DAZ wissenswert

Faunenverfälschung: Tiere in fremden Habitaten

Die weltweite Mobilität, der Bau des Suez-Kanals und vieles mehr haben Flora und Fauna verändert. Viele tausend Tier- und Pflanzenarten, Mikroorganismen und Viren sind in neue Habitate eingedrungen. Der Mensch hat aber auch in einigen Fällen bewusst nachgeholfen. Ein Teil der tiergeographischen Umwälzungen besteht im vorsätzlichen Ansiedeln fremder Arten (Neozoen).

Akklimatisation und Einbürgerung

Vor etwa 150 Jahren entstanden in Europa und Nordamerika zahlreiche Akklimatisationsvereine, die die Einbürgerung fremder Tierarten (und Pflanzenarten) zum Nutzen und zur Erbauung förderten. Die fremdartigsten Tiere, vom Neunbinden-Gürteltier Dasypus novemcinctus (1888) bis zum Grottenolm Proteus anguinus (1933), sollten in Deutschland heimisch werden. Den Berberaffen oder Magot (Macaca sylvana) brachte Graf Martin von Schlieffen bereits 1763 mit nach Windhausen bei Kassel, wo noch heute ein Affendenkmal steht. Die Tiere inspirierten Wilhelm Busch zu "Fips der Affe". Doch nach 20 Jahren ließ von Schlieffen sie schweren Herzens abschießen und begraben; dies geschah wahrscheinlich wegen Tollwut.

Ob Fledermäuse in Irland oder Kakadus in der Ukraine, es gibt viele Versuche der Ansiedlung von Tieren (Tab. 1). Marderhund, Mink (amerikanischer Marder), Damwild und Mufflon, das in der Oberlausitz häufig auf der Speisekarte steht, sind heute Bestandteil der deutschen Wildfauna. Doch manche Einbürgerung erwies sich als verheerend, und nicht alle Tiere können so einfach aus ihrer neuen Umgebung entfernt werden wie einst die Affen des Grafen Schlieffen.

Gefahr erkannt

Präsident Bill Clinton forderte im Februar 1999 per Erlass alle Behörden des Landes dazu auf, das Einwandern neuer Arten zu unterbinden. So müssen jetzt alle Hochseeschiffe ihr Ballastwasser auf hoher See ablassen, bevor sie in einen Hafen der Vereinigten Staaten einlaufen dürfen. Es wurde eigens eine Koordinierungsstelle zur Abwehr invasiver Arten gegründet. Einer der wesentlichen Gründe dafür war die katastrophale Ausbreitung der Gemeinen Dreiecksmuschel (Dreissena polymorpha), auch Wandermuschel genannt.

Vor 200 Jahren begann die fünf Zentimeter lange gestreifte Muschel aus dem Aralsee, dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer und deren Zuflüssen ihren Siegeszug um die Welt. Ihre riesige Vermehrungsrate hatte schon vor hundert Jahren im Oderhaff zu 100 000 Muscheln je Quadratmeter [sic] geführt. In den 50er-Jahren kam sie in der Neuen Welt an. Mittlerweile hat sie über den St.-Lorenz-Seeweg und die Großen Seen das gesamte Seen- und Flusssystem Nordamerikas erobert. Sie verstopft Zuflussrohre, Pumpen und Ventile von Fabriken, Kraft- und Wasserwerken und die Kanäle von Schleusen und Staudämmen. Heimische Muschelarten überwuchert sie. Ihr hervorragendes Filtersystem raubt vielen Tieren die Nahrung und lässt die Gewässer verarmen.

Der Spatz ist nicht nur niedlich

Diese Katastrophe hat die Verantwortlichen hellhörig gemacht; das war aber nicht immer so. Ein Beispiel des bewussten Eingriffs des Menschen in das Artengefüge ist der Spatz. Es geht das Gerücht, Eugene Schieffelin sei ein begeisterter Shakespear-Leser gewesen. Er soll versucht haben, alle in des Dichters Werken erwähnten Vögel Englands im Central Park von New York einzubürgern. Jedenfalls ist ihm die Ansiedlung des Haussperlings ab 1860 in Nordamerika zu danken. Er hoffte, die possierlichen Vögelchen würden die Raupen dezimieren, die die Bäume vor seiner Wohnung lichteten.

Da frühere Versuche der Ansiedelung erfolglos geblieben waren, gründeten die von der Idee begeisterten New Yorker ein Einbürgerungskomitee für den Spatz. Mittlerweile hat der Vogel den gesamten Doppelkontinent, Ozeanien und Südafrika erobert.

Die Aktion Schieffelins brachte aber nicht den ersehnten Erfolg. Denn Passer passer liebt Körner, Früchte und Baumtriebe noch viel mehr als Insekten. Die Raupen, deren Haare er nicht verdauen kann, verschmäht er. Die zahlreichen Pferdefuhrwerke bereiteten dem Vogel paradiesische Zustände. Die Körner in den Pferdeäpfeln boten ihm eine eigene ideale biologische Nische. Das Spatzenvolk schwoll an, vertrieb die Schwalben und Finken aus ihren Nestern und konkurrierte mit den eigentlichen Raupenvertilgern, den Rotkehlchen und Goldamseln. Schnell wurde er zu einer Stadt- und Landplage und beförderte eine weit größere - die Ausbreitung des Schwammspinners.

Kahlfraß statt Seide

Leopold Trouvelot erhoffte sich das große Geld mit Naturseide. 1865 war die Seidenproduktion in Südfrankreich aufgrund einer Epidemie der Seidenraupen von 2,1 Mio. kg auf 350 000 kg zusammengebrochen. Als Alternative zu Bombyx mori züchtete der Wissenschaftler in den USA den Falter Lymantria dispar - dessen Eigelege sind dick mit gelb-brauner Afterwolle abgedeckt; daher der Name deutsche Name Schwammspinner.

Die Entscheidung ist heute noch rätselhaft, da der Falter nie zur Seidenproduktion verwendet worden war. Auf seinem zwei Hektar großen Zuchtgelände sah Trouvelot die Katastrophe selbst voraus, als er erkannte, dass jede seiner Raupen in einem Monat das 43 000fache ihres Körpergewichts fressen kann. Er schrieb dazu: "Welch eine Zerstörung allein schon diese Insektenart an den Blättern anzurichten vermag, wenn nur ein Hundertstel der gelegten Eier zur Reife gelangt! Ein paar Jahre reichen aus, damit sie sich in genügender Zahl ausbreiten könnten, um sämtliche Blätter unserer Wälder zu vertilgen."

Und so kam es auch, nachdem ein Sturm seine Schutznetze wegfegt hatte. Mit Fuhrwerken, später mit Autos, Schiffen und Containern breitete sich der Schwammspinner mit 15 km pro Jahr in alle Richtungen aus. In den 1990er-Jahren kam noch sein Vetter, der asiatische Schwammspinner, dazu. Er ist noch gefräßiger und breitet sich noch schneller aus, da die Weibchen flugfähig sind. Ein fatales Zusammenleben setzte ein. Die Schwammspinner legten ihre Eier in die von den Spatzen besetzten Nisthäuschen und vermehrten sich so ungestört. In Spitzenzeiten sind in den USA 5 Millionen Hektar Wald befallen.

Der Schwammspinner ist heute einer der größten Waldschädlinge der USA, vor allem der Eichen. Mittlerweile bedroht er auch die Wälder Australiens. Das Land hat strengste Quarantänebestimmungen eingeführt.

Biologische Schädlingsbekämpfung

Ganz selbstverständlich werden Nützlinge zur Schädlingsbekämpfung im Gartenbau eingesetzt, ganz egal, aus welcher Weltgegend sie kommen. Das war schon beim Schwammspinner so. Als Gegenspieler sind 80 Arten an Parasitoiden und Räubern ausgesetzt worden, alleine 45 zwischen 1906 und 1962. Zehn Arten konnten sich etablieren. Nur der Puppenräuber Calosoma sycophanta, ein Laufkäfer, erlangte bisher eine gewisse Bedeutung. Und hoffentlich bleibt es auch in Zukunft bei der Nebenwirkungsfreiheit der "Nützlinge".

Neozoen

Neozoen sind Tierarten, die nach 1492 unter direkter oder indirekter Mitwirkung des Menschen in ein Gebiet gelangen, in dem sie vorher nicht heimisch waren, und dort wild leben. Sie gelten heute als eine der größten Bedrohungen der Umwelt. In den USA werden die wirtschaftlichen Schäden auf jährlich 123 Mrd. US-Dollar geschätzt.

Kastentext

Hier wiederkehrten zum großen Urstofhaufen irdischer Wesen / Die letzten Bestandtheile eines Geschlechts Afrikaner / Lange einheimisch auf diesen Fluren ... Inschrift des Affendenkmals von Windhausen

Kastentext

Ihre letzte Blüte erlebte die Einwanderungsbewegung in der Sowjetunion. In den 30er-Jahren versuchten Wissenschaftler im Rahmen von Stalins "Großer Umgestaltung der Natur", Tiere und Pflanzen aus aller Welt im Askania-Naturreservat anzusiedeln.

Kastentext

Eine Kolonie des Schwammspinners hat 1995 fast zur völligen Zerstörung der Wälder rund um Vancouver geführt. Der Spinner kam im Container mit einem Schiff aus Wladiwostok nach Kanada.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.