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Generika-Industrie: Deutsche Unternehmen auf einem guten Weg nach Europa
Kompliziertes rechtliches Umfeld
Burkhard Sträter, Bonn, machte deutlich, dass sich die Generika-Hersteller in einem vergleichsweise komplizierten und zudem im Umbruch befindlichen rechtlichen Umfeld bewegen. Maßgeblich für den Marktzugang ist neben den Schutzrechten, die sich für die Originalanbieter aus dem Arzneimittelgesetz herleiten, darüber hinaus die Patentgesetzgebung. Vor diesem Hintergrund haben zulassungsstrategische Aspekte für Generika-Unternehmen eine ganz besondere Dimension.
Im Hinblick auf den freien Warenverkehr in Europa ist zu beachten, dass sich die in der Regel zehnjährige Frist für den Unterlagenschutz des Originalanbieters im arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren nicht ausgehend von der Erstzulassung in dem jeweiligen Mitgliedstaat bemisst, in dem die bezugnehmende Zulassung beantragt wird, sondern ab dem Datum der Erstzulassung in irgend einem Mitgliedstaat der Europäischen Union.
Deutscher Generika-Markt außerordentlich stark
Die Generika-Märkte in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind sehr unterschiedlich weit entwickelt. Deutschland, Dänemark und Finnland rangieren mit deutlich mehr als 30% Marktanteil am oberen und Schweden, Italien, Portugal, Frankreich und Spanien mit ihren relativ unterentwickelten Generika-Märkten am unteren Ende der Skala.
Dr. Winfried Hamperl, Heumann Pharma, sieht hierin eine große Chance für die deutsche Generika-Industrie, zumal sich sowohl die Europäische Kommission als auch das Europäische Parlament die Ausweitung der Generika-Märkte ausdrücklich auf ihre Fahnen geschrieben haben.
Gegenseitige Anerkennung erschwert
Dennoch werden stringente Europa-weite Vermarktungsstrategien der Generika-Unternehmen heute vielfach noch dadurch behindert, dass einheitliche Vorgaben für die Arzneimittelzulassung national unterschiedlich gehandhabt werden. So wird die gegenseitige Anerkennung von Zulassungen zwischen den Mitgliedstaaten erheblich erschwert, weil die Produktinformationen - Kennzeichnung, Packungsbeilage, Fachinformation - des Originalanbieters in den verschiedenen Ländern, in denen ein Präparat auf dem Markt ist, in den meisten Fällen nicht harmonisiert sind. Hierfür sind, wie seitens der Zulassungsbehörden eingeräumt wird, allerdings nicht die Pharmaunternehmen allein verantwortlich, sondern die divergierenden Beurteilungen der Zulasser in den Mitgliedstaaten. Bei den jeweils "dazugehörigen" bezugnehmenden Präparaten setzen sich diese Divergenzen naturgemäß fort, was die Intransparenz noch erhöht.
Harmonisierung soll nun angepackt werden
Hier will die europäische Kommission nun mit einem groß angelegten Vorhaben Abhilfe schaffen, wie Dr. Birka Lehmann, Fachgebietsleiterin "dezentrale Verfahren, EU-Verfahren im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Bonn, berichtete. Ein besonderes Gremium ist bereits damit befasst, eine Prioritätenliste von zunächst 24 Substanzen zu erstellen, deren Produktinformationen im Sinne der Transparenz des Marktes und der Informationssicherheit der Patienten konsequent vereinheitlicht werden sollen. Aus der Sicht von Industrie und Behörden ist dies kein leichtes Unterfangen, denn der Erfolg hängt entscheidend von der Kooperationsbereitschaft der Unternehmen ab. Diese befürchten vielfach, dass ihre Produkte in Bezug auf die Indikationen als der "kleinste gemeinsame Nenner" unter den Mitgliedstaaten aus dem Prozess der Vereinheitlichung der Angaben hervorgehen werden.
So rechnen Experten damit, dass sich die Harmonisierung der nach den europäischen Bestimmungen zugelassenen Produkte, der so genannte "Review of the reviews" ("Aufbereitung der Aufbereitungen") in den Mitgliedstaaten zu einer neuen "Jahrhundertaufgabe" auswachsen könnte. Von den Zweitanmelder-Unternehmen wird die Initiative der Kommission verständlicherweise einhellig begrüßt.
Wünsche der Generika-Hersteller für die europäische Vermarktung
Aus einer Analyse der Daten, die im Rahmen des europäischen Anerkennungsverfahrens gewonnen wurden, leitet Hamperl für die Zweitanmelder-Präparate folgende Erkenntnisse ab:
- Generika stehen bei weitem an der Spitze der Produktgruppen, die bereits ein gegenseitiges Anerkennungsverfahren durchlaufen haben.
- Bei der Zahl der Rücknahmen von Anerkennungsanträgen seitens der Antragsteller wegen Bedenken seitens der Zulassungsbehörden stehen sie allerdings ebenfalls an der Spitze.
- Die Länder, in denen die meisten Anträge zurückgenommen wurden, waren Spanien und Frankreich, Länder mit praktisch nicht vorhandenen Generika-Märkten.
- Eines der Haupt-Hindernisse für die Ausdehnung von Generika-Zulassungen sind die divergierenden Fachinformationen in den Mitgliedstaaten.
- Bioäquivalenzstudien stellen offenbar kein großes Problem bei der gegenseitigen Anerkennung dar.
Hieraus wird deutlich, dass die Generika-Unternehmen mit der derzeitigen regulatorischen Situation keineswegs zufrieden sind. Sie wünschen sich von der europäischen Politik vor allem
- die Wahlmöglichkeit zwischen dem zentralen, dem dezentralen oder auch einem nationalen Zulassungsverfahren,
- die Beschränkung auf ein einziges europäisches Referenzprodukt, so dass dann auch nur eine Bioäquivalenzstudie gefordert werden könnte,
- die Möglichkeit der Bezugnahme auf alle Indikationen des Originalanbieters,
- eine schnellere Erteilung der Zulassung unmittelbar mit Ablauf der Unterlagen-Schutzfrist bzw. des Patentablaufs.
Wie weit gehen die Schutzrechte für das Originalarzneimittel?
Heftig diskutiert werden derzeit darüber hinaus Fragen des Unterlagenschutzes in Bezug auf neue Indikationen und Darreichungsformen bereits bekannter Stoffe. Sträter zitierte hierzu das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 3. Dezember 1998 ([C-368/96] "essential similiarity"), mit dem der EuGH zu der Frage erstmalig eindeutig Stellung genommen hat. Nach Auffassung des Gerichtshofes soll eine neue Indikation für einen bekannten Stoff nicht vor Bezugnahme durch Zweitanmelder geschützt sein, eine Auslegung, der das deutsche Arzneimittelgesetz allerdings entgegensteht.
Noch komplizierter ist die Sachlage auf dem Gebiet der "Line-Extensions", wenn es darum geht zu prüfen, ob eine neue Darreichungsform, eine neue Zubereitungsart, die zu einer veränderten Freisetzung des Arzneistoffs führt, oder auch eine geänderte Dosierungsanleitung ein schützenswertes Gut darstellt oder nicht. Darüber hinaus ist strittig, ob ein Zweitanmelder unter weiterer Bezugnahme auf die Unterlagen eines Vorantragstellers selbst neue Darreichungsformen entwickeln und in den Verkehr bringen darf.
Sind auch Bio-Generika möglich?
Mit zunehmendem "Alter" der biotechnologisch hergestellten Arzneimittel stellt sich auch hier die Frage nach der Möglichkeit der Bezugnahme auf die Unterlagen des Originalanbieters zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des jeweiligen Produktes. Aus den besonderen Eigenschaften biologischer Arzneimittel ergeben sich jedoch spezielle zulassungstechnische Konsequenzen, die eine Bezugnahme nur unter eingeschränkten Bedingungen möglich und realistisch erscheinen lassen. Hierüber besteht, dies stellten Dr. Erich Kohler, BioGeneriX und Dr. Annette Baeckmann, Leiterin des Fachgebietes biotechnisch/gentechnisch hergestellte Arzneimittel im BfArM, Bonn, einmütig fest, zwischen Industrie und Behörde ein wissenschaftlicher Konsens.
Die Entwicklung von Bio-Generics ist wegen der gegenüber chemisch definierten Stoffen ungleich größeren Bedeutung der Verfahrenskonsistenz bei der Herstellung und des Unbedenklichkeitspotenzials erheblich kostenintensiver als die Entwicklung eines "normalen" Generikums, so dass sich im Einzelfall sogar die Frage der ökonomischen Sinnhaftigkeit der "Äquivalenz versus Neuentwicklung" stellen dürfte.
Eine weitere Schwierigkeit in bezug auf die rechtliche Situation ergibt sich daraus, dass es für viele Biopharmazeutika keinen echten Patent-Stichtag gibt, ab dem die Nutzung der jeweiligen Substanz freigegeben wird, sondern in den meisten Fällen eine Reihe von Patenten, die jeweils bestimmte Aspekte der Herstellung bzw. der Spezifikation einer Substanz oder einer Zubereitung abdecken. Dennoch ist eine bezugnehmende Zulassung auch für diese Produktgruppe nicht von vornherein ausgeschlossen.
Der bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMEA ansässige Ausschuss für Humanarzneimittel hat im September 2001 eine Empfehlung verabschiedet, die sich mit den Kriterien für die Vergleichbarkeit biotechnologisch hergestellter Protein-Wirkstoffe befasst (CPMP/BWP/3207/00), womit ein erster Ansatz für die Beurteilung der Vergleichbarkeit von Bio-Generika gegeben ist.
Grenzen zwischen forschenden und Generika-Unternehmen fließend
Die Wettbewerbsfront zwischen Original- und Generika-Herstellern ist nach Ansicht von Georg Böhler, Merck dura, bereits seit geraumer Zeit nicht mehr so klar zu ziehen, wie dies angesichts der vermeintlich diametral entgegengesetzten Interessenlage zu erwarten wäre. Mehr und mehr forschende Unternehmen betätigen sich über Tochterunternehmen ebenfalls im Generika-Geschäft.
Marktingstrategien der Originalanbieter gehen dahin, bereits vor Patentablauf bzw. Ablauf des Unterlagenschutzes für ihre Präparate Kooperationen mit Generika-Unternehmen einzugehen, um den Markt auch nach Auslaufen der Exklusivitätsansprüche möglichst weiter mit zu kontrollieren, eine Strategie, die Böhler mit "von der Produkt-Führerschaft zur Substanz-Führerschaft umschrieb." Anhand von Umsatzentwicklungen erfolgreicher Produkte nach Patentablauf verdeutlichte er, wie gut diese Strategie tatsächlich aufgehen kann.
Aut idem: Die Apotheker als neue Marketing-Zielgruppe
Böhler glaubt, dass sich der auch innerhalb der Festbetragsregelung noch stattfindende Preiswettbewerb der Generika-Unternehmen innerhalb der Aut-idem-Regelung weiter fortsetzen wird. Für die Unternehmen erschwert sich die Situation dadurch, dass sie hiernach auch die Apotheker als weitere Zielgruppe für ihre Marketingstrategien bedienen müssen, eine Herausforderung, der seiner Einschätzung nach in erster Linie sehr umsatzstarke Unternehmen gewachsen sein werden.
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