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- DAZ 17/2002
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Die Seite 3
Dass Wahlen viel ändern – zuweilen sind daran Zweifel aufgekommen. Es lässt sich kaum noch behaupten, Sozialdemokraten oder Grüne seien durchgängig immer noch waschechte Sozialisten; genauso wenig stimmt, dass Christdemokraten verbissene Konservative seien. Ein Sozialdemokrat kann sich inzwischen, bislang ungestraft, als "Kanzler der Bosse" titulieren lassen. Und sieh an: selbst die Liberalen streifen das Etikett ab, eine Partei der älteren Wohlsituierten und Besserverdienenden zu sein; in Sachsen-Anhalt haben selbst 10 % der Arbeiter und 18 % der unter 30-Jährigen liberal gewählt. Politik als rot-schwarz-blaugelb-grüne Einheitssoße? Kommt es nur noch auf die sympathische Ausstrahlung an?
Wer genauer hinsieht, merkt: so einfach ist es nicht. Zumindest auf einigen Feldern – die Gesundheitspolitik ist dafür ein gutes Beispiel – zeigen sich hinter politischen Fassaden, die nach außen ähnlich erscheinen, Konzepte, die aus ganz unterschiedlichen Quellen genährt werden. Zumindest die Gewichtung zentraler Werte ist – historisch gewachsen – immer noch unterschiedlich. Und das hat Konsequenzen, die in die praktische Politik ausstrahlen.
Leitprinzipien wie Solidarität und Gleichheit werden auf der linken Seite des politischen Spektrums z. B. nach wie vor weniger hinterfragt als bei Liberalen und Konservativen. Sozialdemokraten neigen eher zu zentralistisch-etatistischen Lösungen. Großkonzerne und Ketten sind ihnen lieber als freie Berufe. Widerspruch dagegen kommt weniger von Konservativen, ist vielmehr eher von Liberalen und (früher jedenfalls) von Grünen zu erwarten. Liberale (die es nicht nur in der FDP gibt) sind eher geneigt, der Wahlfreiheit und Eigenverantwortung einen größeren Stellenwert zu geben, auch wenn dafür die Gleichheit ein wenig zurück treten muss.
Dass wir solche Unterschiede im politischen Alltag lupenrein nur selten zu Gesicht bekommen – dafür sorgt schon die nicht unbegründete Angst, potenzielle Wähler zu verschrecken. Besonders die großen Volksparteien geben sich gerade in Wahlzeiten gern besonders populistisch. Möglichst nicht anecken – so ist offensichtlich meist die Devise.
Aber es gibt bemerkenswerte Ausnahmen. Eine betrifft uns, ganz aktuell, unmittelbar. Der "Runde Tisch" für das Gesundheitswesen hat in dieser Woche seine Arbeit beendet. Weitgehend gilt: außer Spesen nichts gewesen. Aber es gibt eine Ausnahme: Gesundheitsministerin Ulla Schmidt hat eine Empfehlung durchgedrückt, für Arzneimittel den Versandhandel einzuführen. Die Gegenwehr der ABDA war erfolglos, trotz guter Argumente: niemand wollte sie hören. Ausgedrückt in der martialischen Rhetorik dieser Tage (in der die SPD, so ihr oberster Parteisoldat Müntefering, den "Helm enger schnallen will") müsste man sagen: das ist eine Kriegserklärung an die Apotheker und (genau gesehen) an die Patienten. Man wird sehen, welche Quittung die SPD dafür bekommt.
Bemerkenswert ist auch, dass sich der CDU-Fraktionschef Friedrich Merz vor wenigen Tagen mit der Ankündigung an die Öffentlichkeit wagte, die Union werde im Falles eines Sieges bei der Bundestagswahl die Selbstbeteiligung erhöhen. "Wir wollen keine Vollkasko-Versicherung mehr für jedes Zipperlein" – so Merz in der Bild am Sonntag. Er mag ja recht haben. Aber hat er auch bedacht, dass Seehofers drastische Erhöhung der Selbstbeteiligung im Vorfeld der Wahl 1998 nach Auffassung vieler Beobachter einen wichtigen Beitrag für die Wahlniederlage der alten Koalition geleistet hat?
Es mag noch unpopulär sein: aber eigentlich spricht viel für die Idee, solidarisch – also mit am Einkommen orientierten paritätischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteilen – nur noch alle größeren Gesundheitsrisiken abzusichern. Die Eingrenzung der Versicherungspflicht sollte allerdings so zugeschnitten werden, dass die Pflichtbeiträge spürbar sinken können (also um mindestens 1 bis 2 Prozentpunkte). Den Versicherten bliebe dann Spielraum, sich freiwillig zusätzlich zu versichern – mit Tarifen für frei gewählte Zusatzleistungen, die alles abdecken oder einen Selbstbehalt einbeziehen. Hier sind alle Varianten umsetzbar – die Entscheidung des Versicherten bliebe jetzt ja ohne Auswirkungen auf die gesetzlich vorgegebenen Lohnnebenkosten.
Viel spricht dafür, dass es eine tragfähigere Antwort auf die demografische Herausforderung und den medizinischen Fortschritt nicht gibt; als Alternative bliebe nur die offene oder versteckte Rationierung von Leistungen. Obwohl viele durchaus bereit sind, für ihre Gesundheit notfalls etwas tiefer in die Tasche zu greifen: Wer traut sich, die Wähler vor Wahlen mit unbequemen Wahrheiten zu belästigen?
Peter Ditzel
Gesundheitspolitik am Scheideweg?
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