensmittelrecht unterworfenen Produkte leichter identifizieren zu können, wird ferner angestrebt, eine entsprechende Kennzeichnung in den Artikelstammsatz aufzunehmen.
Eigenverantwortung bleibt bei Apotheke
Trotz der Anstrengungen auf der vorgelagerten Handelsstufe verbleibt eine erhebliche lebensmittelrechtliche Eigenverantwortung bei der Apotheke. Sie muss sich darüber bewusst sein, dass nicht jedes Produkt, das dem breiten Publikum in bunten Anzeigen und Werbekampagnen als apothekenexklusives Wundermittel angepriesen wird, eine Zierde für das Schaufenster eines akademischen Heilberufs ist.
Gerade wenn bis dahin unbekannte Substanzen oder Naturkonzentrate ohne erkennbaren Nähr- oder Heilwert oder mit zweifelhafter Zusammensetzung über Nacht im Mittelpunkt des Kundeninteresses stehen, ist der Zeitpunkt für die eigene arznei- und lebensmittelrechtliche Sorgfaltspflicht und nicht für automatische Bestellvorgänge gekommen. Die Wahrnehmung dieser Verantwortung wird allerdings sehr häufig durch schwierige Abgrenzungsfragen, uneinheitliche Verwaltungspraxis und fehlende Transparenz auf diesem Markt erschwert.
Begrüßenswert sind daher Initiativen wie die gemeinsame Datenbank der Arbeitsgemeinschaft der Arzneimittelinformationsstellen Nord-Ost (AMINO) über den Status ausgewählter Produkte. Es wäre wünschenswert, wenn diese Datenbestände nicht nur den Mitgliedern der beteiligten Apothekerkammern Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, sondern auch den übrigen Apothekern und den pharmazeutischen Großhandlungen verfügbar gemacht würden.
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