Berichte

Universität Göttingen: Alte pharmakognostische Sammlung gerettet

Rund 60 Jahre lang war die aus über 8500 Einzelstücken bestehende pharmakognostische Sammlung der Universität Göttingen unbeachtet auf einem Dachboden unter Staub begraben. Die größtenteils noch original verpackten Schachteln und Gläser, in denen sich unter anderem eine von Alexander von Humboldt mitgebrachte Baumrinde aus Südamerika befindet, sollten eigentlich nach ihrer Wiederentdeckung 1997 auf den Müll wandern. Einige Mitarbeiter starteten daraufhin eine Rettungsaktion für die bundesweit vermutlich älteste und umfangreichste Sammlung von medizinisch wirksamen Naturstoffen - mit Erfolg: Zahlreiche Pharmafirmen, die für die Entwicklung von Arzneimitteln wieder verstärkt auf Substanzen aus der Natur zurückgreifen, haben bereits für Forschungszwecke Proben aus den Beständen angefordert. Die Sammlung wurde seit 1998 auch auf den internationalen Kongressen der Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung vorgestellt (Prof. Dr. G. Harnischfeger, Goslar).

Pharmazeutisches Lehrmaterial

Die Göttinger Sammlung sei sowohl von ihrem Alter als auch von ihrem Umfang her einmalig in Deutschland, sagt der Biologe Dr. Volker Wissemann, der die Rettungsaktion initiiert und die Bestände aufgearbeitet hat. Begründer der Sammlung war August Ludwig Wiggers (1803-1880), der ab 1828 unter anderem als Assistent des berühmten Chemikers Friedrich Wöhler in Göttingen tätig war und das Fach Pharmakognosie (Drogenkunde, Erkennung und Bewertung der Arzneipflanzen) lehrte. Pharmakognostische Sammlungen dienten dazu, Pflanzen für die Arzneimittelherstellung genau beschreiben und identifizieren zu können. Wiggers baute eine umfangreiche Lehrsammlung auf, die nach seinem Tod noch durch eine Schenkung der Apothekerdynastie Mettenheimer aus Gießen stark vergrößert wurde.

Verpackt und vergessen

Seit den 1930er-Jahren lagerten die Göttinger Bestände in Holzkisten verpackt auf dem Dachboden des Botanischen Instituts. Dort gehörten sie eigentlich gar nicht hin: Damals habe es von den nationalsozialistischen Behörden einen Aufruf gegeben, dass alle pharmakognostischen Sammlungen zentral im Institut für Pharmazie in Braunschweig gelagert werden sollten, sagt Wissemann. Warum die Göttinger Sammlung nicht dorthin kam, sei nicht geklärt. Auf jeden Fall war das Nichtbefolgen dieser Anordnung ein Glücksfall: Alle in Braunschweig eingelagerten Sammlungen verbrannten während des Krieges bei einem Bombenangriff.

1935 wurde an der Universität Göttingen die pharmazeutische Ausbildung eingestellt. Dadurch geriet auch die historische Sammlung in Vergessenheit. Erst 1997 kamen die Bestände bei Entrümpelungsarbeiten wieder zum Vorschein. Die verstaubten Gläser und Schachteln, von denen viele noch die Originalsiegel tragen, sollten eigentlich "entsorgt" werden, berichtet Wissemann.

Viele Kuriositäten

Wissemann und Mitarbeiter entdeckten in den Kisten wahre Schätze. Hierzu gehören außer der Rinde eines Hemdenbaumes, die Alexander von Humboldt aus Südamerika vom Orinoko mitgebracht hatte, auch das erste Pfeilgift, das im 19. Jahrhundert nach Deutschland kam und von Justus Liebig analysiert wurde.

Auch die Bandbreite der Bestände ist beeindruckend: So sind allein mehrere hundert verschiedene Chinarinden sowie zahlreiche Wurzeln von Rhabarberpflanzen unterschiedlichster Herkunft zu finden. Insgesamt sei die Sammlung ein Querschnitt der Materia medica des 19. Jahrhunderts, sagt Wissemann. Die Kollektion enthält aber auch verschiedene Kuriositäten wie etwa Eidechsen in Lavendelblüten (Apothekerskink) oder Mumienpulver aus Ägypten.

Katalog auf CD-ROM

Die Göttinger Wissenschaftler haben die alten Bestände, die größtenteils gut erhalten sind, gesichtet und systematisch erfasst. Ohne Förderung durch die pharmazeutische Industrie sowie andere Einrichtungen wie die Klosterkammer Niedersachsen und die Calenberg-Grubenhagensche Landschaft wäre dies nicht möglich gewesen, sagt Wissemann. Im April soll die daraus entstandene umfangreiche Datenbank als Katalog auf CD-ROM erscheinen.

Damit die kostbaren Bestände nicht wieder unbeachtet verstauben, wird außerdem ein Ausstellungsraum vorbereitet. Ab dem Frühjahr soll die Sammlung dann der Öffentlichkeit zugänglich sein. Instituten und Laboratorien, die einzelne Proben analysieren wollen, steht sie bereits jetzt zur Verfügung.

Die Sammlung dürfte jedoch nicht nur für die Pharmaforschung, sondern auch für Historiker eine Fundgrube sein. Diese können anhand der Erwerbslisten, Etiketten und Aufzeichnungen beispielsweise frühere Handelsverbindungen oder Sammlertätigkeiten der Forscher im 19. Jahrhundert untersuchen.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.